Moskau: Verluste bei Sondereinsätzen sind nun Staatsgeheimnis

Für die einen ist das von Putin unterzeichnete Dekret das indirekte Eingeständnis für russische Truppen im Donbass, Moskau will sich damit angeblich auf künftige Konflikte vorbereiten

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Der russische Präsident Putin macht, möglicherweise nach der Gefangennahme von zwei russischen Soldaten durch die ukrainischen Streitkräfte, indirekt das Eingeständnis, dass russische Soldaten vermutlich nicht nur auf Urlaub und außerhalb des Militärdienstes im Donbass eingesetzt sind ("Sie sehen ja, dass die russische Armee hier ist"). Gestern erließ Putin ein Dekret, nachdem auch bestimmte Todesfälle von Soldaten in Friedenszeiten zum Staatsgeheimnis erklärt werden. Kurz zuvor hatte Putin das Gesetz ratifiziert, dass es der Staatsanwaltschaft in Absprache mit dem Außen- und Justizministerium erlaubt, ausländische Organisationen als "unerwünscht" zu klassifizieren, wenn sie eine Bedrohung darstellen. Vor allem können dann Russen, die mit diesen zusammenarbeiten, bestraft werden. Der Kreml versucht, die Macht zu sichern, oder hat zunehmend Sorge vor Veränderungen.

Wladimir Putin. Bild: Kreml

Putin und die russische Regierung haben stets abgestritten, dass reguläre russische Soldaten die "Volksrepubliken" militärisch unterstützen. Die beiden Gefangenen haben zumindest in einem vom ukrainischen Geheimdienst SBU aufgenommenen und veröffentlichten Videoverhör und in einem Interview mit einer russischen Zeitung erklärt, angeblich als aktive Soldaten eine Aufklärungsmission ausgeführt zu haben. Die russische Regierung räumte ein, es seien Soldaten, sie wären aber vor der Einreise in den Donbass aus dem Militärdienst ausgeschieden. Sollen also nun Verluste von Soldaten im Donbass noch besser verheimlicht werden können?

Die ukrainische Regierung, die Nato und westliche Regierungen, aber auch der in Moskau ermordete Oppositionspolitiker Nemzow haben Russland wiederholt vorgeworfen, die Separatisten nicht nur mit Waffen, sondern auch mit Personal zu unterstützen. Und es gibt seit langem Berichte, auch von Soldatenmüttern, über getötete russische Soldaten, die in Russland heimlich begraben worden sein sollen. Die Familienangehörigen sollen teilweise finanzielle Entschädigung erhalten haben, sie seien aber auch ohne diese unter Druck gesetzt worden, nichts über die Umstände weiterzugeben. Der Vorstand des ukrainischen Nationalen Sicherheitsrates Turtschinow sagt, Russland würde mit dem Dekret die Beteiligung russischer Soldaten und deren Verluste verschleiern wollen. Das wäre in "jedem normalen Land unmöglich". Verbergen wolle Moskau damit, was jeder schon wisse: "Den Krieg, den Russland gegen unser Land führt".

Der ukrainische Geheimdienstchef Valentyn Nalyvaichenko behauptete gestern überdies, dass die Assistenten Putins direkt die "terroristischen Organisationen" in Donezk und Lugansk lenken würden. Die russischen Geheimdienste würden zudem ebenso wie das Militär Gruppen in die Ukraine schicken, um dort Sabotageakte und Terroranschläge auszuführen. Nach einem Bericht werden von den Separatisten und den ukrainischen Sicherheitskräften viele Menchen schon alleine deswegen festgenommen, weil sie mit der anderen Seite sympathisieren. So seien von den Separatisten Menschen festgenommen und geschlagen worden, weil sie Fotos von den Maidan-Protesten auf dem Handy hatten, während die proukrainischen Kräfte Menschen festnahmen und misshandelten, wenn sie Telefonnummern von Separatisten auf dem Handy fanden.

Der Sprecher des US-Außenministerium griff die Vorlage des Dekrets erst einmal willig auf und erklärte es als "ungeeigneten Versuch zu verschleiern, was jeder weiß", nämlich dass reguläre russische Soldaten "in der Ostukraine kämpfen und sterben und dass die russische Regierung dies abstreitet". Es sei vielfach berichtet worden, dass russische Soldaten vor dem Grenzübertritt die Pässe abgelegt und von ihren Uniformen die Zeichen entfernt hätten. Allerdings kam dann die Frage auf, was an dem Dekret so besonders sei, zumal die US-Regierung - auch mit dem Verweis auf die NSA - "Ungezähltes" als geheim eingestuft habe. Der Sprecher kam in Schwierigkeiten:

MR RATHKE: Yeah. Well, I don’t think anybody’s denying that classifying - that governments classifying information is something that all governments do and it’s an --

QUESTION: Right. So it’s their prerogative.

MR RATHKE: -- essential function. So - but again, the - in our view, it seems - it seems pretty clear that the purpose of this -- of this legislation is directly related to Russia’s involvement in Ukraine. And - and that’s why we’ve - I’ve said what I’ve - what I’ve said about it.

Für die Ukraine - und die Nato - ist der Beweis für eine direkte Mitwirkung russischer Streitkräfte wichtig, um die eigene Aufrüstung zu legitimieren. So spricht die Nato stets von der "russischen Aggression", während Kiew sagt, es stehe im Krieg mit Russland, anfangs ging es um eine militärische "Antiterroroperation" gegen die Separatisten. Die Formulierung wird dennoch weiter geführt, sonst müsste Krieg erklärt werden, was man natürlich nicht will, auch wenn man sich bereits darauf vorbereitet hat, jederzeit den Kriegszustand ausrufen zu können.

Nach Itar-Tass hat Putin die Liste der Staatsgeheimnisse offenbar vor allem durch eine Ergänzung erweitert. So sei der Passus der Weitergabe von "Informationen über Verluste von Soldaten im Krieg" mit der Formulierung "in Friedenszeiten während Sondereinsätzen" erweitert worden. Itar-Tass kommentiert dies nicht weiter. Nach Russia Today wurden nun auch Informationen der Geheimdienste über die Prüfung möglicher Kandidaten der Geheimhaltung unterzogen, bislang galt dies nur für die Mitarbeiter. Werden Staatsgeheimnisse verraten, können bis zu sieben Jahre Gefängnis verhängt werden. Das Gesetz könnte, wenn Missionen im Donbass zu Sondereinsätzen erklärt worden sein sollten, Oppositionellen und Familienangehörigen einen noch schärferen Maulkorb zu verhängen.

Dmity Peskow wies jeden Zusammenhang mit der Situation im Donbass weit von sich. Präsident Putin habe keinen militärischen Sondereinsatz in der Ukraine vor, versicherte er. Misstrauisch kann der Zeitpunkt machen, nicht aber die Geheimhaltung selbst, die sich auf Sondereinsätze bezieht. Möglicherweise gelten die Einsätze russischer Soldaten wie die der Einheit, von der die beiden in ukrainischer Haft befindlichen stammen, als Sondereinsatz, könnte man mutmaßen. Nach einem Duma-Abgeordneten soll es sich aber um eine Vorkehrung für die Zukunft handeln. Die politische Lage sei derzeit so instabil, wird er zitiert, dass ein Konflikt jederzeit stattfinden könne und man darauf vorbereitet sein müsse. Würden Todesfälle bei einer Mission bekannt, so könne man daraus schließen, um was für einen Einsatz es sich handelt. Allerdings sind die Einsätze von Sondereinheiten des westlichen Militärs, man muss nur an die deutsche KSK, auch streng geheim.

Allerdings gehen die Auseinandersetzungen zwischen den "Volksrepubliken" und der Ukraine weiter und verschärfen sich allmählich, weil bislang keine Aussicht besteht, dass das Minsker Abkommen in entscheidenden Dingen umgesetzt werden kann. Der ukrainische Präsident hat erneut klar gemacht, dass es direkte Verhandlungen mit den Vertretern der "vorübergehend" nicht von Kiew kontrollierten Gebieten, wie der offizielle Jargon in der Ukraine lautet, erst nach den lokalen Wahlen im Oktober geben wird. Die Frage ist, wie dies ohne Verständigung mit den führenden Kräften der "Volksrepubliken" gehen soll, die weiterhin auf Autonomie pochen. Explizit unterstützt diese Forderung Moskau allerdings nicht. Poroschenko sagte gestern in Verschleierung der Verhältnisse, es gebe in der Ukraine keine internen Konflikte: "Im Gegenteil, die Ukraine ist angesichts der äußeren Bedrohung vereinter denn je."