Mitgliedschaft Light statt Vorwahl

Die SPD will gegen Geldzahlung Mitbestimmung anbieten

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Die SPD-Spitze hat beim Berliner Politologieprofessor Oskar Niedermayer ein Konzeptpapier bestellt und abgeholt, das derzeit für Aufsehen sorgt. Niedermayer empfiehlt der Partei nämlich, sich Kanzler- und Bürgermeister- sowie Bundes- und Landtagskandidaten zukünftig durch Listen empfehlen zu lassen, auf denen auch Personen ohne Parteibuch unterschreiben dürfen. Darüber, ob die Empfehlung umgesetzt wird, sollen weiter die traditionellen Gremien entscheiden.

Vorbild ist dabei weniger das amerikanische System aus geheimen Vorwahlen und öffentlichen Caucuses, als das der französischen Parti Socialiste (PS), bei dem die Teilnahmewilligen eine Gebühr zahlen und sich zu den Zielen der Partei bekennen müssen. Bei der SPD soll diese Gebühr bei 10 Euro liegen, weshalb Niedermayer selbst nicht damit rechnet, dass sich "Hunderttausende" an dem Verfahren beteiligen.

Damit erwartet er offenbar deutlich weniger als die 502.063 Mitglieder, die die SPD Ende letzten Jahres noch hatte. Allerdings lag die Mitgliederzahl früher einmal bei über einer Million. Und während Ende der 1980er Jahre 4,2 Prozent der Wähler in politischen Parteien organisiert waren, liegt dieser Wert heute bei nur mehr 2,5 Prozent. Ein Grund dafür ist die Erkenntnis, dass die Willensbildung innerhalb von Parteien nur theoretisch von unten nach oben und praktisch eher so funktioniert, wie dies in der britischen Serie Yes Minister ausgesprochen unterhaltsam beschrieben wird. Hinzu kommt, dass die archaische Pflicht zur physischen Anwesenheit und Diskussionen ohne Ignore-Liste die Mitarbeit in den meisten Parteien nur Menschen mit sehr viel Zeit und Geduld möglich ist.

Foto: Arbeitsgemeinschaft der Jungsozialistinnen und Jungsozialisten in der SPD in Nordrhein-Westfalen. Lizenz: CC-BY 2.0.

Die Generalsekretäre einiger Landesverbände wie Nordrhein-Westfalen und Hessen Bedenken bemängelten öffentlich, dass die Option die Mitgliedschaft noch weniger attraktiv machen könnte als bisher. Tatsächlich würde die neue "Mitgliedschaft Light" (auch wenn es viele Abstimmungen gibt) deutlich günstiger sein als die volle, die je nach Einkommen zwischen 2,50 und 245 Euro monatlich kostet. Niedermayer sieht darin eher eine Möglichkeit, Sympathisanten, aus denen später auch Vollmitglieder werden könnten, näher an die SPD heranzuführen.

Dass viele Landesverbände gegen die von Generalsekretärin Andrea Nahles und dem Bundesvorsitzenden Sigmar Gabriel propagierten Vorschläge sind, dürfte auch damit zusammenhängen, dass ein weiterer Teil des Reformpakets die Verringerung des Parteivorstands von jetzt 45 auf zukünftig etwa 30 Personen ist. Aufgrund der zahlreichen Quoten wären davon vor allem die größeren Landesverbände betroffen, die bisher mehr als einen Vertreter in dieses Gremium entsenden dürfen.

Vorreiter der Öffnung für Nichtmitglieder ist die Sigmar Gabriels Heimatkreis Goslar: Dort lief man bei der Landratskandidatenkür 2006 in fünf Vorstellungsrunden an verschiedenen Orten Nichtmitglieder kostenlos mit abstimmen und gewann die anschließende Wahl, wie der Bundesvorsitzende stets betont, "im ersten Wahlgang" und "gegen den Trend in Niedersachsen". Mit dafür verantwortlich könnte tatsächlich die große Aufmerksamkeit sein, die die SPD damals bekam.

Ein etwas anderes Experiment hat die bayerische SPD angekündigt: Sie will (auch aus Mangel an geeignetem und willigem Personal) Listen für Stadt- Gemeinde- und Kreistagswahlen zukünftig wesentlich stärker mit Personen ohne Parteibuch besetzen. Ob Nichtmitglieder über diese Listen auch abstimmen können, entscheidet sich voraussichtlich im Dezember. Bis dahin sollen die Diskussionen über die zehn Euro teuren Empfehlungsunterschriften bundesweit beendet sein und ein Parteitag die Regelung beschließen.

Unter den potenziellen SPD-Kanzlerkandidaten setzt sich bisher vor allem von Sigmar Gabriel für die neue "Urwahl" ein. Offen scheint jedoch, ob sie ihm wirklich mehr als anderen nutzen würde: Bundestagsfraktionsführer Frank-Walter Steinmeier etwa hat zwar die letzte Wahl in Bausch und Bogen verloren, schneidet aber in Sonntagsfragen als SPD-Kanzlerkandidat regelmäßig deutlich besser ab als Gabriel. Lachender Dritter könnte aber auch der ehemalige Finanzminister Peer Steinbrück sein, der sich vor zwei Wochen im Hessischen Rundfunk selbst als Kanzlerkandidat ins Spiel brachte und in einer Stern-Umfrage Bundeskanzlerin Angela Merkel im direkten Vergleich zwar mit 35 zu 40 Prozent unterlag, damit aber besser abschnitt als Steinmeier und Gabriel, die es nur auf 32 beziehungsweise 22 Prozent brachten. Noch deutlicher liegt der Parteivorsitzende allerdings zurück, wenn SPD-Anhänger nach ihrem Wunschkandidaten gefragt werden: Hier siegt Steinbrück mit 38 Prozent vor Steinmeier mit 32 und Gabriel kommt lediglich auf 8.

Den von Niedermayer postulierten Abschied von der Basta-Politik der Ära Gerhard Schröder", den die Reform "signalisieren" soll, verkörpert keiner dieser Kandidaten wirklich überzeugend – was wieder an Yes Minister erinnert, wo der von Nigel Hawthorne gespielte Sir Humphrey Appleby ausführlich erklärt, dass es bei einer vermeintlich aus der Hand gegebenen Entscheidung nur darauf ankommt, es so aussehen zu lassen, als hätte jemand eine Wahl, die es in Wirklichkeit gar nicht gibt, weil man beispielsweise absichtlich unattraktive Alternativen präsentiert.

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