Mord, Militär und Männlichkeit

How Iraq was won: Paul Haggis "In the Valley of Elah"

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Ein Heimkehrer-Drama, eine klassische Vater-Sohn-Geschichte, wie sie Hollywood so liebt. Paul Haggis' Film "In the Valley of Elah" zeigt, was die Konfrontation mit dem täglichen Grauen im Irak-Krieg aus den US-Soldaten macht: Monster ohne Mitgefühl. Der seit 6. März in deutschen Kinos laufende Film ist die Geschichte einer moralischen und seelischen Deformation - das erste Beispiel für Hollywoods beginnende Beschäftigung mit der Realität des Irak-Krieges.

Freedom is on the march, and we’re safer because of it.

George W. Bush im September 2004

Es steht dem Kino des Westens gut an, sich endlich auch seinen eigenen aktuellen Kriegen zu widmen. Die Schreckenstarre nach den 9/11-Attentaten hat sich schon sein einiger Zeit gelöst, und nach Filmen, die Terrorismus und Krieg eher versteckt und metaphorisch thematisierten, und nach einigen Projekten mit Exploitation-Charakter kommt nun aus Hollywood ein ganzer Schwung ernstzunehmender Kinofilme zum Irak-Krieg auf die Leinwände. Nach der "Vorhut" in Form diskursiver "Thesenfilme" - etwa Robert Redfords Von Löwen und Lämmern - oder eher indirekter Behandlungen des laufenden US-Interventionismus - wie Mike Nichols Charlie Wilson's war - die vornehmlich in Abgeordnetenbüros und Washingtoner Hinterzimmern spielten, aber bewusst den direkten Blick auf Krieg und Leid, Blut und Bomben vermieden, und nach Filmen, die völlig imaginäre Gewaltphantasien zeigen - z.B.: "Operation: Kingdom" -, kommen in den nächsten Monaten nun auch Werke ins Kino, die immer deutlicher und direkter auf die schockierende Realität des Irakkrieges blicken.

Alle Bilder: Concorde

Alle diese Filme, die im weitesten Sinne vom Irak-Krieg handeln, treffen auch moralisch ins Herz unserer eigenen Gegenwart: Sie nehmen grundsätzlich die Perspektive eines westlichen Publikums ein, sie gehen von unseren Erfahrungen aus, und sind gerade deshalb deprimierend, weil sie keinen Ausweg gestatten, sondern die Schande und die Infamie offen legen, mit denen die westlichen Gesellschaften derzeit ihre eigenen Prinzipien - Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Menschrechte, Anti-Rassismus - mit Füssen treten.

Die anfängliche Naivität und allmähliche Erschütterung der Heimatfront

Den Anfang macht In the Valley of Elah von Paul Haggis, der vor allem als Drehbuchautor renommiert ist - unter anderem von "Million Dollar Baby", jetzt schreibt er das Script für den zweiten James-Bond-Film in Folge - und vor drei Jahren mit "L. A. Crash" überraschend den Oscar gewann. "In the Valley of Elah" ist im Vergleich zu den gleichfalls 2007 fertiggestellten und noch ins Kino kommenden Filmen Redacted von Brian DePalma und Battle for Haditha vom britischen Dokumentarfilmer Nick Broomfield eher verhalten in der Darstellung der Kriegswirklichkeit. Der Film nimmt vor allem die moralischen und psychologische Folgen des Krieges und die anfängliche Naivität und allmähliche Erschütterung der US-amerikanischen Heimatfront ins Visier.

Der Krieg wird auch hier vor allem indirekt gezeigt, in den Spuren, die er in den Köpfen und Herzen der Menschen hinterlässt, auch jener, die nicht direkt an der Front waren, und in ihren Gesichtern; richtig gezeigt - und das Zeigen ist immer noch das erste Mittel des Kinos - wird der Krieg selbst nur in kurzen Momentaufnahmen als Rückblende, in Bildfetzen und Erinnerungen - in den Köpfen der Menschen aber ist er allgegenwärtig.

American Dad

Tommy Lee Jones spielt einen Soldaten im Ruhestand und Vietnam-Veteran, dessen Sohn, auch er ein Soldat, kurz nach seiner Rückkehr aus dem Irakkrieg als vermisst gemeldet wird. Der Vater macht sich voll böser Vorahnung selbst auf die Suche und im Laufe dieser Reise wird er nicht nur den Sohn beerdigen, sondern sich neben eigenem Versagen auch eingestehen müssen, dass der Mensch, den er gekannt und geliebt hat, durch den Krieg unrettbar zerstört wurde - ähnlich wie möglicherweise jene Gesellschaft und jene politischen Ideale, für die Vater und Sohn gekämpft hatten. Weil die Suche überdies auch kriminelle Strukturen bei der US-Armee zutage fördert, ist der Film teilweise ein Thriller, und Jones zur Seite steht noch eine schöne Kommissarin in der Army-Männerwelt, gespielt von Charlize Theron.

Formal hält sich Haggis' auf HD gedrehter Film an die Konventionen Hollywoods, scheut auch vor Kitsch nicht zurück, und macht es damit dem Mainstream-Publikum viel leichter, das Thema viel verdaulicher als alle Filme zuvor. Dazu gehört, dass wir hier einmal mehr jener uramerikanischen Konstellation der Väter und Söhne, jener Kino-Lieblingsfigur des American Dad, der seine Kinder nicht im Stich lässt, treffen. In diesem Fall bekommt der American Dad immerhin versteckte Brüche, hat die Züge eines Zwangsneurotikers, wenn man sieht, wie er sein Auto anhält, um erstmal eine falsch gehängte Flagge in Ordnung zu bringen, wie er später auch sein Bett zusammenfaltet. Eine Identifikationsfigur für Konservative, wie er betet vor dem Essen, wie er Kindern aus der Bibel erzählt, dem alttestamentarische Wahrheiten zudem wie die Geschichte von David gegen Goliath, denn nicht nur ein guter Ami überwindet seine Furcht.

"You have no idea, what we were doing there."

Schon in den ersten Minuten merkt man auch, dass dies ein gut komponiertes Drehbuch ist. Der Film fängt überaus ruhig an, holt mit langem Atem aus. Der Vater beginnt wie ein Detektiv mit der Spurensuche und begegnet dabei lauter braven, guten, netten Amerikanern, die mit sich im Reinen sind. Überall läuft der Fernseher und überall sieht man dort das Gleiche: den Irak in den Nachrichten. Wir erfahren irgendwann, dass Jones' ältester Sohn schon vor längerer Zeit gestorben ist, und bald darauf kommt die Gewissheit: Auch der jüngere Sohn ist tot, mit 42 Stichwunden gemordet. "Both of my boys died, you could have left me one", sagt die Mutter am Telefon - Abgründe tun sich auf.

Und dann mehren sich die Indizien für andere Realitäten, für die Wirklichkeit des US-Soldatenlebens: "Drogen? Nicht mehr als die anderen." Die Bars neben den Kasernen mit ihrer Aufschrift: "Cool beer, hot girls", das Leben aus Saufen und table-dance-Schuppen, wo die Jungs abhängen. Eine Armee aus Verlierern und Verbrechern; letztere gingen in Armee, um ihrer Strafe zu entgehen und machen dann dort wo man sie hinschickt, noch Schlimmeres als das, wofür man sie zuhause bestrafen wollte. Und die Armee agiert als Staat im Staat und vertuscht alles. "You have no idea, what we were doing there", sagt ein Kreiegskamerad des Sohnes. Doch allmählich bekommt der Vater eine Idee. "Torturing a prisoner, … it was pretty funny. … so he got his name Doc…"

Soldaten, die Leichen umarmen

Grundlage des Drehbuchs von Paul Haggis ist die wahre Geschichte des Gefreiten Richard Davis, der nach seiner Rückkehr aus dem Irak-Krieg auf bestialische Weise ermordet wurde. Erst nach Ermittlungen des Vaters wurde der Fall offiziell untersucht. Für seinen Film hat Haggis lange und intensiv in der Armee recherchiert. Kern der Geschichte sind viele Interviews, die er mit Heimkehrern aus dem Irak-Krieg führte:

Ich habe mir angehört, was sie erlebt haben. Es ist unfassbar und unmenschlich. Dieser Krieg findet in den Städten statt, und wir wissen seit 2000 Jahren, was urbane Kriegsführung bedeutet: feindliche Soldaten, die sich gegenüber stehen - und dazwischen schutzlos die Zivilbevölkerung. Die Medien zeigen diese schrecklichen Dinge erst gar nicht, nur die Soldaten filmen so etwas und stellen die Videos ins Netz, da sind sie mir aufgefallen. Junge Typen, die Bilder aus dem Irakkrieg mit Pop- und Rocksongs unterlegen. Aber auch Bilder von Soldaten, die Leichen umarmen und mit verbrannten Leichen posieren oder nach den Händen der Toten greifen. Ich sagte mir immer wieder, eigentlich weiß ich genau, dass diese Männer und Frauen im Grunde gute Menschen sind. Und dennoch sind sie so abgestumpft gegen die Gewalt. Sie tun so, als ob ihnen jemand gerade einen echt guten Witz erzählt hätte.

Soldaten kehren als Killermaschinen zurück

Haggis' Film macht wenig Kompromisse, betreibt Aufklärung mit den Mitteln des Mainstream. Es wird unübersehbar: Der Irakkrieg zerstört nicht "nur" das Land im Orient, er korrumpiert Herz und Hirn der USA. Trotzdem funktioniert "In the Valley of Elah" vor allem als Thriller, als Irak-Film dagegen nicht wirklich. Denn bei allem Mut bleibt der Film zu feige, was sein Thema angeht. In einer Nebengeschichte tötet ein anderer Kriegsheimkehrer seine Frau. Ein Schock. Doch der genügt nicht, um den entscheidenden Punkt für diese Szene stark genug zu machen: Statistiken belegen, dass Gewalt bis hin zum Mord in Familien von US-Army-Angehörigen, die aus dem Irak heimkehren, um ein Vielfaches höher ist als üblich. Die Soldaten kehren als Killermaschinen zurück und töten im Extremfall ihre Familien.

Dies streift der Film aber wie andere, schockierende Punkte der Handlung nur am Rande, blendet es schnell wieder aus, oder hält es bewusst im Unklaren. Der Film verkauft vergleichsweise banale und längst bekannte Einsichten zum Krieg als wagemutige Urteile und übersieht alles, was verstörender ist. Zudem entzieht er sich dem Filmischen, dem Visuellen, der Brutalität der Bilder. Letzteres muss nicht notwendig die Darstellung von Gewalt und Leid, von Tod, Verwundung und Verkrüppelung bedeuten. Genauso bedeutet es auch die Primitivität der Soldaten zu zeigen, sie nicht "vor sich selbst" zu schützen.

Weiße Männer und ihre Leiden

Die Aufklärung mit den Mitteln des Mainstream hat noch andere Grenzen: Nicht nur durch die Oberfläche des Schuld-und-Sühne-Drama' völlig ausgeblendet, sondern völlig unreflektiert bleibt in diesem Film der ganze Zusammenhang von Mord, Militär und Männlichkeit. Dabei erzählt dieser Film gerade davon viel mehr, als er möchte: Denn dieser American Dad ist bei näherem Hinsehen keineswegs so sympathisch und unschuldig, wie Tommy Lee Jones' Gesicht mit seinen vielen Sorgenfurchen und sein Regisseur/Drehbuchautor Haggis uns erzählen möchten.

Ganz konzentriert kreist der Film um Männer, weiße Männer und ihre Leiden, aber an den Rändern des Films erzählt er doch versteckt davon, was diese weißen Männer einander antun, den Frauen, mit denen sie zu tun haben ,und den Angehörigen anderer Hautfarben, Ethnien und Kulturen. Der Rassismus des Militärs bleibt auch hier außen vor.

Der von Jones gespielte Hank Deerfield ist ein Vater, der seine Familie immer wieder im Stich gelassen hat. Der Film zeigt Varianten des im-Stich-lassens, die vor allem immer wieder die Frauen treffen. Hanks Frau Joan (Susan Sarandon) wird von ihrem Mann noch im Stich gelassen, als der zweite Sohn beim Militär den Tod findet. Er kann ihr keinen Trost geben, außer dem Versprechen den Fall zu lösen. Da ist sie, die alte Lüge Hollywoods, es genüge, seine Pflicht zu tun, die Wahrheit herauszufinden, um auch Trost und Frieden zu finden. Aber dies genügt allenfalls für Hank selber, der mit dem Finden der Wahrheit immerhin sich als Mann wieder finden und herstellen kann.

Damit trägt er auch eigene Schuldgefühle ab: Denn aus den Rückblicken dieses Films wird klar, dass Sohn Mike den Vater kontaktieren wollte, Hilfe suchte oder zumindest einen Gesprächspartner, und dass er diese Hilfe beim Vater nicht fand - der berief sich nur auf die patriotische und patriarchale Pflicht. Hier macht der Film klar, dass Jones/Deerfield und seine Ansichten nicht Teil der Lösung sind, sondern Zentrum des Problems.

Wer ist hier David, wer Goliath?

Indirekt zeigt dies auch das Portrait von Emily Sanders (Charlize Theron): Die hartnäckige Detektivin ist auch eine alleinerziehende Mutter - aufgegeben vom Kindsvater, wie ihr gemeinsamer Sohn - und die einzige Frau in einer Männerwelt - immer wieder im Stich gelassen von ihrem Chef, von ihren Kollegen. Gegenüber ihr argumentiert Hank anfänglich noch, sie könne nicht verstehen, was es heißt, im Einsatz als Teil einer Einheit zu stehen. Dabei begreift Hank nicht, dass Emily selbst Teil einer Einheit ist, die sie aufgegeben hat, ihr, weil sie eine Frau ist, die Kameradschaft verweigert. Im Untergrund männlicher Loyalität steht grausamer Kampf ums Dasein.

Es wird ein Kampf ums Überleben in der Figur einer jungen Frau, die plötzlichen ihren Freund fürchtet, nachdem dieser aus dem Irak zurück ist. Eine ganz interessante Zusatzinfo zu diesem Film zeigt, dass diese Einsicht auch für die Filme selbst gilt. Offenbar hat Haggis nämlich aus dem fast fertigen Film noch eine ganze, etwa 20-minütige Episode herausgeschnitten. In der hat der US-Soldat und Jones-Sohn, der als "Doc" im Irak ein berüchtigter Folterknecht wurde, in der ursprünglichen Fassung noch eine Freundin, die auch Soldatin bei der Armee ist. Ob der Film dadurch wesentlich verändert wurde, ist schwer zu sagen. Aber die Information macht doch wieder klar: Wenn es um Gewalt geht, dann ist das im US-Kino Männersache. Wenn es darauf ankommt, opfert man die Frauen.

Interessant ist in diesem Zusammenhang übrigens die Reaktion deutscher Filmkritiker auf den Film. Während US-Kritiker, gerade die Renommiertesten unter ihnen den Finger auf die Wunde legten und die Schwächen des Films, ungeachtet politischer Sympathien, offen ansprachen, zeigt die deutsche Filmkritik wieder einmal ihre weinerliche Liebe zum Weinerlichen. Auffallend oft wurde der Film von Frauen besprochen, und gerade auch Frauen sind es, die diesen Film jetzt loben, das zum hunderttausendsten Mal aufgeführte Vater-und-Sohn-Drama schätzen, und den Film zudem noch gegen DePalmas "Redacted" ausspielen.

Vielleicht ist dies alles sowieso ein Klischee: Der Soldat, für den Ordnung alles ist, der vor jeder Mahlzeit betet, seine Schuhe putzt und sein Bett pedantisch macht, der gute Spießer. Und der gute Patriot, der nicht schlafen kann, weil die Fahne unordentlich hängt. Genaugenommen ist auch das David-und-Goliath-Motiv, das den Film durchzieht, recht fragwürdig: Der Film ist nach dem Tal benannt, in dem laut dem biblischen 1. Buch Samuel 17:2 der junge David den Riesen Goliath bezwang. Aber wer ist hier David - der Sohn, die Iraker, der Vater?, wer Goliath?

Der Film erstickt in seinem eigenen Ernst. Und er liebt sich selbst. Und er ist feige, indem er sich und seine Hauptfigur nicht der Erfahrung stellt, der Sohn/Soldat könne Kriegsverbrechen begangen haben, der Erfahrung, dass auch aus guten Kindern Monster werden können.

Bush schadet auch Hollywoods Geschäften

Das Engagement der Filmindustrie kommt spät, aber in Filmen wie diesem beginnt sich Amerika einzugestehen, dass es einen kriminellen Krieg führt, dass seine Soldaten morden und foltern. "Ihr habt keine Vorstellung davon, was wir dort machen", fasst es eine Filmfigur zusammen. Aber beinahe alle dieser Filme laufen - trotz renommierter Namen und ähnlich wie bereits der erwähnte Redford-Film - schlecht an den amerikanischen Kinokassen.

Vielleicht kommt der Film für Amerika immer noch zu früh. Das US-amerikanische Publikum ist noch längst nicht bereit, sich mit einem Film auseinanderzusetzen, der direkt vom Irak-Krieg handelt - wie Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Die kritischen Vietnam-Filme wie "Apocalypse Now" kamen erst nach Ende des Kriegs ins Kino.

In Kriegszeiten ist das Kino eine Spaßmaschine und ein Ablenkungsapparat. Zudem schlägt sich der Krieg und die amerikanischen Verbrechen im amerikanischen Alltag kaum nieder. Der Irak liegt in exotischer Ferne und berührt die Amerikaner kaum. Opfer werden von ihnen nicht verlangt.

Wenn Hollywood trotzdem solche Filme macht, liegt dies daran, dass Bush auch Hollywoods Geschäften schadet. Aber der Kern der Probleme bleibt unberührt. Denn das wahre Problem ist ja noch nicht einmal der Skandal, dass Bush 2004 wiedergewählt wurde. Das Problem ist, dass er nicht mit Schimpf und Schande davongejagt wird, obwohl er noch nicht ein einziges Begräbnis eines gefallenen Soldaten besucht hat. Und dass Clinton wie Obama bisher kein einziges klares Wort gegen Folter gefunden haben oder gegen Guantanamo. Stattdessen reden sie vage und halbherzig von "Rückzug" - der praktisch unmöglich ist - und fordern mehr Engagement der Europäer.