Mit einem Klick kann die Unschuld schon verloren sein

Der "Krieg gegen die Pornographie" wurde in den USA und in Kanada zum Schutz der Kinder und der Familien ausgerufen

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Kämpferisch ist man gerne in manchen amerikanischen Kreisen gesinnt. Daher führt man auch gerne Krieg gegen das Böse in der Welt. Vor dem Krieg gegen den Terrorismus gab es bereits den Krieg gegen die Drogen, aber auch den gegen die Armut oder den Krebs. Die Metapher musste auch schon herhalten, um einen Krieg gegen Copyrightsünder auszurufen. Jetzt haben sich im Bundesstaat Utah einige besorgte Organisationen und Politiker zusammen gefunden, um in die nächste Schlacht zu ziehen: in den Krieg gegen die Pornographie.

Für den US-Präsidenten, verstrickt im Krieg gegen den Terrorismus, der diesen mit der Besetzung des Irak freilich eher geschürt hat, mag der neue Kriegsruf eine Ablenkung darstellen, auch wenn er hier bereits vorgearbeitet hat und schon einmal im Oktober des letzten Jahres eine "Protection From Pornography Week" ausgerufen hatte. Dabei verwies er auf die Anstrengungen seiner Regierung, schärfer gegen Obszönität, Kinderpornographie und Sexualtäter vorzugehen und machte darauf aufmerksam, dass er das Gesetz zur Schaffung einer geschützten, mit dem Web nicht verlinkten Domain für Kinder unterzeichnet hat, die aber nicht wirklich erfolgreich ist (Virtueller Grünlichtbezirk für Kinder).

Aber das reicht den Konservativen nicht aus, denen der Kampf gegen das sexuelle Böse und für die sexuelle Moral bislang nicht wichtig genug genommen wird. Der Druck scheint tatsächlich groß zu sein, wenn man sich noch an den "Skandal" mit der entblößten Brust von Janet Jackson und die Nachwehen erinnert (Oh shit! Oh fuck!). Zudem mussten die Pornographiegegner gerade wieder eine Schlappe einstecken, da das Oberste Gericht Ende Juni entschieden hat, dass der schon 1998 noch von Präsident Clinton unterzeichnete Child Online Protection Act (COPA) gegen das in der Verfassung verankerte Recht auf freie Meinungsäußerung verstoße. Nach diesem Gesetz wäre es für kommerzielle Websites unter Strafandrohung verboten, Inhalte über das Internet ohne effektive Alterskontrolle anzubieten, die für Minderjährige - unter 17 Jahren - "schädlich" sind. Die Definition des "Schädlichen" oder "Anstößigen" ist dabei natürlich das Problem. Zudem soll die "globale Verbreitung" eingedämmt werden.

Der Hauptfeind für die Aktivisten des "Kriegs gegen die Pornographie" ist das Internet, von dem das Übel ausgeht. Wie anhand des Serienmörders Ted Bundy gesagt wird, führt ein direkter Weg vom Anschauen vom Pornographie, also vom Medium, zum Verbrechen. Über das Internet, so heißt es in einer von der Gruppe unterstützten Resolution von Kongressabgeordneten, das direkt in viele Millionen von Häusern reicht, geraten Kinder leicht in Kontakt mit Pornographie und können Jugendliche sie leicht finden. Und die Gefahr ist groß:

Mit nur ein paar Mausklicks können Kinder Inhalten ausgesetzt sein, die nie mehr aus ihren Köpfen gelöscht werden können.

Die Verführung ist also immens. Schon ein kurzer Blick auf das Werk des Teufels brennt die Verführung in die Seele ein: "Verlorene Unschuld kann nie mehr hergestellt werden." Um also die Kinder und Jugendlichen rein zu halten und die Familien zu schützen, muss gegen die Pornographie scharf vorgegangen werden. Und das hätten bei einer Umfrage 2002 auch 81 Prozent der Amerikaner gewünscht.

Wir loben die Regierenden unserer Nation für ihr starkes Engagement im Krieg gegen den Terrorismus, aber wir glauben, dass es einen Feind innerhalb unserer eigenen Gesellschaft und unseren Heimen gibt, der ein ebenso große, wenn nicht größeres Gemetzel als der Terrorismus verursacht: die Pornographie. Wir müssen unseren Regierenden dabei helfen, dies zu verstehen und dieselben, wenn nicht mehr Ressourcen aufzuwenden, um unsere unschuldigen Kinder und Familien vor den Brutalitäten dieses sehr süchtig machenden und zerstörerischen Mediums zu schützen.

Auch Pornographie kenne keine Grenzen und erfordere eine multinationale Arbeit. Mit dem War on Pornography" wollen die Organisatoren aus den USA und Kanada einen ersten Schritt dazu machen und zur "wichtigsten Kraft" in diesem Krieg werden. Im Visier steht dabei auch erneut der aus dem Jahr 1996 stammende Child Pornography Prevention Act, den US-Justizminister Ashcroft nicht durchsetzen konnte. Er hätte die Herstellung und Verbreitung von Bildern verboten, die sexuelles Verhalten von dem Eindruck nach Minderjährigen darstellen, was auch "virtuelle", mit dem Computer ohne Vorlage erzeugte realistische Bilder einschließt. Dem Obersten Gericht ist auch dies 2002 zu weit gegangen (Es gibt einen Unterschied zwischen Simulation und Wirklichkeit).

Tatsächlich dürfte es stimmen, dass Kinder und Jugendliche heute über das Internet leichter als zuvor an Pornographie herankommen. Und nichts dagegen zu sagen ist auch gegen die Initiative, eine Liste einzurichten, in die sich diejenigen eintragen können, die keinen Porno-Spam erhalten wollen.

Da aber die Minderjährigen zwischen 11 und 17 Jahren, wie die Gruppe selbst sagt, auch aktiv nach - nicht näher bestimmter - Pornographie sucht - 41 Prozent dieser Altersgruppe sollen dies machen - und zudem auch noch die Personengruppe darstellen soll, die am meisten Pornographie konsumiert, könnte man sich auch überlegen, ob es nicht Unterschiede zwischen 11- und 16-Jährigen gibt. Die Lösung des Problems scheint man aber darin zu sehen, dass es kein Problem gibt, wenn die unter 17-Jährigen einfach ihre "Unschuld" behalten, indem sie nichts Unzüchtiges zu sehen bekommen und so direkt von der asexuellen Kindheit in den Hafen der Ehe gelangen.

Weniger streng scheint man dabei aber beispielsweise mit der nichtsexuellen Gewaltdarstellung im Fernsehen oder der virtuellen Gewaltausübung in Computerspielen zu sein. Das scheint die Unschuld der Minderjährigen nicht mit Sucht zu bedrohen und Spuren in die Seele einzubrennen, während eine sekundenlang aufblitzende Brust dem Bösen Tür und Tor öffnet.

Die für Medienkontrolle zuständige Federal Communications Commission (FCC) beabsichtigt allerdings nicht nur die Äußerung der unanständigen F-Wörter in Rundfunk- und Fernsehsendungen zu ahnden - dazu gibt es auch einen Gesetzesvorschlag -, sondern auch profane Äußerungen, wozu nicht nur Blasphemie gehören soll. Um Klagen gegen unanständige Äußerungen zu forcieren, will die FCC die Sender verpflichten, Kopien aller Sendungen 60 bis 90 Tagen aufzubewahren.