NSA-Überwachung: Der Generalbundesanwalt ermittelt

Aber nur im Fall des auspionierten Kanzler-Mobiltelefons, weil er nur dort einen relevanten Anfangsverdacht erkennt. Laut Justizminister Maas müsse das Abhören von Handys der Regierungsmitglieder wie der Bürger "Konsequenzen" haben

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Generalbundesanwalt Harald Range hat sich, entgegen anderslautender Berichte der jüngsten Zeit, dazu entschlossen, im Fall der NSA-Überwachung des Mobiltelefons der Bundeskanzlerin ein Ermittlungsverfahren zu eröffnen, wie er auf seiner Pressekonferenz zum "Stand im NSA-Komplex" heute Nachmittag bestätigte. Ermittelt wird gegen Unbekannt bei der NSA. Dazu wird Range Zeugen befragen, sagte er, Namen wollte er nicht nennen.

Dass der Fall politische Brisanz hat, sprach der Jurist indirekt an, in dem er seiner Ankündigung vorauschickte, dass die die deutschen Gesetze auch das Ausspionieren durch einen Geheimdienst einer befreundeten Nation strafbar machen. Wichtig seien greifbare Anhaltspunkte. Die lägen im Fall der Überwachung des Mobiltelefons der Kanzlerin vor.

Nicht jedoch im Fall der Massenüberwachung der deutschen Bürger. Hier mangele es an noch strafrechtlich relevantem Verdacht, belastbare Anhaltspunkte stünden noch aus. Der Prüfvorgang sei aber nicht geschlossen, man werde die Sache weiter beobachten und verfolgen. Er erhoffe sich von den Ermittlungen im Fall des Kanzlertelefons neue Hinweise auch auf verlässliche Tatsachengrundlagen im Fall der Überwachung der Telefone deutscher Bürger.

Range ließ in der Pressekonferenz verstehen, dass es von seiner Seite keine Signale gegeben habe, die vorab Rückschlüsse auf seine Haltung in der Sache zugelassen hätten. In Medien wurde in den letzten Tagen von einer "Kehrwende" berichtet.

Geht es beispielsweise nach den Informationen der SZ, deren Autoren, darunter die Investigativ-Reporter-Legende Leyendecker, anscheinend Einsicht in die Aktenlage und interne Vorgänge hatten, so soll Range lange Zeit seinen Mitarbeitern gegenüber den Eindruck vermittelt haben, "der Chef wolle keine Ermittlungen".

Äußerungen von Politikern wie Patrick Sensburg (CDU), Vorsitzender des NSA-Untersuchungsausschusses, bestätigten diesen Eindruck noch in der vergangenen Woche: "Mein Sachstand ist, dass er zumindest derzeit keine Ermittlungen einleiten lässt."

Diese Äußerungen im Vorfeld der heutigen Bekanntgabe der Ermittlungen legen nahe, dass möglicherweise politische Einflussnahme bei der Entscheidung des Generalbundesanwalts im Spiel war. Die Reaktionen auf den kolportierten Verzicht des Bundesanwalts waren "gewaltig", berichte die SZ: "fraktionsübergreifend kritisch". Für die Gründe Ranges nun doch zu ermitteln, offerierte die Zeitung heute gleich drei Mutmaßungen: den politischen Druck auf die Bundesanwaltschaft, die anstehende Pensionierung eines Sachbearbeiters, "der auf keinen Fall Ermittlungen einleiten wollte" - und einen langen Abwägungsprozess Ranges.

Justizminister Maas betonte in einem Gespräch mit dem Deutschlandfunk, zwar gehöre die Generalbundesanwaltschaft zum Geschäftsbereich des Bundesjustizministeriums, aber er lege größten Wert darauf, "dass der Generalbundesanwalt in seiner Entscheidung und auch in dieser Entscheidung völlig frei ist".

Wenn sich Politiker einmischen in Fragen, ob Ermittlungsverfahren eingeleitet werden oder nicht, geraten wir in eine ganz schwierige Grauzone, und zwar unabhängig davon, um welchen Fall es geht. Deshalb ist das ein Prinzip (dass Ermittlungsbehörden in ihrer Entscheidung frei sind; Einf. d. Red.), auf das ich größten Wert lege und das auch in diesem Fall zu 100 Prozent eingehalten worden ist.

Der nachdrücklich vorgetragene Verweis auf Unabhängigkeit der deutschen Justiz könnte es Merkel, die demnächst auf US-Präsident Obama trifft, einfacher machen, dem transatlantischen Freund die Nachricht besser zu verkaufen. Deutsche Ermittlungen gegen die NSA würden weltweit Schlagzeilen machen. Nach der Sorge vieler Politiker würde damit das Verhältnis zwischen den USA und Deutschland deutlich unter Spannung geraten.

Mancher vorbeugende Kotau wurde in diesem Sinne schon vollzogen, mit Spitzenleistungen von Ex-Innenminister Friedrich, Ronald Pofalla - "Der Vorwurf der vermeintlichen Totalausspähung ist vom Tisch", "Es gibt in Deutschland keine millionenfache Grundrechtsverletzung, wie immer behauptet wird" - und zuletzt von Patrick Sensburg, immerhin Leiter des NSA-Untersuchungsausschusses, der Beweise in Form von "Orginaldokumente von Snowden" verlangte, weil er sonst jede Glaubwürdigkeit vor dem Untersuchungsausschuss verliere.

Auch Justizminister Maas gibt vor, die im Netz umfassend dokumentierten Abhörpraktiken der NSA nicht zu kennen. Anders ist seine Aussage, bezogen auf Abhörpraktiken der NSA in Deutschland - "Ich kann Ihnen ja nicht sagen, welche Abhörpraktiken dort angewandt worden sind" -, nicht zu verstehen.

Allerdings räumt er ein, dass es nicht mit dem deutschen Recht in Einklang zu bringen wäre und "auch Konsequenzen haben muss", wenn "Handys von Regierungsmitgliedern abgehört werden oder abgehört worden sind" - und nicht nur im Falle der Regierungsmitglieder, auch "von Bürgern und von Journalisten und von Wirtschaftsvertretern und wem auch immer".

Wie diese Konsequenzen aussehen, darauf darf man gespannt sein.