Musik als Testfeld für soziale Veränderung

Samplewizzard Matthew Herbert über die Ethik des Samplers und die Konsumhaltung in der digitalen Musik

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Fotos: Angela Bergling

Matthew Herberts neues Album orientiert sich mit dem Gesang von Dani Siciliano in Richtung Jazz und wurde nach den Regeln eines persönlichen Manifests erstellt, das den Vorstellungen der Musikindustrie in Bezug auf das Urheberrecht verdammt nahekommt. Warum der Sampler die Zukunft der Gesellschaft vorwegnimmt und Napster dem Konsumismus huldigt. "Bodily Functions" war für Herbert ein Schritt zurück zu den Anfängen. Er hat seine Produktionen diesmal unter ein strenges Reglement gestellt. Keine Samples von anderen Platten, keine Presets in den Geräten verwenden. Das ist Matthew Herberts persönliche Reaktion auf eine Sampler-Konsumhaltung, die sich unter Musikern mehr und mehr ausbreite und bei Musikhörern von Napster gestützt werde. Ob das nicht eine etwas schwierige Position ist, die der Musikindustrie in die Hände spielt, darüber sprach mit ihm Mercedes Bunz.

Matthew Herbert und Dani Siciliano. Foto: Angela Bergling

Wie glasklar reines Vittel an einem warmen Wiesentag gluckert Dani Sicilianos Stimme durch das neue Album von Herbert. Auf Bodily Functions erreicht der Grad ihrer Zusammenarbeit eine neue, konzentrierte und dabei immer noch spielerische Stufe. Immer noch setzt Herbert den Sampler prägnant ein, diesmal ist es jedoch Danis Stimme, die als Sample dominiert. Seit fünf Jahren kennen sie sich nun, und obwohl das Paar schon lange zusammenarbeitet, mag Dani Siciliano ihre Rolle im Hintergrund. So wissen nur wenige, dass sie früher im San Franciscoer Club "The End" DJ gewesen ist und dort experimentelle Wege von Disco über Soul zu Prince, Electro bis hin zu Deep House zurückgelegt hat. Der Neugier, nicht der Liebe wegen, verschlug es sie zuerst für drei Monate nach London. Sie ist geblieben und gluckst seitdem beruhigend immer wieder aus Herbert-Tracks heraus. Und sampelt sich auf ihren Live-Konzerten, die immer jazziger werden, auch mal selbst.

Auf Deinem neuen Album fällt ein starker Bezug zu Jazz auf. Planst Du, Dich in Zukunft weniger der Tanzmusik und mehr dem Jazz zuzuwenden?

Herbert: Im Allgemeinen glaube ich eher daran, dass es gefährlich ist, sich auf ein einziges Genre einzulassen. Ich habe mich schon immer für elektronische Musik und Jazz, genauso wie für klassische Musik und Hiphop interessiert. Als ich mit Herbert angefangen habe, versuchte ich einen spezifischen Housesound hinzukriegen, eine ruhige, warme Atmosphäre. In 'Bodily Functions' ist nun eben das Jazzelement am stärksten. Beim Songwriting kommt für mich der größte Einfluss von Irving Berlin sowie von George Gershwin, und wir waren dieses Mal an einem Album interessiert, das mehr auf dem Format von Songs aufsetzt. Und schließlich ging es uns darum, von dem isolierten Individuum, das die elektronische Musik bevölkert, wegzukommen. Für eine Weile war das ein befreiendes Modell, aber jetzt wird es etwas zu insular.

Du willst uns doch nicht mit den Trance DJs alleine lassen?

Herbert: Ich mache natürlich immer noch Clubmusik. Das Radioboy-Projekt war speziell auf Clubmusik ausgerichtet und auf Bodily Functions gibt es mindestens fünf oder sechs Tracks, die im Club gespielt werden können. Und ich liebe es immer noch, experimentellere Clubmusik zu machen. Das Problem ist nur, Radioboy verkauft sich zehnmal weniger als Sachen mit Vocals drin. Dani, das ist deine Schuld.

[Dani, "das muss wohl ich sein" (schmunzelt).]

Deine letzte Platte als Dr. Rockit, Indoor Fireworks, hast Du als Versuch beschrieben, Dich politisch zu äußern. Wie ist das bei 'Bodily Functions'?

Herbert: Das ist ein bisschen schwierig, alles. Wir versuchten warme und wunderschöne Musik zu kreieren, auch wenn es uns nicht immer gelingt, das ist unsere Ambition. Aber es ist sehr schwierig, kritisch politisch zu sein - und warm. Die Aussage, "es ist wirklich falsch, dass England den Irak bombardiert", ist da schwierig effektiv unterzubringen. Politik findet eigentlich mehr in Interviews oder in Diskussionen auf meiner Webpage statt. Und es gibt eine Leseliste auf meinem Album.

Foto: Angela Bergling

Seit wann hast Du eigentlich Deine Website?

Herbert: So etwa ein Jahr. Es ist toll. Man bekommt Feedback von denen, die sich die Musik anhören und es ist außerdem einfach eine nette Form, darüber zu kommunizieren. Manchmal kommen Leute in den Clubs zu mir, aber das ist nicht sehr befriedigend, weder für sie noch für mich. Jetzt schicken sie mir Sounds. 'Foreign Bodies' ist so entstanden, ein Stück, das aus den Geräuschen fremder Körper gemacht wurde. Über das Internet kann man wirklich gut den musikalischen Prozess sichtbar machen und teilen. Ich würde gerne mehr so arbeiten, es war sehr aufregend. Ich glaube, ich verstehe immer noch nicht alles, das auf dem Song drauf ist. Es ist, als ob dir Fremde eine Geschichte erzählen, aber du kennst keinen der Charaktere. Alles was ich weiss, ist dass sie von Marc, Robert und Sascha kommen. Und all diese Leute aus aller Welt. Das ist das Gute am Sampling. Es fördert alle diese Geschichten.

In Berichten über Deine Platte wurde sich immer wieder auf das Manifest bezogen, das du auf deiner Website veröffentlicht hast.

Herbert: Mit so einem Manifest in meinem Kopf habe ich angefangen, Musik zu machen. Bei Wishmountain, der ersten elektronischen Musik, die ich gemacht habe, ging das ungefähr so - nimm acht Sounds von einem Objekt, keine Synthesizer, keine Presets, eine Länge von vier bis fünf Minuten, minimale Effekte - ich habe manche dieser Regeln später in Dr. Rockit inkorportiert. Herbert wurde separat großgezogen. Von da aus war ich aber irgendwann an einem Punkt angelangt, an dem ich mich zwingen musste, dorthin zurückzukehren, von wo ich begonnen habe. Also habe ich das Manifest als persönlichen Vertrag publiziert, damit ich es verteidigen muss und mich daran halte. All die neueren Sachen auf dem Album wurden so produziert.

Die künstlerische Idee, die Du auf dem Manifest entwickelst, ist sehr nah an dem, was die Musikindustrie als Copyright einfordert. So Sätze wie "The sampling of other people's music is strictly forbidden" scheinen mir problematisch.

Zitat aus dem Manifest: "Die Idee, die um Napster entstanden ist, dass Besitz Diebstahl ist, ist interessant und sogar fair - aber nur bis zu einem bestimmten Punkt."

Herbert: Die Idee, die um Napster entstanden ist, dass Besitz Diebstahl ist, ist interessant und sogar fair - aber nur bis zu einem bestimmten Punkt. Denn auf der anderen Seite führt das direkt zu einer puren Konsumhaltung. Die Menschen denken, sie haben das Recht, sich die Dinge zu nehmen, nicht, dass es die Möglichkeit gibt. Die Leute glauben, sie haben ein Recht Musik zu kaufen - ohne den Künstler dabei zu bezahlen. Kaum einer sampelt Oper oder klassische Musik, die ja von der Steuer substitutiert wird und deshalb schon den Leuten gehört, auf eine bestimmte Art und Weise. Anstelle dessen wird Black Music gesampelt und die Musiker gehen leer aus. Das Problem ist, man kann es nicht beides haben. Man kann nicht sagen, "Besitz ist Diebstahl" und dann mit der Musik von anderen Geld machen.

Ist es nicht eher so, dass die einzigen, die sich leisten können, das Verwenden von Samples finanziell zu klären, erfolgreiche Musiker sind? Im Moment schützt das Copyright vor allem die Musikindustrie. Was ist zum Beispiel mit Projekten wie Atomheart und Vereinen wie Musicians Against Copyright Of Samples (MacOS)? Und gerade weil Musik das erste Beispiel ist, wie wir mit Wissen im Netz umgehen, wie wir mit allem umgehen werden, das digitalisierbar ist, müssen wir da nicht besonders vorsichtig sein?

Herbert: Das ist wirklich spannend. Die gleiche These verfolgt ein Buch, das ich gerade lese. Der Umgang und die Verteilung, die Netzwerke und all die anderen Facetten der Musik nehmen gesellschaftliche und soziale Veränderungen vorweg. Als Musik plötzlich von der familiären Sitation der Hausmusik in die Konzerthallen wandelte, wurde der Kapitalismus vorweggenommen. Die Leute sollten für die Musik bezahlen. Vorher gab es keinen Grund, dahin zu gehen. Erst die aufkeimende Bourgeosie hat das verändert. Mit der Aufnahmetechnik und der Musikindustrie begannen die Menschen schließlich eine sehr individuelle Beziehung zur Musik zu entwickeln. Dann kam die Komposition, die letzte Stufe, auf der wir uns heute befinden, voll fortschreitender Individualisierung und Konsumhaltung. Am Ende des 20. Jahrhunderts konnte man diese heftige Verschiebung zum Individuum hin sehen. Mit dem Konzept des Individuums hat man festgelegt, dass alle Menschen gleich sind und die gleichen Rechte haben. Jetzt werden diese Rechte genutzt, um zu sagen, "es ist mein Recht mehr zu verdienen als andere, mehr Profit auf Kosten anderer zu machen." Amerika ist ein perfekter Abriss dieser Idee. Der amerikanische Traum baut auf das Recht des Individuums. Aber das Problem ist, dass der gesamte amerikanische Lebensstil vom Rest der Welt substitutiert wird. Und im Moment mutiert England zu Amerika, einige Teile von Europa ebenso. Musik zu sampeln kommt mir hier nur wie eine Erweiterung vor. Wenn man 50 000 Pfund des eigenen Geldes ausgibt, um Musiker anzustellen, und da sein ganzes Erspartes hineinsteckt, aufnimmt und dann kommt jemand mit einem Sampler, nutzt es und bekommt jede Menge Aufmerksamkeit und Geld - das ist die pure Kosumhaltung. Zumindest ist es gut, dass wir mittlerweile eine Debatte über den Sampler haben. Auch wenn das Manifest sich manchmal komisch und arrogant anhört, der Sampler ist das wichtigste Gerät, das ein Musiker derzeit besitzen kann. Man könnte beispielsweise George Bush sampeln und einen Track machen.

Vor ein paar Monaten hat der Fernsehentertainer Stefan Raab Bundeskanzler Schröder gesampelt. "Hol mir mal ne Flascha Bier sonst streik ich hier." Schröder hat die Texttantiemen bekommen.

Herbert: Cool. Aber das ist es. Der Sampler ist ein politisches und soziales Tool, mit dem man seine Umwelt analysieren kann. Wenn man Musik, wie in dem Buch, als Vorlauf einer sozialen Ordnung betrachtet, betreten wir mit dem Gerät einen völlig neuen Level. Darüber sollten wir debattieren.

Herbert live im Juni:
Freitag, 09.6. Berlin - WMF
Dienstag, 12.6. Jena - Kassablanca
Freitag, 15.6. Frankfurt - Robert Johnson
Herbert & Dani Siciliano: Bodily Functions ist auf Soundslike/!K7 erschienen.