"Mit jedem, nur nicht mit Al-Qaida"

Irak: Gescheiterte Bemühungen der USA, mit dem sunnitischen Widerstand zu verhandeln

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Nach dem Wirbel, den die skandalösen Umstände der Hinrichtung Saddam Husseins ausgelöst haben, kehrt die Aufmerksamkeit der Medien wieder zur neuen amerikanischen Strategie für den Irak zurück. Die Grundsatzrede von Präsident Bush dazu wird nächste Woche erwartet. Während sich die Kommentatoren derzeit daran machen, den Führungswechsel im US-Militärkommando auf Indizien für den neuen Kurs abzuklopfen, zeigt ein Bericht, der Anfang des Jahres erschien, dass Außenministerin Rice in den letzten Monaten 2006 bereits Möglichkeiten einer erweiterten Strategie versucht hat: die Einbindung des sunnitischen Widerstands, um die "Situation im Irak zu stabilisieren".

Um es gleich vorwegzunehmen, die Verhandlungen kamen, wie schon der Titel des Berichts - "Rice’s stillborn talks with the Iraqi resistance" andeutet, bislang nicht zustande. Interessant ist der Bericht des Conflictsforum trotzdem.

Einmal weil das Forum, welches sich seit 2004 dem Dialog mit islamischen Gruppen verschrieben hat – einer der Gründer, Alastair Crooke, plädierte schon vor Jahren dafür, "mit 'Terroristen' zu sprechen" - , offenbar über gute Kontakte zu entsprechenden Milieus verfügt und dadurch Einblicke in Hinterzimmerverhandlungen gewährt, über die man sonst nichts liest. Und weil der Bericht des Conflictsforum einen außenpolitischen Kurs der USA erkennen läßt, der auf eine Allianz mit sunnitischen Ländern der Region setzt und eher für einen Konfrontationskurs mit Iran spricht als für eine Annäherung.

In den letzten drei Monaten des Jahres 2006 hätten sich, so der Bericht, die Außenministerin und ihr Führungspersonal um den Aufbau einer "neuen Sicherheitsarchitektur" für den Nahen Osten bemüht. Ziele: den Druck auf Iran beibehalten und unter dem "schützenden Dach dieser Architektur" einigen Respekt für die USA angesichts der "kollabierenden Stellung im Irak" zu retten. Diese Sicherheitsfront, vom Verfasser "GCC-plus-two" genannt, also Bahrain, Kuwait, Oman, Qatar, Saudi Arabia, United Arab Emirates plus Ägypten und Jordanien, sei als Back-Channel benutzt worden, um Gespräche mit Vertretern des irakischen Widerstands zu führen.

"Jeder hochrangige Vertreter des Widerstands"

Die wichtigsten Treffen sollen nach Informationen, die der Reporter des Conflictsforum von einem irakischen Offiziellen bekommen hat, in Riad, Amman und Kairo stattgefunden haben. In Kairo soll Rice die Minister von Jordanien, Ägypten, Saudi Arabien and Katar zu einem privaten Treffen eingeladen haben. Dort soll sie ziemlich unverblümt Fehler der USA im Irak eingeräumt haben und um Hilfe zur Kontaktaufnahme mit Vertretern der irakischen Association of Muslim Scholars, der großer Einfluss und Nähe zum Widerstand im Land nachgesagt wird, gebeten haben.

Wenn die Informationen des Reporters zutreffen, soll sich die US-Regierung dazu bereit gezeigt haben, mit Harith al-Dari, dem Führer der AMS, und "jedem ranghohen Mitglied der Baathpartei oder jedem ehemaligen Führungsoffizier der irakischen Armee" über Wege zur Stabilisierung des Irak und der Beendigung des Widerstands zu sprechen. Jeder hochrangige Vertreter des Widerstands käme als Gesprächspartner in Frage, ausgeschlossen seien einzig al-Qaida-Mitglieder.

Bei seinen Reisen nach Saudi-Arabien, Jordanien und in die Emirate soll Harith al-Dari dann auch von Regierungsvertretern auf den Vorschlag von Rice angesprochen worden sein. Al-Dari soll jedoch sechs entscheidende Vorbedingungen für direkte Treffen mit amerikanischen Vertretern gestellt haben, die an den Nationalen Sicherheitsberater Stephen Hadley während seines Besuches in Riad im Dezember übergeben wurden. Hadley soll sie dann später dem kurdischen Präsidenten Barsani und Premierminister al-Maliki gezeigt haben.

Sechs Bedingungen

Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist, dass von der irakischen Regierung ein Haftbefehl gegen Harith al-Dari erlassen wurde – genau in diesem Zeitraum, als al-Dari auf Reisen war und mit den Vertretern der arabischen Regierungen sprach, im November letzten Jahres. Ein ziemlich eindeutiges Signal dafür, was die Regierung al-Maliki von al-Daris politischen Manövern hält.

Eher unwahrscheinlich auch, dass die Vorbedingungen, die al-Dari ausgearbeitet hatte, für die irakische Regierung und besonders für die schiitische Allianz zu akzeptieren wären: 1.Erweiterung der nationalen Versöhnung auf alle politischen Parteien einschließlich der wichtigsten Parteien der irakischen Widerstandsbewegung, 2.volle Amnestie für Mitglieder des Widerstands, 3. Beendigung der De-Baathifizierung incl. Rückkehr von Baathisten in frühere Positionen, 4. die sofortige Auflösung der Milizen und gerichtliche Verfahren für Führer von Todesschwadronen, 5. das Aufgeben aller föderalen Pläne, die zu einer Dreiteilung des Landes führen und 6. gerechte Verteilung der Öleinnahmen auf alle irakischen Provinzen. Ziemlich überraschend ist, dass in diesem Forderungskatalog der baldmögliche Abzug der Amerikaner aus dem Irak fehlt.

Zwar sollen nach weiteren Informationen des Conflictsforum einige Gespräche zwischen der AMS und Vertretern des irakischen Widerstands stattgefunden haben, wo sich diese dazu bereit erklärten, bei Erfüllung dieser Bedingungen am politischen Prozess teilzunehmen, allerdings rechnet niemand ernstlich damit, dass die USA oder die irakische Regierung sich auf diese Bedingungen einlassen würden.

Dass an politischen Konzessionen gegenüber ehemaligen Baathpartei-Mitgliedern kein Weg vorbei führt, um die Sunniten wieder in den politischen Prozess einzubinden, weiß Premier al-Maliki allerdings auch. Seine Vorschläge, die er kürzlich dazu präsentierte, dürften den Sunniten allerdings kaum reichen.

Blaupause für den Frieden

Die kriegerischen Konflikte zwischen Sunniten und Schiiten im Irak stehen auch im Zentrum eines umfassenden Vorschlags von Ali Allawi, früherer Verteidigungsminister im Irak und zur Zeit einer der Berater von Premier al-Maliki, der hohes Ansehen in westlichen Politikerkreisen genießen soll. Ali Allawi, Abkömmling einer einflussreichen schiitischen Familie im Irak mit weitreichenden verwandschaftlichen Beziehungen zu anderen irakischen Politikern, sieht durch den Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten die ganze Region in großer Gefahr und plädiert deswegen auch für eine mehrstufige, intensive Beteiligung von Regionalmächten an der Eindämmung des Krisenherdes Irak.

Sein Vorschlag, von der englischen Zeitung "Independent" enthusiastisch als "echte Blaupause für den Frieden im Irak" gerühmt, räumt den nicht-arabischen Regionalmächten Iran und der Türkei wichtige Positionen bei einer internationalen Absicherung des Irak ein. Um innenpolitisch Fortschritte zu machen, empfiehlt er eine Art selbstauferlegter Bescheidenheit für die drei großen irakischen Gruppierungen, die ihre Grenzen akzeptieren müssten.

Die Kurden sollten auf noch stärkere Bestrebungen Richtung Autonomie verzichten, die Schiiten sollten ihre Machtansprüche deutlich eindämmen und die Sunniten sich damit abfinden, dass sie ihre alte Machtstellung verloren haben, ohne Angst davor haben zu müssen, das sie künftig marginalisiert werden. Ob die Dezentralisierung des irakischen Staates mit neuen, starken Befugnissen für die Provinzregierungen, wie sie Ali Allawi vorschlägt, den mißtrauischen Sunniten, die sich bislang solchen Plänen verwehren, mit dem Versprechen auf gerechte Verteilung der Öleinnahmen schmackhaft gemacht werden kann, ist die große Frage – neben der ganz großen, ob es vielleicht schon zu spät ist.

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