Muskelspiel um Raumstation

Das Problem des Rettungsgeräts ist weiterhin ungelöst

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Wenn sich Anfang Juni in Strassburg Teilnehmer aus aller Welt versammeln, um beim jährlichen Symposium der "International Space University" über die Zukunft der bemannten Raumfahrt nach der Internationalen Raumstation (ISS) zu diskutieren, kann man das wahlweise für visionär oder übereilt halten. Für Letzteres spricht der Umstand, dass sich gleichzeitig in Paris die Raumfahrtchefs der ISS-Partner treffen, um sich auf einen Weg zu einigen, die Raumstation überhaupt erst einmal fertigzustellen.

Nach wie vor ist unklar, wie eine ausreichend große, permanente Besatzung der ISS gewährleistet werden kann, um die wissenschaftliche Arbeit zu ermöglichen, mit der die Errichtung des teuren Weltraumlabors zumeist legitimiert wird. Ursprünglich war geplant gewesen, ein Rettungsraumschiff zu bauen, das bei einem Notfall bis zu sieben Personen zur Erde transportieren kann. Dieses "Crew Rescue Vehicle" sollte von der amerikanischen Weltraumbehörde NASA und der europäischen Weltraumorganisation ESA gemeinsam entwickelt werden. Die Arbeiten wurden jedoch aus finanziellen Gründen von der NASA einseitig eingestellt.

Damit ist die Raumstation aber praktisch nutzlos. Denn die Sojuskapsel, die derzeit als Rettungsboot permanent angedockt ist, kann maximal drei Personen aufnehmen. Eine dreiköpfige Besatzung ist jedoch fast vollständig durch Montage- und Wartungsarbeiten absorbiert. Wissenschaftliche Forschungen sind gegenwärtig daher nur möglich, wenn die Raumfähre oder ein zweites Sojusraumschiff (die Rettungskapsel muss alle sechs Monate ausgetauscht werden) für ein bis zwei Wochen zu Besuch kommen. Allen Beteiligten ist klar, dass dies auf Dauer ein unhaltbarer Zustand ist. Daher wird über mögliche Alternativlösungen nachgedacht, über die beim Pariser Treffen beraten werden soll.

"Gegenwärtig gibt es drei Hauptoptionen", sagt Jörg Feustel-Büechl, der bei der ESA die bemannte Raumfahrt und die Schwerelosigkeitsforschung leitet. "Die eine besteht darin, den Bau des CRV zu verschieben, um die Budgetprobleme abzufedern, und einstweilen ein zweites Sojusraumschiff an die Raumstation anzudocken. Die zweite Option ist es, statt des CRV grundsätzlich zwei Sojuskapseln als Rettungsmöglichkeit zu verwenden. Damit würde die permanente Besatzung von maximal sieben auf sechs Personen reduziert. Die dritte Option oder Gruppe von Optionen läuft unter dem Namen 'Safe Haven': Hierfür müssten wir Änderungen an der Station vornehmen, sodass einzelne Module als "Sicherheitshafen" dienen können. Sie müssten dafür über ihr eigenes Lebenserhaltungssystem verfügen und sich von den übrigen Modulen abschotten lassen. Dorthin könnten sich die Astronauten in einem Notfall zurückziehen und auf ein Rettungsfahrzeug warten."

Je nachdem, welche Lösung für die derzeitige Krise gewählt wird, kann es zu Kräfteverschiebungen beim Einfluss auf die Internationale Raumstation kommen. Entsprechend ist das Muskelspiel der verschiedenen ISS-Partner vor dem Pariser Treffen. NASA-Chef Sean O'Keefe erklärte Ende März, es ginge bei dem Meeting nur um einen generellen Meinungsaustausch, bei dem noch keine Entscheidungen gefällt würden.

Alexei Krasnow dagegen, stellvertretender Leiter der Abteilung für internationale Kooperation bei der russischen Raumfahrtagentur Rosaviakosmos, drängt auf eine schnelle Entscheidung bis Mitte des Jahres, sodass die gewählte Option ab 2005, wenn die ISS ihrer Vollendung entgegengeht, umgesetzt werden kann. Für Russland ist in dieser Angelegenheit einiges zu holen. Preise von 65 Millionen Dollar pro Sojuskapsel sind im Umlauf. Wenn sich die ISS-Partner entschieden, über die gesamte, auf zehn Jahre veranschlagte Lebensdauer der Raumstation ganz auf die Sojus als Rettungssystem zu setzen, wären demnach 1,3 Milliarden Dollar an Russland zu zahlen.

Aber auch Europa hat die Chance, sein Gewicht zu erhöhen. Die ESA hat angeboten, ihren Anteil am CRV von gegenwärtig etwa 150 Millionen Dollar auf bis zu 500 Millionen zu erhöhen - gegen entsprechend erhöhte Nutzung von Transport- und Forschungskapazitäten. Pikanterweise besteht mit der Krise um das CRV eine gegenüber der Anfangszeit der ISS praktisch umgekehrte Situation. Damals waren die Russen heftiger Kritik aus den USA ausgesetzt, weil sie mit finanziellen Problemen zu kämpfen hatten und daher Termine nicht einhalten konnten. Nun sind es die Amerikaner, die ihren Verpflichtungen nicht nachkommen können.

Das allein wäre noch kein Beinbruch. Was aber die ISS-Partner am meisten verärgert, ist die von den Amerikanern weiterhin zelebrierte Selbstherrlichkeit. Die deutsche Forschungsministerin und derzeitige Vorsitzende des ESA-Ministerrats, Edelgard Bulmahn, hat es in einem Interview mit "Space News" für inakzeptabel erklärt, dass die ISS-Partner in einer solchen Situation zehn Monate warten müssen, um zu erfahren, was die Amerikaner vorhaben. Außerdem sei es erforderlich, dass Europa an der Entscheidungsfindung beteiligt und nicht nur über das Ergebnis unterrichtet werde. Andernfalls behielten die Europäer sich das Recht vor, ihre Beteiligung an der Internationalen Raumstation zu überprüfen.