Mythologisches am Menschenfresserberg

Hollande und Gauck eröffneten einen "Lehrpfad"

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Der französische und der deutsche Staatspräsident sind erinnerungspolitisch tätig geworden: Auf einem der Schlachtfelder des Ersten Weltkrieges, am Hartmannsweilerkopf in den Südvogesen, beschworen sie die Versöhnung zweier einstiger "Erbfeinde", legten den Grundstein zu einer in Zukunft gemeinsamen Gedenkstätte für die Kriegs-"Opfer" und eröffneten einen Lehrpfad, auf dem Kenntnisse über die "Urkatastrophe" 1914 - 1918 vermittelt werden sollen.

Die Marseillaise und das Deutschlandlied wurden gespielt, aus dem "Altar des Vaterlandes", des französischen, wie der Erinnerungsort bisher offiziell hieß, wird nun ein binationaler historischer Weiheplatz. Allerdings beließen es Hollande und Gauck nicht bei der Aufarbeitung deutsch-französischer Geschichte, beide wandten sich in ihren Ansprachen der gesamteuropäischen Gegenwart zu.

Der französische Staatspräsident stellte heraus, die Versöhnung "über den Gräbern" verleihe Europa heute jene "Stärke", die es möglich mache, "bei Verstößen gegen das Völkerrecht zu handeln". Hollande wies dabei auf die "Verletzung der Integrität des ukrainischen Staates" hin. Der deutsche Staatspräsident beschränkte sich diesmal auf den Appell, "populistischen, antieuropäischen" Tendenzen entgegenzutreten.

Geschichtsunterricht, präsidial gegeben, mit Hinweisen, was da für heute zu lernen ist? Im Terrain um den "Menschenfresserberg", wie der lokale Volksmund ihn nennt, fand ein jahrelanger Stellungskrieg statt. Militärisch hatte er keinen Sinn. Aber er hatte seine Nutznießer: Propagandisten, die ihn zum Symbol der "Durchhaltefähigkeit" machten; Manager der "blutigen Internationale", der Rüstungsbranche - sie brauchte anhaltende "Materialschlachten". Davon war bei dem Staatsakt nicht die Rede.

Die beiden Staatspräsidenten, so heißt es jetzt in den Medien, hätten den "Blutzoll" der Weltkriege gewürdigt, dem dann das Glück der europäischen Einigung gefolgt sei. Stehen nun weitere blutige Zahlungen an für neue geopolitische Errungenschaften?

Der Hartmannsweilerkopf wäre ein Platz, an dem die Wirklichkeit der einstigen und der heutigen Kriegsmaschinerie dokumentiert werden könnte - Tod, Verwüstung, Verstümmelung, Krankheiten, Verrohung, angerichtet durch Granaten, Minen, Gas und den Zwang zum "soldatischen Einsatz". Aber das würde mythologische Geschichtsdeutungen stören. Realistisch darf es an "Altären" nicht zugehen.