Musiker-Xanadu im ALDI-Computer

Software für virtuelle Synthesizer proletarisiert elektronischen Klang

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Wer vor 10 Jahren mehr als 5 Synthesizer in seiner Bude stehen hatte, war entweder Organist bei Yes oder von allen guten Göttern verlassen. Unerschwinglich und nur in Turnhallen aufzubauen waren diese Technikparks. Mittlerweile reichen eine CD-ROM und ein Handbuch, um sich 25 dieser Kästen auf den Bildschirm zu zaubern und damit Musik zu machen.

Die Lösung für Platzprobleme und die leidige Frage, wer diese vielen Knöpfe abstauben soll, heißt "Dynamo" und wird von Native Instruments vertrieben. Für den Gegenwert von 20 Kästen Bier stehen 25 Synthesizer und Sample-Bearbeiter zur Verfügung, die per MIDI - der gängigen Kommunikationsschnittstelle für Tonerzeuger - oder direkt per CUBASE VST-Schnittstelle im Sequenzer ansteuerbar sind. Das wäre an sich nichts besonderes. Seit der erfolgreichen Idee von Propellerhead, Technoinstrumente konsequenterweise gleich im Computer zu simulieren - sogar das Einschaltknacken der originalen Roland-Sequenzer wurde dazu gesampelt -, ist der Markt der nativen Sounderzeugung im PC oder MAC eröffnet. Gerechnet wird der Ton, nicht aufgenommen.

Spannend ist das Konzept von "Dynamo" vor allem deshalb, weil so Klangmaterial geschaffen und verarbeitet werden kann, das den Computer bis zum Schreiben der Audio-CD nicht mehr verlässt. Rauschen durch Mischpulte, Einstreuungen, Strombrummen auch schlechte Auspegelungen müssten schon dazugerechnet werden. Sonst treten sie nicht mehr auf.

Und diese Klangwelten machen es in einer Marketingwelt ohne WENN und ABER auch Taschengeld-gestressten Kids möglich, ohne großen Aufwand an Vaters Computer den Detroit-Mix anzufertigen.

Eitel ist alle Theorie

In der Realität ist selbst diese abgespeckte Version der nativen Bearbeitungswelt schon ein Heidenlabyrinth für Soundbastler. Die Mutter dieser Software "Reactor 2.3" basiert auf der Möglichkeit, sich selbst ein vollkommen eigenes Instrument zu bauen. Theoretisch faszinierend. Wer sich einmal in der Verknüpfung von Oszillatoren und LFOs verschraubt hat, wünscht sich heimlich und sehnlichst eine Wandergitarre zurück. Stunden können vergehen, bis die ersten annehmbaren Töne aus den Lautsprechern tröpfeln.

Aber mit 25 Varianten, die daraus vorgefertigt unter dem Namen "Dynamo" auf den Markt kommen, lassen sich schnell Soundsoßen basteln, die nicht automatisch ins Ohr gehen. Allerdings sind hier planmäßig geschaffene Sounds auch ein Ding des Hosenbodens. Um so mehr, wenn man zirka 600 Parameter-Potis von Dynamo handeln will.

Es ist das alte Lied

Software wird immer leistungsfähiger und dringt durch einen niedrigen Marktpreis in Usersegmente ein, die nicht das nötige Know-how haben, um die angebotenen Tools souverän zu nutzen. Da könnte man sagen, dass aber die Vermassung solcher Musiktechniken in den 90ern neue Musikstile geschaffen hat. War das wirklich der Einsatz von Endkunden? Letztendlich ist Techno zwar ein verblüffend simples Prinzip, aber nicht jeder hat den Beat, heißt Sven Väth oder arbeitet als DJ.

Was allerdings passieren wird, ist eine weitere Flut an "Dynamo"-Musik, die akustisch das tut, was schlechtes Webdesign auf bundesdeutschen privaten Homepages anrichtet. Klingt schlecht, kommt ungelenk daher und verklebt mit seiner Klangwelt die Kanäle. Dank MP3 wahrscheinlich auch im Internet. Die Spreu trennt sich schnell vom Weizen. Was zurückbleibt, sind Soundbastler in spe, die ihre Festplatten mit Klängen zumüllen und damit höchstens ihre Hauskatzen zum Ausflippen bringen. Ergebnis sind gute Absatzzahlen, aber kein Volk an Musikern. Die Dorfmusik mag dann nach Yes klingen ... schon das Original war zuweilen unerträglich.