Mullah Omar setzt weiter auf Zermürbungskrieg

...und die USA auf Luftangriffe und nächtliche Razzien

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

„Ihr habt die Armbanduhren, wir haben alle Zeit“. Der Spruch wird den Taliban zugeschrieben. Mullah Omar, Chef der sogenannten Quetta-Shura, spielt darauf an, wenn er in seiner jüngsten Äußerung den Alliierten weiter einen „erschöpfenden Abnutzungskrieg“ prophezeit, der die fremden Truppen „abschleifen“ würde wie seinerzeit die Sowjetarmee. „Je länger der Krieg dauert, desto mehr Soldaten werden auf ihrer Seite fallen und dest größer werden die wirtschaftlichen Belastungen.“ Die USA stehen unter anderem Erfolgsdruck, deren Zeitnot wird diktiert von Wahlkämpfen. So lassen sich die augenblicklich kursierenden Zeittafeln des Abzugs, Teilabzug 2011 und Abzug der kämpfenden Truppen nach dem Vorbild Irak im Jahr 2014, leicht in Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen 2012 und Midterms 2014 bringen. Dass man auf Ergebnisse drängt, zeigt die ungeheure Intensivierung der Luftangriffe wie der Razzien in den letzten Wochen. Ob sich daraus militärische Wirkungen auf den Gegner ablesen lassen?

An die größere Öffentlichkeit gerichtete Botschaften von Mullah Omar sind selten. Umso mehr Bedeutung legt man seiner mehrsprachig abgefassten Botschaft bei, die an mehrere Medien ging. Weil er darin auch Muslime weltweit zu Spenden aufforderte, wird das von manchen als Anzeichen dafür gewertet, dass die Nato-Operationen den Taliban doch mehr zu schaffen machen, als er zugibt.

1.000 Luftangriffe im Oktober

Tatsächlich gibt es, was die Intensivierung der militärischen Einsätze auf Seiten der Alliierten angeht, erstaunliche Zahlen. Da sind einmal die Luftangriffe. Im Oktober sollen Nato-Flugzeuge in 1.000 unterschiedlichen Einsätzen Ziele angegriffen haben, berichtet der Danger Room von Wired. Man stützt sich dabei auf Zahlen der US Air Force. Seit General Petraeus Ende Juni das Kommando übernommen habe, habe die Luftwaffe 2.600 Angriffe geflogen, 50 Prozent mehr als im selben Zeitraum vor einem Jahr.

Eine strategische Vorgehensweise, für die Petraeus bekannt sei, heißt es. Die andere Kriegsstrategie für die der General bekannt ist, sind Haus-Razzien, durchgeführt meistens nächtens von Special Forces. Die Zahl der nächtlichen Razzien hätten sich jüngst verdreifacht, berichtet die New York Times. Laut Washington Post zählt man derzeit 200 solcher Razzien monatlich, was das Sechsfache dessen betrage, was vor 18 Monaten durchgeführt wurde. Die „Erfolgsquote“ wird von einem ungenannten Nato-Vertreter mit 50 bis 60 Prozent angegeben. Mit Erfolgsquote gemeint ist die Tötung von Taliban-Schlüsselfiguren – nach Medienberichten sog. Schatten-Gouverneure, Talibankommandeure der mittleren Ebene und Personen, die für Finanzen und Logistik zuständig sind.

More than a dozen times each night, teams of American and allied Special Operations forces and Afghan troops surround houses or compounds across the country. In some cases helicopters hover overhead. Using bullhorns, the Afghans demand occupants come out or be met with violence. In the majority of cases — about 80 percent, according to NATO statistics — the occupants are captured rather than killed.

NYT

1.572 Razzien in drei Monaten

Bis zum elften November, an dem eine 90tägige Einsatzphase endete, hätten Special Forces durchschnittlich 17 solcher Einsätze pro Nacht durchgeführt, insgesamt 1.572 Einsätze, bei denen 368 „Insurgentenführer“ getötet oder gefangen wurden; 968 „Insurgenten“ mit niedrigerem Rang wurden dabei getötet und 2.477 gefangen – so zitiert die New York Times eine Nato-Statistik.

Dass beide Einsatzweisen, die Luftangriffe wie die Razzien, auch viele Tote unter Zivilisten verursachen, wird nur angedeutet. Dass gerade die nächliche Razzien über dieses Leid hinaus auch Furcht und Schrecken unter Unschuldigen säen (wie war das nochmal mit „Hearts and Minds“?) , hat den afghanischen Präsidenten, wie früher schon einmal bei Luftangriffen, zu deutlichen Worten veranlasst. In einem Interview mit der Washington Post sprach er sich klar dafür aus, dass diese Operationen gestoppt werden, bzw. von der afghanischen Regierung erlaubt werden müssen:

The raids are a problem always. They were a problem then, they are a problem now. They have to go away. The Afghan people don't like these raids, if there is any raid it has to be done by the Afghan government within the Afghan laws. This is a continuing disagreement between us.

Aus dem Interview - in dem Karsai auch den USA größere Schuld an der Korruption in Afghanistan zuschreibt, weil man mit viel Geld an der Regierung vorbei zweifelhafte Privatunternehmer füttere – entstand, wieder einmal, Streit zwischen dem US-Militärkommando und Karsai über die richtige Strategie. Nach Informationen von US-Medien sollen nun afghanische Soldaten solche Search-Operationen führen und afghanische Polizistinnen den Trupp begleiten, für den Fall von notwendigen Körperuntersuchungen bei weiblichen Gefangenen.

Kriegsmüde?

Ob die verbesserte Geheimdienstarbeit durch Überwachung von Mobiltelefonen, Aufklärungsflüge und mehr Informanten aus der Bevölkerung zu den Erfolgen führt, die man braucht, ist noch nicht deutlich genug; zumindest nicht, was öffentliche Wahrnehmung angeht. Dazu gibt es regelmäßig Aussagen von Beobachtern, auch auf Kommando- bzw. Regierungsebenen, die davon sprechen, dass ein militärischer Sieg gegen die Taliban nicht möglich sei. Wie wäre denn ein andersartiger Sieg möglich? Die Frage wird kaum mehr gestellt. Und es wird natürlich als naiv angesehen, wenn Gedanken darüber geäußert werden, dass die Zig-Milliarden für Kriegsführung und Bestechung auch „ziviler“ genutzt werden könnten.

Das gilt auch für die Drohnenoperationen in Afghanistan, deren Zahl ebenfalls überdeutlich stieg (siehe Schaubild). Auf pakistanisches Gebiet wurden dieses Jahr etwa 100 Drohnen abgefeuert, Hauptziel Nord-Waziristan.

Die Annahme, dass diese Art von Zermürbungskrieg seitens des Westens durch gezielte Angriffe aus der Luft, den Gegner kriegmüde macht, wird öfter geäußert, auch von Karsai. Bei Treffen mit Taliban-Vertretern habe Kriegsmüdigkeit auch auf dieser Seite beobachtet. Weswegen er zunehmend auf Verhandlungen mit Taliban-Repräsentatnten setzt, um ein Ende der kriegerischen Auseinandersetzungen zu erreichen.

Doch beschied ihm Mullah Omar nun eine ganz andere Botschaft, siehe oben. Das Arbeits-Angebot Karsais, Regierungsjobs für 35.000 Talibankämpfer, lehnte Mullah Omar kurzerhand ab. Die Aussichten für Verhandlungen mit den relevanten Taliban-Vertretern sind augenblicklich nicht gut:

Top level US, Afghan, Saudi and Pakistani officials have claimed that all efforts to organise the first-ever direct talks between Taliban and the Karzai administration in Saudi Arabia after Haj have failed and the Taliban have refused to send any delegation to Jeddah.