Modi-Faschismus: Indiens unfairste Wahlen seiner Geschichte

Seite 2: Terror und Finanzkrieg

Es gab mindestens 2.000 überwiegend muslimische Tote, zahllose Vergewaltigungen, Zerstörung von etwa 270 Moscheen und islamischen Heiligtümern, Plünderung tausender muslimischer Geschäfte und Vertreibung von schätzungsweise 150.000 Menschen.

Modi verharmloste die Gewaltwelle als "gerechtfertigten Volkszorn". Aber das organisierte Vorgehen der gewalttätigen Gruppen und die Untätigkeit der Polizei "deuteten für viele Beobachter auf eine vorherige Planung der Attacken" hin (so Gottschlich 2018) – was auch an die Jakarta-Methode denken lässt, die auf Hass und Pogrome setzt, um faschistische Regime zu befördern.

Doch neben Gewalt setzt die BJP bislang hauptsächlich auf Law-fare und Finanzterror.

Indiens größte Oppositionspartei, die Kongresspartei, beklagt sich derzeit, dass die zentrale Steuerbehörde auf ihren Bankkonten Millionenbeträge eingefroren habe. Mitten im Wahlkampf ein gravierender Eingriff in die Demokratie.

Auf einer Pressekonferenz beschuldigten führende Vertreter der Kongresspartei die BJP-Regierung, so der Guardian, die Opposition vor den Wahlen durch "Steuerterrorismus" ausschalten zu wollen. Auf der einen Seite Straßenterror gegen Minderheiten und Law-fare gegen die Opposition, auf der anderen religiös unterlegter Personenkult – wie passt das zusammen?

Hindutva – Safran-Faschismus und Überlegenheitskult

Schon die neo-hinduistischen Reformbewegungen strebten danach, eine vermeintlich glorreiche "arische" Zivilisation wieder aufleben zu lassen, die im Laufe der Jahrhunderte degeneriert sei. Schuld daran wäre die Fremdherrschaft durch die muslimischen Mogulkaiser und dann durch die christlichen Briten gewesen.

Ashok Kumbamu spricht in seinem Beitrag zu einem wissenschaftlichen Sammelband über Autokratien, Neoliberalismus und Faschismus von einer "victimhood propaganda" und stellt die Bewegung in die Tradition der deutschen Nazi-Partei – auch Hitler sah die Deutschen als Opfer der Alliierten, Juden, Kommunisten.

Vinayak Damodar Savarkar war der vielleicht wichtigste ideologische Vordenker des modernen Hindu-Nationalismus und sein 1923 wie Hitlers "Mein Kampf" in Haft verfasstes Buch "Hindutva: Who is a Hindu?" wurde Grundsatzprogramm des politischen "Hindutums" (Hindutva).

Hindutva und Nazitum

Bereits 1925 wurde, vermutlich auf Anregung Savarkars, die hindu-nationalistische Kaderorganisation Rashtriya Swayamsevak Sangh (RSS, "Nationaler Freiwilligen-Bund") gegründet, die von Gottschlich für die deutsche Bundeszentrale für politische Bildung mit der in Ägypten gegründeten Muslimbruderschaft verglichen wird

Der langjährige RSS-Führer Mahadev Sadashivrao Golwalkar ließ sich, so Kumbamu, von Nazi-Deutschland inspirieren. 1939 – als in Hitler-Deutschland Juden bereits drangsaliert, vertrieben oder ermordet wurden – pochte Golwalkar in seinem Buch " We, or Our Nationhood Defined" auf die Reinheit von Kultur und Rasse und wollte von Hitler lernen.

Er machte die Hindutva zu einer Bewegung der Politik des Hasses, zum Kern eines hindu-fanatischen Safran-Faschismus. Derweil machte man sich 1943 in Hitlers Großdeutschland noch Sorgen über negrid-rassische Beimischungen in den Arier-Rassen Indiens (Glasenapp 1943, Neuauflage Stuttgart 1955, S.9).

Mord an Gandhi und Aufstieg der BJP

Mahatma Gandhi, seit Jahrzehnten führender Kopf des Kampfes für Indiens Unabhängigkeit von London, weigerte sich hingegen, die indische Nation mit einer einzigen Religion oder einer einzigen Sprache gleichzusetzen. Nach der Ermordung Gandhis durch einen RSS-Attentäter 1948 wurde der RSS kurzzeitig verboten, blieb aber bestimmende Kraft des rechten Hindu-Nationalisten-Flügels.

Die 1951 gegründete hindu-nationalistische und RSS-nahe Partei Bharatiya Jana Sangh (BJS, "Indische Volksvereinigung"), direkte Vorgängerorganisation der heutigen BJP, blieb weitgehend wirkungslos. Die Verantwortung für die Ermordung Mahatma Gandhis wog schwer und konnte erst mit der Gründung der BJP 1980 vertuscht werden.

Danach entwickelte sich ein schleichender Faschismus vor allem in den nördlichen Bundesstaaten, wo heute Modis Hauptwählerbasis liegt. Modi machte die Hindutva zur Staatsräson und stellt sich damit hinter eine Bewegung, die manche mit dem deutschen Nazitum vergleichen:

In Safran gekleidete Bürgerwehr- oder paramilitärische Gruppen (ähnlich Hitlers Sturmabteilung, den "Braunhemden"...), die mit Hindutva-Organisationen verbunden sind, haben zugenommen und an Stärke gewonnen. Ihr oberstes Ziel ist die Errichtung eines Hindu Rashtra (Hindu-Nation). Um ihr Ziel zu erreichen, haben sie eine Kultur der Gewalt und der Angst geschaffen, indem sie ihre vermeintlichen Feinde angriffen und töteten: Muslime, Christen, Dalits (die sog. Unberührbaren), Kommunisten, Rationalisten, Säkularisten und sogar Bürger- oder Menschenrechtsaktivisten (...). Daher bezeichne ich die faschistische Haltung der Hindutva als Safran-Faschismus ...

Ashok Kumbamu 2020, S. 162

Kumbamu sieht in Modi einen Apologeten sowohl der faschistoiden Hindutva wie des ausbeuterischen Neoliberalismus, der Indiens BIP zwar gesteigert habe, aber auf Kosten unbeschreiblichen Elends der Massen.

Sozial-ökologische Katastrophe und Jakarta-Methode

Auch der eingangs zitierte Ramachandra Guha sieht heute eine soziale Katastrophe in der immer weiter klaffenden Schere von obszönem Reichtum und Massenarmut, neben einem von rücksichtslosen Konzernen verursachten ökologischen Desaster.

Indiens Luft gilt in vielen Städten als kaum noch atembar, Boden und Wasser werden in unvorstellbarem Ausmaß geplündert und verseucht. Die digital optimierte Ausbeutung von Mensch und Natur ist Ziel des Neoliberalismus, in Indien wie im Westen, wo Indien nur punktuell Beachtung findet. Von den bedeutenden maoistischen Aufständen in Ost- und Mittelindien 2009 (Rothermund S.120) hat man kaum je gehört, und viele kennen von der reichen indischen Kultur kaum mehr als Yoga und das Kamasutra.

1984 grämte sich der berühmte Theologe Hans Küng mit seinem Ko-Autor Stietencron noch über eine vermeintliche Ausbreitung indischer Kultur im Westen, wo man Yoga und Meditation aber "nur als Fitnesstraining und als äußere Technik zur Abwehr von Stress" nehmen würde (S.24).

Mit Yoga im aktuellen Achtsamkeitshype neoliberaler Selbstoptimierer schließt sich der Kreis des Übermenschenkults. Dessen Hindu-Version sieht Ashok Kumbamu als Reaktion des Safran-Faschismus auf das sozial-ökologische Versagen von Modis Neoliberalismus in Indien.

Seine Warnungen vor dem neoliberalen Safran-Faschismus sind leider ernstzunehmen. Schlimmer noch: Bislang gibt es einiges, was an die Jakarta-Methode erinnert, die stets Hass und Pogrome schürte, um faschistische Regime zu befördern – wie etwa jenes von Suharto in Indonesien. Hoffen wir, dass Indien dem propagandistischen Sog der Gewalt widerstehen kann.

Quellen zum Weiterlesen

Ellis-Petersen, Hannah: ‘BJP versus democracy’: India’s opposition alliance cries foul as election nears, Guardian, 9.4.2024

Glasenapp, H.v.: Die Religionen Indiens, Kröner Verlag Stuttgart 1955 (Or.1943).

Gottschlich, Pierre: Hindu-Nationalismus. Indien auf dem Weg in einen Hindu-Staat?, BPB 23.11.2018

Guha, Ramachandra: Modis neues Indien: Von der Demokratie zum Hindu-Reich, Blätter für deutsche und internationale Politik, April 2024, S.83-95.

Kumbamu, Ashok: Saffron Fascism: The Conflux of Hindutva Ultra-Nationalism, Neoliberal Extractivism, and the Rise of Authoritarian Populism in Modi's India, in: Berch Berberoglu (Editor), The Global Rise of Authoritarianism in the 21st Century: Crisis of Neoliberal Globalization and the Nationalist Response, Routledge, NY & London 2020, pp.161-179.

Küng, Hans und H.v. Stietencron: Christentum und Weltreligionen II – Hinduismus, Pieper 1984, 2. Aufl. GTB München 1991.

Petersmann, Sandra: Indien. Die heilige Kuh und der mordende Mob, DLF 04.08.2016.

Rothermund, Dietmar: Geschichte Indiens. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, C.H.Beck, München 2010.

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