NSA-Spähprogramm "akzeptabel wie Fingerabdrücke"?

US-Geheimdienstchef James Clapper räumt Fehler ein

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Wie verkauft man ein Spähprogramm, das alles in den Schatten stellt, was bisher von Geheimdiensten zur Ausschnüffelei der Bevölkerung unternommen wurde, an eine Öffentlichkeit, die sich allmählich über die gigantischen Dimensionen des Angriffs auf ihre Privatsphäre klar wird, ohne etwas an der Datensammlung selbst zu ändern? Obama, der den Kurs minimalster Änderungen am Spähprogramm vorgegeben hat, schickt nun Emissäre ins PR-Rennen, die sich an dieser Challenge versuchen. So zum Beispiel den Geheimdienst-Chef, Director of National Intelligence, James Clapper, der seine Aufgabe mit reumütigen Bekenntnissen und dreisten Vergleichen - "Datensammlung so akzeptabel wie Fingerabdrücke" - erfüllt.

In einem Interview zur NSA-Überwachung mit Daily Beast gibt sich Clapper reuig und einsichtig, nicht was die kritisierte Reichweite des Programms angeht, sondern die "Transparenz", dem zynischen Zauberwort der Obama-Regierung:

Ich sollte das wahrscheinlich nicht sagen, aber ich werde es doch tun. Wären wir von Anfang an, nach 9/11, das ja am Anfang des 215-Programms stand, transparent gewesen und hätten der amerikanischen Öffentlichkeit und ihren gewählten Vertretern gesagt, dass wir eine (Informations-)Lücke schließen müssen, dass wir das brauchen, um sicherzustellen, dass dies nie wieder geschieht, dass wir also dieses Programm dafür aufbauen, dass es so und so funktioniert, und warum wir es machen müssen, und dass die Schutzmaßnahmen so aussehen...Dann hätten wir das Problem nicht gehabt, dass wir hatten.

Mit der Vergangenheitsform "hatten" ist der Schock gemeint, den die Enthüllungen von Snowden auslösten, wie Clapper im Interview beschreibt ("Was gegen uns gearbeitet hat; war die schockierende Enthüllung"). Dass er ihn im Imperfekt schildert, gehört auch zur Art, wie Clapper den NSA-Spähskandal sehen möchte: Er soll möglichst vom Tisch, als "erledigt" abgeheftet.

Doch erwartet die Regierung im nächsten Jahr eine Abstimmung über die Verlängerung des Patriot-Gesetzes und dessen für die - äußerst umstrittene - legale Basis des NSA-Programms Section 215. Und die Gegner und Kritiker der Verlängerung nehmen an Zahl und politischer Relevanz zu. Auch im eigenen Lager.

Weswegen sich Clappers Überzeugungsarbeit auf die magischen Punkte richtet, mit denen die kritische Masse der Öffentlichkeit - und deren Vertreter - auf Seite der Regierung zu ziehen wäre: 9/11 und der Mangel an Geheimdienstinformationen, welche die Katastrophe hätten verhindern können. Clapper misst diesem Angelpunkt größte Bedeutung bei.

Wäre das NSA-Programm, das über die Section 215 und Geheimgerichte läuft, öffentlich bekannt gemacht, in der unmittelbaren Folge von 9/11 eingeführt worden, hätten es die meisten Amerikaner unterstützt, so seine Behauptung, die er mit einer beschönigem Werbe-Claim krönt:

Ich glaube, dass es (das NSA-Programm zur Sammlung von Telefoniedaten, Einf. d. V) die meisten Amerikaner nicht mehr beunruhigt hätte als Fingerabdrücke. Die Leute akzeptieren das, weil sie darüber Bescheid wissen. Wäre wir in der Angelegenheit transparent gewesen und hätten gesagt, hier gibt’s eine Sache, die wir als Bürger im Sinne des Gemeinwohls tun müssen, so wie wir zwei Stunden früher am Flughafen sein müssen und die Schuhe ausziehen, und die anderen Dinge, die wir für das Gemeinwohl machen, dann eben auch das.

Das lässt einige Rückschlüsse darauf zu, wie herablassend ein Geheimdienstchef die Masse der amerikanischen Bevölkerung einschätzt, etwa so wie religiöse Hirten ihre gefügsame Herde betrachten, denen nur die geeignete Predigt gehalten werden muss, um auf Gehorsam und Glaubensbekenntnisse zu zählen - und hat im Kern eine falsche Behauptung.

Dass 9/11 aufgrund fehlender Informationen geschehen konnte, ist eine Mär, wie in mehreren Dokumenten bestätigt wird. Zum Beispiel hier, worauf der Blog "empty wheel" verweist. Dort wird übrigens auch die Frage danach gestellt, wie es denn sein kann, dass das umfassende NSA-Programm samt intensiver Zusammenarbeit mit anderen Geheimdiensten ("Five Eyes"), den Bostoner Anschlag der Tsarnaev-Brüder (vgl. Splitter und Fetzen) nicht verhindern konnte.