Mobbing beim Zoll

Es knallt weiter – und nicht nur am Flughafen Frankfurt/Main

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Anfang Mai bekam Finanzminister Hans Eichel ungewöhnliche Post. Per Fax forderten Beamte des Hauptzollamtes Frankfurt-Flughafen die Abberufung ihres Dienstellenleiters Neßler. Sachgebietsleiter organisierten derweil eine Unterschriftenaktion pro Neßler, zur Unterzeichnung wurden Untergebene angeblich genötigt. Aber auch aus anderen Zollämtern werden seltsame Dinge berichtet. Jetzt hat der Skandal auch den Bundestag erreicht: Minister Eichel muss kritische Fragen beantworten.

Während von Bundesinnenminister Schily eine wahre Terrorhysterie geschürt wird, führen die für Waren- und Gepäckkontrolle zuständigen Zöllner auf Weisung ihrer wirtschaftsorientierten Vorgesetzen nur "Stichproben" durch und achten darauf, dass dabei der Warenverkehr nicht ins Stocken gerät. Ein Beamtenanwärter, der durch schnelles Handeln den Export von Zündvorsichtungen für Atomwaffen in den Iran verhinderte, soll entlassen werden, während einer seiner Dienstvorgesetzten angeblich über mehrere Jahre hin häufiger volltrunken durch den Airport wanken durfte, ohne auch nur mit einem Disziplinarverfahren bedacht zu werden. Dieser Beamte soll nun sogar als Lehrer an die Führungsakademie nach Münster-Hiltrup berufen werden. Fragen von Telepolis bezüglich dieses Beamten und der gegen ihn erhobenen Vorwürfe blieben bisher ohne Antwort.

Schwere Vorwürfe gegen den Chef

In ihrem Fax an den obersten Dienstherren Hans Eichel beziehen sich die Beamten auf zahlreiche Presseberichte, in denen

"über schwere Sicherheitsmängel und Schikanen gegenüber engagierten Kollegen berichtet wurde (...)"

Keine Kontrolle ist auch eine

Während sich die einen beim Minister beschweren, veranstalten die anderen eine Unterschriftenaktion, in der zur Solidarität mit dem Dienststellenleiter Hartmut Neßler aufgefordert wird. Dumm nur, dass diese Aktion unter der Überschrift "Schluß jetzt, es reicht" von Sachgebietsleitern initiiert wurde und die Listen den einfachen Beamten mit dem Hinweis auf mögliche negativen Folgen etwa bei Beförderungen zur Unterschrift vorgelegt wurden.

Die Unterschriftenaktion und eine entsprechende Homepage des Sachgebietsleiters der Abfertigungsstelle 5 (Überwachungsgruppe) beim Hauptzollamt Flughafen Frankfurt-Rhein/Main, Herrn Horst Wollstein, beschäftigt nun auch den Bundestag. Im Finanzausschuss wird Minister Hans Eichel dazu rund zwanzig Fragen des CDU-Abgeordneten Klaus-Peter Willsch beantworten müssen, der sich – in Verkehrung der sonstigen politischen Farbenlehre im Fall Frankfurt-Flughafen zum Anwalt der Gewerkschaften Verdi und GdP gemacht hat –, während Minister Eichel und seine Beamten Schulterschluss mit den Zolloberen und den sie unterstützenden eher konservativen Funktionären des BDZ im Beamtenbund praktizieren.

Verkehrte Welt

Willsch möchte von Eichel unter anderem wissen, wie die Bundesregierung den Internetauftritt Zoll-douane.de ("Internetseite gegen pauschale Verunglimpfungen und Verleumdungen") und die damit in Zusammenhang stehende Unterschriften-Initiative "Schluss jetzt” bewertet.

In diesem Zusammenhang wird weiterhin gefragt, ob es zutreffe, dass die Unterschriftenaktion auf einem Treffen der Sachgebietsleiter des Hauptzollamtes Anfang Mai verabredet wurde, zu der einer dieser Vorgesetzen sogar extra aus seinem Urlaub anreiste. Ferner soll Minister Eichel erläutern, wie die Bundesregierung

"die Tatsache wertet, dass die Vorwürfe von Teilen der Belegschaft und der Gewerkschaften GdP und Verdi gegen die Leitung des Hauptzollamtes am Flughafen Frankfurt-Rhein/Main und die zuständige Oberfinanzdirektion seit Monaten andauert und in den entsprechenden Medienberichterstattungen zugenommen hat? Welche detaillierten Maßnahmen (chronologisch und unter Nennung der Beteiligten auf ministerialer und Referatsebene des Bundesministeriums der Finanzen und der ihm untergeordneten Behörden) von wem unternommen wurden, um die Vorwürfe auf ihren Sachgehalt zu prüfen und ggf. aufzuklären?"

Gefragt wird ferner, ob der Bundesregierung der Umstand bekannt sei,

"dass durch die Leitung beziehungsweise. die zuständige Oberfinanzdirektion ein Disziplinarverfahren gegen ein Mitglied des Hauptpersonalrates beim Zoll betrieben wird, das sich in seiner Begründung wesentlich auf die Behauptung stützt, der Zollbeamte hätte seine Geheimhaltungspflichten verletzt, als er sich als Petent an einen Bundestagsabgeordneten gewandt hat? Wie verträgt sich diese Begründung mit dem Grundrecht eines jeden Bundesbürgers nach Art. 17 GG?"

In der Regierungsantwort könnte deutlich werden, wie sehr sich hohe Beamte des Ministeriums um Schadensbegrenzung bemühten, ohne jedoch die Missstände zu beenden und die dafür Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Stattdessen wurde mit teilweise recht fragwürdigen Methoden versucht, für Ruhe zu sorgen. So lud der für den Zoll zuständige Abteilungsleiter im Bundesfinanzministerium den Vorsitzenden der Bezirksgruppe "Bundesgrenzschutz" in der GdP, Josef Scheuring, zu einem Vier-Augen-Gespräch ins Ministerium, um Druck auszuüben mit dem Ziel, die Öffentlichkeitsarbeit der GdP über die Missstände beim Zoll zu beenden. Im Klartext: Die Gewerkschaft sollte sich gegenüber der Presse selbst einen Maulkorb verpassen.

Dieser Versuch des Ministerialbeamten schlug ganz offensichtlich fehl. Die Gewerkschaft der Polizei, die für den Zollbereich die Schaffung einer "Bundesfinanzpolizei" fordert und unlängst in Hannover in Anwesenheit der SPD-Abgeordneten Caren Marks und Horst Schild eine erste Kreisgruppe unter diesem Namen gründete, versteht sich als durchaus kämpferische Gewerkschaft, während die Ministerialbürokratie bisher nur den Umgang mit der Beamtenorganisation BDZ gewohnt war.

Schwarze Listen beim Zoll in Bayern

Während die Zustände in Frankfurt also bereits den Bundestag beschäftigen, sorgen BDZ-Funktionäre in Bayern für den nächsten Eklat. So führte ein gewählter Personalratsvorsitzender in einem Hauptzollamt penibel Buch über seine Kollegen, deren Interessen er als deren Vertreter eigentlich zu wahren hätte. Bedingt durch den Wegfall der Zollgrenzen standen mehrere Zollämter vor der Auflösung, so dass sich die dort bisher tätigen Beamten auf andere Stellen bewerben mussten.

Um nun seine Kollegen vor allzu aufsässigen Beamten rechtzeitig zu warnen, reichte der wackere BDZ-Aktivist seine Erkenntnisse an seine BDZ-Kameraden weiter. So erhielt ein mit Personalangelegenheiten befasstes BDZ-Mitglied beim Zollfahndungsamt München eine Personenliste mit E’s Bewertung im Rahmen – wie E.’s Anwalt betont - eines "persönlichen sowie privaten Kommunikationsvorgangs".

So hieß es über einen Beamten aus dem Zollamt Eschlkam:
"War OV Vorsitzender in Lam. Aus unerfindlichen Gründen ausgetreten. Könnte zur GdP tendieren"
Eine Bemerkung, die den so beurteilten Beamten bei Vorgesetzten mit BDZ-Mitgliedschaft die Karriere kosten kann.

Ein Beamter aus Weiden wird folgendermaßen bewertet:
"Wechselhafter Kollege. War in Dortmund mit dabei. Kein gestandener BDZler. Bei PR-Wahl nicht gewählt"
(Gemeint ist die Personalratswahl)

Einen weiteren Beamten, der sich bei der Zollfahndung beworben hatte, versah H. E. mit dem Hinweis:
"War BDZ-Mitglied. M.E. nicht für den Fahndungsdienst geeignet. Bei PR-Wahlen nicht gewählt.

Auf die Frage, woher er denn wisse, ob jemand an den Personalratswahlen teilgenommen habe, ob er damit nicht das Wahlgeheimnis breche, entgegnete E’s Anwalt:

"Eine Geheimhaltung von Wahlunterlagen war oder wird durch den vorliegenden Vorgang nicht berührt, da unserem Mandanten die entsprechenden Informationen aus offen zutage getretenen Quellen und aus der Erinnerung heraus bekannt waren. Schließlich und endlich verwahrt sich unser Mandant nachdrücklich gegen die in Ihrem Schreiben enthaltene Unterstellung der angeblichen Vornahme von Bespitzelungen anderer Personen."

Des Weiteren meinen E’s Anwälte, ihr Mandant brauche sich gegenüber dem anfragenden Autor gar nicht zu äußern. Da es sich um eine private Korrespondenz gehandelt habe "besteht weder eine Möglichkeit noch eine Veranlassung, die Vorgänge zum Gegenstand einer Erörterung mit (ihm) als Außenstehenden zu machen." Der Anwalt weist den Autor "unabhängig davon darauf hin, dass die einschlägige Datei dieses einmaligen Kommunikationsvorganges zwischenzeitlich gelöscht sei".

Immerhin – einer der von E. bewerteten Beamten wird dem Anwalt sicher zustimmen. Über ihn heißt es in dem Dossier:
"Gestandener BDZler".