Mord in Danzig: Was geschieht nach der Trauer-Phase?

Demonstration am 14. Januar nach dem Anschlag auf Pawel Adamowicz. Bild: Stiopa/CC BY-SA-4.0

Es besteht wenig Grund zur Annahme, dass sich die polarisierte polnische Gesellschaft verändern wird

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Polen trauert noch. Nachdem Pawel Adamowicz, der Oberbürgermeister von Danzig, am Montag an den Stichverletzungen eines Attentäters gestorben ist, protestierten in vielen großen Städten die Menschen schweigend gegen die Gewalt. Im Sejm wurde am Mittwoch eine Gedenkminute eingelegt. Für die Beerdigung am Samstag wird Staatstrauer verordnet.

Der Politiker wurde am Sonntagabend von einem vermutlich Geistesgestörten auf einer Wohltätigkeitsveranstaltung angefallen, der behauptete, er sei durch die Oppositionspartei "Bürgerplattform" gefoltert worden. Mag der 27-jährige ehemalige Bankräuber, der in Haft wegen Schizophrenie behandelt wurde, geisteskrank sein - Ziel und Ort der Attacke waren wohl überlegt.

Sowohl Adamowicz wie auch das "Große Orchester der Weihnachtlichen Hilfe" (WOSP) waren beliebte Angriffsobjekte der Rechten. Vor allem seit dem Wahlsieg der "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) im Herbst 2015, denn dann kamen die öffentlich-rechtlichen Medien hinzu, die man heute getrost als Staatsfunk klassifizieren darf.

Adamowicz, der ab 1998 Bürgemeister von Danzig war und der Bürgerplattorm entstammt, galt als Garant einer offenen proeuropäischen Stadt und gewann im Herbst die Bürgermeisterwahl erneut, eine der größten Niederlagen der PiS. Das Staatsfernsehen TVP hatte zuvor nichts unversucht gelassen, das zu verhindern. Man warf ihm die Verbreitung von Nazismus und Kommunismus oder den Kampf gegen das Polentum vor, man stellte ihn als Geschichtsverfälscher dar und als Verantwortlichen für eine baldige ökologische Katastrophe im Raum Danzig.

Freund oder Feind, Differenzierungen interessieren nicht

Den Grad der Aggression sieht man auch beim Kiosk. Wer heute die Titelseiten der beiden regierungsnahen Nachrichtenmagazine "WSieci" und "Do Rzeczy" anschaut, sieht Martialisches: einen rechten Kabarettisten, wie er mit einem Colt die EU-Fahne abschießt, und einen bei Rechten unbeliebten Richter mit Panzerfaust als aggressiven Vertreter der "Kaste der Richter". Ruhiger bleibt allein die "Gazeta Polska", sie bietet mal wieder ein Interview mit PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski, der grauen Eminenz des Landes.

Dies sind typische Aufmacher. Freund oder Feind, Differenzierungen interessieren nicht. Aber auch die oppositionelle Zeitung "Gazeta Wyborcza" berichtet oft einseitig und kampagnenhaft.

Welche Entwicklungen kann es nun geben? Möglich wäre eine weitere Eskalation. Die außerparlamentarische Opposition, Gruppen wie "Komitee zur Verteidigung der Demokratie", die bei Protesten gerade mal einige hundert Personen zusammen bekommen, könnten sich radikalisieren. Auch die Neuwahlen, die in Danzig nun anstehen, wären ein Anlass, den politischen Kampf wieder verbissen zu führen. Das Staatsfernsehen wirft bereits der Opposition vor, den Mord politisch auszunutzen, dies ist jedoch bislang nicht der Fall. Immerhin gab es auch innerhalb der Regierungspartei stimmen, Jacek Kurski, Fernsehchef und 2005 Wahlkampfleiter der PiS, zu feuern. Dieser ist für den scharfen Ton des Senders zuständig, vorläufig bleibt er im Amt.

Letztendlich liegt vieles in der Entscheidungsgewalt von PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski, des großen Strategen des angeblichen "Wandels zum Guten".

Möglich wäre die Resignation der oppositionellen Gruppen und ein Beibehalten der bisherigen politischen Kultur. Dieses Gefühl herrschte bei den Trauernden, die der Autor dieser Zeilen in Warschau angetroffen hatte. "Sie werden Trauer heucheln und dann geht es genauso weiter wie vorher", meinte eine ältere Frau.

Jerzy Owsiak. Bild: Ralf Lotys/CC BY-SA-4.0

Andere befürchten, dass das Orchester der Weihnachtlichen Hilfe nicht mehr weiter wirken kann. Jerzy Owsiak, der flippige Organisator, ist sofort nach dem Tod Adamowiczs zurückgetreten, um den Aggressoren kein Angriffsziel mehr zu bieten. "Ohne ihn geht das nicht", meint eine junge Frau vor dem Warschauer Kulturpalast, die zuvor eine Kerze abgestellt hat.

Auch Owsiak ist nach eigenen Angaben seit 25 Jahren Ziel von sprachlichen Hassattacken: "Das polnische Rechtssystem kommt damit nicht zurecht." Der ehemalige Radiomoderator mit der roten Brille gilt Kirche und Rechten durch das Organisieren von Rockkonzerten als Jugendverderber. Alljährlich werden Behauptungen aufgestellt, er würde Gelder veruntreuen. Als nächste Bedrohung für Owsiak gelten die schlechten Sicherheitsvorkehrungen bei dem Konzert in Danzig, der Täter konnte mit einer Plakette auf die Bühne gelangen und nach dem Angriff fast eine Minute herumstolzieren und rufen: "Ich saß unschuldig im Gefängnis und wurde dort von der 'Bürgerplattform' gefoltert. Darum musste Adamowicz sterben!"

"Die Teilung in Polen ist bereits zu groß"

Sollte die gespaltene Gesellschaft wieder näher zu einander finden und ein nüchterner Ton wieder einkehren, so müssten öffentliche Drohungen gegen solche Personen des öffentlichen Lebens strenger verfolgt werden. Es müsste gegen die Rechtsaußen-Gruppen konsequenter vorgegangen werden, wie etwa gegen das Nationalradikale Lager und die Allpolnische Jugend, gegen die Verfahren wegen Drohungen und Hasssprache meist eingestellt werden.

Und, was weit schwieriger scheint, die Politiker selbst müssten ihre Sprache entschärfen, wie das der Sozialliberale Wladyslaw Frasyniuk fordert. Doch leider sieht es nicht danach aus. "Die Teilung in Polen ist bereits zu groß", meint eine ältere Frau, die in Warschau an dem Trauerumzug teil genommen hat.