Mit dem IWF gegen den IWF

Wolfgang Schäuble und Jeroen Dijsselbloem. Bild: EU

Deutschland streitet weiter mit dem Währungsfonds um einen Schuldennachlass für Griechenland. Bei einem Treffen der Eurogruppe nahm der Streit, der offiziell gar keiner ist, groteske Züge an

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Dass Deutschland und der Internationale Währungsfonds (IWF) über Griechenland streiten, ist nichts Neues. Neu ist aber das Setting, mit dem dieser Streit am Dienstag bei einem Treffen der Eurogruppe ausgetragen wurde.

Da ist zum einen die ungewohnt kämpferische Haltung des IWF. Ohne spürbare Erleichterungen werde sich der Fonds nicht am aktuellen, dritten Hilfsprogramm beteiligen, hatte IWF-Chefin Christine Lagarde schon vor Wochen gewarnt. Am Montag, kurz vor dem Brüsseler Treffen, kamen dann die mit Spannung erwarteten Details.

Der IWF fordert unter anderem das Einfrieren der Zinsen bei 1,5 Prozent, längere Laufzeiten für die Hilfskredite und das langfristige Stunden von Zins und Tilgung. Die Erleichterungen müssten sofort beginnen und dürften nicht an irgendwelche Konditionen gebunden sein, fordern die IWF-Experten.

Ungewohnt nachgiebig präsentierte sich demgegenüber Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble zu Beginn des Treffens in Brüssel. "Wie wir es uns vor zwei Wochen vorgenommen haben, bin ich zuversichtlich, dass wir heute zu einem Abschluss kommen", sagte Schäuble.

Nach einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" hatte Kanzlerin Angela Merkel ihren Minister aufgefordert, den Streit nicht erneut aufflammen zu lassen. Bis zum G7-Gipfel in Japan müsse Griechenland "verarztet" sein, Schäuble solle sich um eine geräuschlose Lösung bemühen, so das Blatt.

Hintergrund ist das Versprechen der Kanzlerin an die CDU/CSU-Fraktion im deutschen Bundestag, Griechenland keinen Schuldenschnitt zu gewähren und auf keine Forderungen aus dem Schuldentilgungsplan zu verzichten. Merkel möchte um jeden Preis vermeiden, dass die deutschen Steuerzahler bluten müssen.

Demgegenüber fordert der IWF die Gläubiger und damit auch Deutschland auf, Griechenland massiv zu entlasten. Die Schuldenlast sei nicht nachhaltig und Athen brauche dringend Schuldenerleichterungen, heißt es in einer vorläufigen Nachhaltigkeitsanalyse des Währungsfonds in Washington.

Der IWF zweifelt zudem die Berechnungen der Eurogruppe zur Entwicklung der Schuldenquote an. Während die EU-Politiker von einem Rückgang der Schuldenlast ausgehen, fürchten die IWF-Experten einen Anstieg bis 2060 auf 260 Prozent der griechischen Wirtschaftsleistung.

Das Land müsse dann fast 60 Prozent seiner Wirtschaftsleistung allein für den Schuldendienst verwenden, warnt der IWF. Die Annahme der Eurogruppe, dass Griechenland dauerhaft große Primärüberschüsse im Staatshaushalt erwirtschaften könne (gemeint sind Überschüsse vor dem Schuldendienst) sei viel zu optimistisch.

Wollen Dijsselbloem und Schäuble einen "Grexit" riskieren oder provozieren?

Am Dienstag war zunächst unklar, wie dieser Streit gelöst werden könnte. "Wir haben keinen Streit mit dem IWF, sondern wir ringen um den richtigen Weg, was Griechenland kurzfristig und mittelfristig leisten kann", sagte Schäuble - um die Verhandlungen dann mit immer neuen Vorbehalten aufzuhalten.

Auch Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem erschwerte eine Lösung. "Es ist keine Option, ohne den IWF weiterzumachen", sagte der Niederländer. Indirekt drohte er damit mit einem vorzeitigen Aus für den laufenden, dritten Bailout für Griechenland.

Wollen Dijsselbloem und Schäuble also im schlimmsten Fall einen "Grexit" riskieren, vielleicht sogar provozieren? Oder versuchen sie, den IWF in ein offenbar zum Scheitern verurteiltes Programm zu zwingen, um den Schein zu wahren und einen Offenbarungseid zu vermeiden?

Bis zum späten Abend gab es auf diese Fragen keine Antwort. Nach siebenstündigen Beratungen unterbrach Dijsselbloem die Sitzung - offenbar, um neue gesichtswahrende Formelkompromisse zu suchen. Wie man den IWF bei der Stange halten, seine Forderungen aber zurückweisen kann, blieb sein Geheimnis.

Offen war auch, ob sich Schäuble mit seiner Idee durchsetzen könnte, mögliche Schuldenerleichterungen erst 2018 zu beschließen. Aus seiner Sicht hätte das den Vorteil, dass er sich bis zur Bundestagswahl 2017 nicht mehr bewegen müsste. Danach wäre er wohl nicht mehr im Amt - sein Nachfolger müsste dann die bitteren Pillen schlucken.

So oder so bleibt die harte, ökonomisch widersinnige deutsche Haltung das Haupthindernis für eine Lösung der griechischen Krise. Das zeigte sich auch bei der Debatte über das griechische Austeritätsprogramm.

Obwohl Premier Alexis Tsipras Sparmaßnahmen im Wert von 5,4 Milliarden Euro durch das griechische Parlament gepeitscht und einen noch nie dagewesenen Kürzungs-Automatismus eingeführt hatte (Griechenland: 99 Jahre Ausverkauf - alternativlos), forderten Schäuble und einige andere Finanzminister am Dienstag weitere Nachbesserungen.

Offenbar waren sie sowohl mit einem von Tsipras geplanten Solidaritätsfonds für Bedürftige als auch mit den in letzter Minute eingefügten Ausnahmen bei der Privatisierung unzufrieden. Außerdem wollten sie die zum Teil erst am Sonntag beschlossenen Kürzungen und Reformen noch im Detail prüfen lassen.

Daran werde die geplante Auszahlung eines neuen Hilfskredits von 10,3 Mrd. Euro an Athen zwar nicht scheitern, sagten Diplomaten am Rande des Eurogruppen-Treffens. Vermutlich werde die Hilfe aber in zwei Tranchen zerlegt, so dass Tsipras länger warten muss - und weiter vom guten Willen Deutschlands abhängig bleibt. Wie gehabt.