"Mr. Bush hat sehr positive Dinge gesagt"

Mit Steve Ballmer und Microsoft in die gemeinsame Internet-Zukunft

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St. Gallen, Donnerstag, der 26. Oktober 2000. Ich fühle eine Erschütterung im Netz. Als ob tausend BWLer und Juristen gleichzeitig begeistert aufschreien und dann jäh verstummen würden. Nicht nur "als ob". Es auch so, denn wir befinden uns an der prestigeträchtigsten Wirtschaftshochschule der Schweiz. Und man erwartet Steve Ballmer, President und Chief Executive Officer der Microsoft Corporation, der eine Rede über die zukünftige Strategie des Softwaregiganten halten soll. Er ist einer der mächtigsten Männer der wichtigsten Branche der Informationsgesellschaft. Er ist der Nachfolger von Bill Gates, dem reichsten Menschen des Planeten. Er betritt die Bühne. Der Saal schweigt.

Steve Ballmer, rhetorischer Wirbelwind

Ballmer beginnt damit, die Unsicherheiten der Branche zu verdeutlichen. Er erzählt von Wang und Digital Equipment. Fort sind sie! Microsoft könnte jederzeit ein ähnliches Schicksal ereilen, wenn man nicht schnell genug agieren würde. Schön sei es, dass es im Geschäft wieder mehr um Profite als um Internet-Phantasien gehen würde. Es geht wieder um die Realität. Und die Realität heißt Microsoft. Seine Stimme ist überraschend hoch, beinahe quietschig. Er macht Bewegungen mit seinen Armen, die ihm ein verdammt guter Rhetorik-Trainer gezeigt haben muss. Seine Kleidung erinnert mich an die Bankangestellten-Pullunder meiner niederbayerischen Heimat. Leider fasziniert der Kerl trotzdem, denn er ist lebendig. Man blickt nicht auf die bunte Powerpoint-Präsentation hinter ihm, sondern auf sein knubbliges Gesicht. Er läuft auf der Bühne herum. Er knutscht sein Notebook. "I love Personal Computers!"

Das hat er mit vielen erfolgreichen Managern aus dem angloamerikanischen Kulturkreis gemeinsam: Er kann reden und Menschen für sich gewinnen. Einer der wichtigsten Gründe für den momentanen Vorsprungd er Amerikaner auf vielen Gebieten ist die rhetorische Gewandtheit ihrer Eliten. Die kommt nicht von ungefähr, sondern wird an den Universitäten von alters her systematisch gefördert. Wer schon einmal an einer Sitzung einer Debating Society teilgenommen hat, weiß, warum Amerikaner Ideen besser verkaufen können und warum ausgerechnet England die Popkultur regiert. An deutschen Universitäten: Frontalunterricht und kollektives Dösen in Seminaren. Unsere Leute reden und bewegen sich entsprechend. Es ist eben doch das Bewusstsein, das das Sein formt.

Ballmer spricht über .NET (sprich: "Dot Net"), die neue Strategie von Microsoft. Es geht um Transformation, um große Veränderungen. Wäre es nicht toll, wenn wir alle Informationsobjekte einfach so nehmen und in unsere eigenen Syteme integrieren könnten? Mit Drag and Drop? Wäre es nicht viel besser als all diese herkömmlichen (und meistens UNIX-basierten) Technologien wie - er sagt das, als würde er über den bereits leicht süßlich riechenden Kadaver einer Beutelratte reden - HTML und CGI? Wir könnten doch in zehn Jahren unmöglich noch Websites mit den primitiven Mitteln von heute bauen! HTML sei nur das Abbild von Information. XML aber sei die Information. Microsoft setzt deshalb im Rahmen seiner .NET-Strategie auf XML.

Microsoft hätte es geschafft, einen Computer auf fast jeden Schreibtisch zu stellen. Jetzt sei der Rest der Welt dran. Ballmer will mit seinem Fernseher reden können:

"Ich will meinen Fernseher anschreien: Hey, Bill! Hast Du gerade den Putt gesehen, den Tiger Woods gerade gemacht hat? Und mein Fernseher wird nachdenken: Ah! Natürliche Sprache! Wen meint er mit '? Ah! Bill Gates! Okay! Wie erreiche ich Bill? Ah! Bill ist beim Golfspielen! Ah! Bill mag Nachrichten von Steve! Und in Bills Tasche wird ein Ding sein, das sagt: (verstellt-dunkle Robo-Stimme) Bill! Hast Du den Putt gesehen, den Tiger Woods gerade gemacht hat?' Ist das nicht wunderschön? Ist das nicht Technologie?"

Interneet, Broadbaaand... everywhere! Und vor allem: "No restrictions!" Der Saal tobt. Später wird eine junge Frau aus dem Publikum Ballmer darauf ansprechen, ob nicht Vertrauen das Wichtigste im Internet sei. Er wird antworten, dass das wirklich so ist. Das mit Outlook und den Viren sei dumm gelaufen. Deshalb werde es in Zukunft Software geben, die bei der Installation nachfragt, ob der User dem Hersteller der Software vertraut. Gibt es auch schon. Vertrauen wir ihr?

Es sei nicht die Hardware, sondern die Software, die die nächste Generation des Internet prägen würde. Alle Geschäftsprozesse würden von der IT durchdrungen werden. "Ability", also die Verlässlichkeit und andere Dinge, würde von "Agility", also Geschwindigkeit, übertrumpft. Man vergegenwärtige sich die Geschwindigkeit, mit der Bluescreens aufzutauchen pflegen und weiß: Der Mann hat recht! Die Informationsrevolution würde auch die Universitäten erfassen. Traditionell hätte man unter "Universität" Vorträge und Präsenzunterricht verstanden. Die Universitäten sollten sich bewusst werden, dass sie im Informationsgeschäft arbeiten. Die Leute wollten Informationen in verschiedensten Lebensabschnitten und an verschiedensten Orten. Und sie würden Tele-Unterricht und "Real-Time-Learning" nachfragen. Microsoft würde Institutionen wie Carnegie Mellon helfen, ihre Geschäftsmodelle an das Internet-Zeitalter anzupassen. Universität handelt von Informationen. Informationen sind Geschäft.

Mit .NET würde Microsoft eine Middleware liefern, die sowohl auf PCs als auch auf Servern, in Fernsehern und auch draussen im Netz selbst laufen kann. Es würde von Browser und PC-Anwendung die besten Aspekte nehmen und sie vereinen. Bis es soweit sei, würden aber noch um die vier Jahre vergehen. Ballmer beschwört: Wenn Microsoft diese Wende hin zu .NET und damit die Umdefinierung des Internet nicht schaffen würde, dann würde die Firma Wang und DEC ins Nichts folgen. "Deshalb sind wir bei Microsoft gerade ein bisschen nervös!" sagt er. Wieder beschwört er XML. "Diese drei Buchstaben sollte jeder kennen!" In jeder Industrie würde es Standards dafür geben, wie Unternehmen ihre Informationen organisieren. Die Unternehmensführungen wären erstmals dazu gezwungen, ein wenig von Technik zu verstehen. Es würde für alle Elemente im Geschäftsprozess, von der Rechnung bis hin zum Flugzeugflügel, standardisierte Repräsentationen in XML geben. Informationsobjekte, also.

Ballmer macht sich über all die CEOs und Dot-Coms ebenso lustig wie über den Business-to-Business-Wahn. Bei einem Treffen von Führungskräften internationaler Industriegiganten, das im Mai in Seattle stattgefunden habe, hätte Bill Gates die anwesenden Big-Shots mit der Frage attackiert:

"Wer wird das XML-Schema für Ihren Industriezweig besitzen? Der Markt? Oder Sie? Und alle diese Vorstandsvorsitzenden haben gesagt: Idon'tknow...Idon'tknow... Bill sagte dann: Wenn der Markt das Schema besitzt, dann wird das den ganzen Profit aus der Industrie herausziehen. Jedes Bisschen Profit... werden sie aus Euch heraussaugen! Denn sie haben eine natürliche Tendenz: Ihr Gewinn ist Euer Verlust! Sie werden mehr Geld machen, Ihr werdet weniger Geld machen. Das sind proprietäre Formate! Diese können patentiert werden! Die können besessen werden."

"Unser erstes Kind wird nicht verlassen werden, wenn wir neue Kinder zur Welt bringen"

Es dauere noch viel zu lange, eine Anwendung zu entwickeln. In Zukunft würde das schneller gehen. Dank Microsoft, natürlich. Es ginge darum, dass alle in Zukunft genau die Informationen bekommen würden, die sie brauchen, um ihre Aufgaben zu erledigen. Microsoft sei momentan leider nur im Mittelfeld der Internet-Technologie. Ballmer fragt, wie viele Leute im Saal den Internet Explorer als Browser nutzen würden. Nur wenige Hände gehen hoch, Ballmer ist geschockt. Der arme Kerl weiss nicht, dass an der Universität St. Gallen ausschliesslich Netscape über die Standardinstallation verfügbar ist. Profi, der er ist, verspricht er den Leuten kostenlose IE-CDs und schiebt nach, dass in den USA angeblich 77% aller E-Commerce-Websites auf Windows-Plattform laufen würden. Man stünde gut da im Wettbewerb mit Sun und Linux. Wie viele Leute im Saal benutzen Linux? Ein Professor vor mir und ich heben die Hand. Angeblich seien wir die einzigen im Saal gewesen. Es würde aber nichts ausmachen, meint Ballmer, da .NET auf allen möglichen Plattformen, inklusive Linux, laufen würde. Gleichzeitig legte er aber sehr grossen Wert darauf, dass es mit Windows weitergeht. Microsoft würde Windows keinesfalls aufgeben.

Auf die Frage aus dem Publikum, ob Microsoft mit .NET nicht sein Kerngeschäft kannibalisieren würde, antwortete Ballmer, es handle sich bei .NET nicht nur um einen Paradigmenwechsel bei Microsoft, sondern um eine Ausweitung des Kerngeschäfts vom PC auf andere Geräteklassen. "Ich bin kühn genug zu behaupten, dass dennoch der PC in den nächsten zehn Jahren das wichtigste Endgerät für den Zugriff auf Daten bleiben wird." Angesichts des mit dumpfem Grollen heranrollenden Mobilgeräte-Booms erinnert diese Aussage leicht an Bill Gates' berüchtigten 640-Kilobyte-should-be-enough-for-everybody-Spruch. "Unser erstes Kind wird nicht verlassen werden, wenn wir neue Kinder zur Welt bringen", beruhigt Ballmer die PC-Fraktion. Die Leute klatschen begeistert Beifall. Gilt er Ballmers Präsentationstechnik oder seinen Dominanzplänen?

Weitere Zwischenfrage: Wie hält es Microsoft mit der Sicherheit im Internet? Ballmer spricht sich für gegenseitiges Vertrauen aus:

"Sie müssen den Nutzern versprechen, offenzulegen, was Sie mit ihren Informationen machen und was nicht. Und dann muss man sich an diese Vereinbarung halten. Es gibt Regulierungen und all das. Aber wenn es um Vertrauen geht, ist das am wichtigsten: Wenn ich sage, dass ich diese persönlichen Informationen nicht für Marketingzwecke nutzen werde, dann werde ich das auch nicht tun."

Man müsse den Usern gegenüber offen und ehrlich sein. Read my Lips: Kein Kleingedrucktes. Hat Microsoft damals auch nicht gebraucht, als über die Update-Funktion von Windows 98 unter der Hand Informationen an die Zentrale des Softwareherstellers übermittelt worden sind.

Schließlich die Gretchenfrage: Wie haltet ihr's mit der Politik? "Is it important for Microsoft, whether Bush or Gore is elected?" Ballmer:

"Unser Streit mit der Regierung ist jetzt bei den Gerichten. Unsere Gerichte werden nicht von den jeweiligen Präsidenten beeinflusst. Das steht so in unserer Verfassung, also gehe ich davon aus, dass dem so ist. Grundsätzlich heisst die Antwort also: Nein. Andererseits wollen wir nicht noch mehr Probleme... Wir wollen vor allem keine neuen Prozesse... Ich persönlich werde danach wählen, wie mir privat ist. Aber ich weiss, dass Mr. Bush sehr positive Dinge gesagt hat, die uns unterstützen, und dass Mr. Gore nichts dergleichen getan hat. Stellen Sie das nicht ins Internet."

"Diesen Gefallen können wir Ihnen leider nicht tun, Mr. Ballmer."