Mit Volldampf auf Crash-Kurs

NASA-Sonde Deep Impact hat zwei Monate vor dem Zusammentreffen mit dem Kometen Tempel 1 ihren Kurs korrigiert und ihr Tempo erhöht

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Kometen sind stumme astrale Zeitzeugen, die viel über die Geschichte des Solarsystems, möglicherweise sogar etwas über die Anfänge des Lebens im All erzählen, sofern ihr Innerstes richtig seziert und analysiert wird. Schließlich setzen sich solche meist nur wenige Kilometer großen Kometenkerne aus dem Urmaterial zusammen, das bei der Entstehung des Sonnensystems übrig geblieben ist. In zwei Monaten soll die US-Sonde Deep Impact das Ur-Geheimnis des Kometen 9P/Tempel mit einem Projektil lüften, das dessen Nukleus durchdringen soll. Ungeachtet von Cassandrarufen bestimmter Astrologen sieht alles danach aus, als stünde einer erfolgreichen Mission nichts mehr im Wege.

Wie kosmische Schneebälle konservieren Kometen in ihrem Innern die Urmaterie des Solarsystems, möglicherweise sogar komplexe organische Moleküle. Auch wenn Astronomen in einem solchen Nukleus überwiegend viereinhalb Milliarden Jahre altes Gas, Eis und Staub vermuten, weiß niemand genau, was darin im Einzelnen zu finden ist.

Bislang haben die Forscher ausschließlich von der Beobachtung der Kometenoberflächen auf deren Inhalt schließen können. Diese Wissenslücke soll die NASA-Forschungssonde Deep Impact in knapp zwei Monaten schließen.

Entscheidung am Independence Day

Seit ihrem erfolgreichen Start am 12. Januar 2005 vom US-Raumfahrtbahnhof in Cape Canaveral in Florida mit einer Delta II-Trägerrakete fliegt Deep Impact dem Kometen 9P/Tempel 1 mit Volldampf entgegen.

Hinter dem kryptischen Namen 9P/Tempel 1 verbirgt sich – ganz im Gegensatz zum Halley'schen Kometen, der zuletzt 1835, 1910 und 1985 die Menschen in seinen Bann zog – ein eher unauffälliger Komet, der in fünfeinhalb Jahren einmal um die Sonne kreist und sich der Erde bis auf 133 Millionen Kilometer nähert. Sein Entdecker ist der gebürtige deutsche Astronom Ernst Wilhelm Leberecht Tempel (1821-1889), der in seiner Schaffenszeit neben 9P/Tempel u. a. 21 Kometen entdeckte.

Als Astronomen dieses Foto von 9P/Tempel mit dem Kitt Peak Observatorium (Arizona/USA) am 11. April dieses Jahres aufnahmen, passierte der Komet die Erde in einer Distanz von 133 Millionen Kilometern. (Bild: Dr. Tony Farnham and Matthew Knight, University of Maryland)

Wenn Deep Impact am Independence Day (4. Juli) kurz vor dem Eintreffen im Zielgebiet ein 370 Kilogramm schweres, kupfernes Projektil abwirft, nähert sich die Mission einem dramatischen Höhepunkt. „Dramatisch“ wird es in der Tat ohne Übertreibung, wenn der gerade einmal ein Quadratmeter große, größtenteils aus einem massiven Kupferblock bestehende „Impactor“ mit rund 37.100 km/h auf der Oberfläche des Kometen einschlägt und dabei den sechs Kilometer großen Nukleus des Kometen aufkratzt und das dort seit Ewigkeiten eingebettete frische Urmaterial freigibt.

Im Fokus irdischer Teleskope

Zeitgleich filmt dann in einem Sicherheitsabstand von nur 500 Kilometern die vorbei fliegende Raumsonde das Geschehen mit zwei verschiedenen Kameras, von denen die leistungsstärkste ein Auflösungsvermögen von maximal 20 Zentimetern hat.

Während Impactor sein zerstörerisches Werk verrichtet und einen 25 Meter tiefen und im Durchmesser 100 Meter großen Krater sprengt, sammelt die Muttersonde fleißig Datenmaterial und macht Fotos und Infrarotbilder vom Krater und den herumfliegenden Partikeln, das umgehend gen Erde gefunkt wird. Praktisch jedes registrierte größere Teilchen, das nach dem Aufprall des Projektils auf dem Kometen in den Weltraum geschleudert wird, wird von den Forschern spektroskopisch untersucht in der Hoffnung, so Informationen über die elementare Zusammensetzung wie auch die Dichte des Kometenkerns zu gewinnen.

Parallel zu dem Geschehen vor Ort observieren neben Weltraumteleskopen à la Hubble oder Chandra und bodengestützten Großteleskopen auch zahlreiche Amateurastronomen das Ereignis. Dabei ist ein optisches Spektakel garantiert, da durch die Einwirkung des Sonnenlichts das austretende gefrorene Gas aufleuchtet und die Helligkeit des Kometen stark ansteigen lässt.

Ein Platz in der ersten Reihe

Planmäßig hat inzwischen Deep Impact zum zweiten Mal eine Kurskorrektur vorgenommen. 95 Sekunden lang zündete das Triebwerk des Astro-Roboters und veränderte dabei die Flugbahn zum Kometen Tempel 1 minimal. Neben einer geringfügigen Geschwindigkeitserhöhung – die Geschwindigkeit der Sonde nahm am 4. Mai um 18,2 Kilometer in der Stunde zu – schoben die NASA-Ingenieure auch die Ankunftszeit der Raumsonde beim Zielkometen ein wenig nach vorne. "Spacecraft performance has been excellent, and this burn was no different“, so der O-Ton von Rick Grammier, der als Deep-Impact-Projektmanager am JPL in Pasadena/Kalifornien (USA) arbeitet.

„Mit diesem Manöver haben wir unseren mit dem Hubble-Weltraumteleskop arbeitenden Freunden einen Platz in der ersten Reihe gesichert", erklärt Michael A'Hearn, der Deep Impact als leitender Wissenschafter betreut. "Hubble wird gemeinsam mit den Weltraumteleskopen Chandra und Spitzer sowie mehreren erdgebundenen Observatorien eine bestmögliche wissenschaftliche Auswertung dieses Zusammenpralls für unser Geld liefern."

Künstlerimpressionen einer künstlich herbei geführten lokal-kosmischen Katastrophe (Bild: NASA/JPL/UMD Artwork by Pat Rawlings)

Sollte Deep Impact in zwei Monaten seinem Auftrag gerecht werden, hätten Menschen erstmals eine nachhaltige Veränderung auf einem anderen Himmelskörper vorgenommen. Es wäre die Weltraumpremiere schlechthin, da zuvor noch kein anderes Raumfahrzeug die Oberfläche eines Schweifsterns je berührt hat. Bisherige Missionen wie Giotto (1986) zum Halley'schen Kometen und Deep Space 1 (2001) zum Kometen Borelli passierten ihre Zielobjekte in sicherer Entfernung.

Sicher ist in Bezug auf Deep Impact indes nur, dass der Forschungsroboter gezielt den Kontakt mit 9P/Tempel sucht, mit ihm auf Tuchfühlung und somit auf volles Risiko geht.