NSU-Prozess: Zschäpe gesteht zum zweiten Mal ihre Mitschuld

Grafik: TP

Der Psychiater Joachim Bauer berichtet über seine Gespräche mit der Hauptangeklagten - zu ihrer Entlastung taugt das nicht

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Siebenmal hat der Arzt und Wissenschaftler Joachim Bauer mit Beate Zschäpe im Gefängnis gesprochen - jetzt berichtete er vor dem Oberlandesgericht (OLG) in München über Inhalte und beurteilte die Hauptangeklagte im NSU-Prozess aus ärztlicher Sicht. Er bescheinigte ihr eine "schwere dependente Persönlichkeitsstörung", sprich: Abhängigkeit von den mutmaßlichen Mördern Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos. Die drei bildeten zusammen das NSU-Kerntrio. Der Professor will Zschäpe eine verminderte Schuldfähigkeit zusprechen.

Was als Entlastung gedacht war, könnte tatsächlich zu ihrer weiteren Selbst-Belastung führen. Denn eine verminderte Schuld setzt Schuld voraus. Zschäpe hat damit zum zweiten Mal, nach ihrer Einlassung vor Gericht im Dezember 2015, eine Mitschuld an den zehn Morden, zwei Sprengstoffanschlägen und 15 Raubüberfälle eingeräumt.

Drittes Geständnis

Streng genommen hat die Angeklagte nun sogar bereits zum dritten Mal ein Geständnis abgelegt. Denn die Wohnung in Zwickau in Brand gesteckt zu haben, hatten ihre Anwälte - die heutigen Alt-Verteidiger Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm - schon zu einem frühen Zeitpunkt der Hauptverhandlung indirekt eingeräumt.

Die Initiative jetzt, die Angeklagte durch den Psychiater Joachim Bauer explorieren zu lassen, geht auf die Neu-Verteidiger Mathias Grasel und Hermann Borchert zurück. Genau wie die Einlassung Zschäpes am 9. Dezember 2015. Tatsächlich gleichen sich beide Äußerungen in auffälliger Weise. Zschäpe hat im Mai 2017 gewissermaßen via Bauer nahezu eins zu eins wiederholt, was sie im Dezember 2015 via Anwalt vortragen ließ. Da, wo es um ihre Person und ihre Biografie ging, etwas ausgeschmückter. Da, wo es um die Taten ging, dafür etwas verknappter.

Version Zschäpe

Die Version Zschäpe geht so: Von den Morden habe sie stets erst im Nachhinein erfahren und sie missbilligt. Da sie aber von den beiden Männern emotional abhängig gewesen sein will, sei sie nicht in der Lage gewesen, sich zu trennen oder gar die Polizei einzuschalten. Von den Raubüberfällen habe sie dagegen stets vorher gewusst und sei einverstanden, aber nicht dabei gewesen.

Für ihre Glaubwürdigkeit spricht die Wiederholung ihrer Darstellung nicht, denn schon 2015 war diese in weiten Teilen als konstruiert erkannt. Einiges ihrer Angaben kann inzwischen sogar als widerlegt gelten. Beispielsweise, dass der Bombenleger in der Probsteigasse in Köln einer der beiden Uwes war. Oder dass die Raubüberfälle nur von zwei Personen verübt wurden. Dass die Angeklagte damit im Übrigen die Anklageschrift stützt, ist eine der Seltsamkeiten ihres Verhaltens.

Insgesamt 14 Stunden lang hat Psychiater Bauer zwischen dem 27. Februar und dem 12. April 2017 mit Zschäpe im Gefängnis geredet. Er untersuchte ihre vaterlose Kindheit und ihre Zeit als Jugendliche in der rechten Szene von Jena sowie ihre Rolle in der Dreier-Gruppe Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe, aus der heraus die NSU-Verbrechen begangen worden sein sollen. Der Gutachter war dabei ganz wesentlich von den Auskünften der zu Begutachtenden abhängig.

Emotionale Abhängigkeit Zschäpes von Böhnhardt?

Bauer nimmt eine schwere emotionale Abhängigkeit Zschäpes von Böhnhardt an, die pathologische Züge hatte und sie unfähig machte, sich von den zwei Männern zu trennen, selbst als sie durch die zwei von immer neuen Morden gehört haben will. Er übernimmt gewissermaßen die Darstellung Zschäpes.

Aus Zeiten, als die drei sich noch öffentlich bewegten, sprich: in der Szene, gibt es keine Zeugnisse für eine derartige Abhängigkeit Zschäpes. Eher sogar für ein selbstbewusstes Auftreten ihrerseits.

Zentral für Argumentation und Beurteilung Bauers sind angeblich wiederholte und zunehmende "schwere Misshandlungen", die Zschäpe durch Böhnhardt erlitten haben soll - "Schläge", "Tritte", "Würgen". Hinter dieser Darstellung steht allerdings ein großes Fragezeichen. Denn laut Bauer habe nicht Zschäpe solche Dinge angesprochen, sondern er, der Arzt und Gutachter. Und Zschäpe habe sie bestätigt.

Doch von den Verletzungen Zschäpes gibt es bisher keine objektive Bestätigung oder eine Dokumentation etwa durch einen Arzt oder durch Freunde, Bekannte oder Familienmitglieder. Auch ihren Verteidigern gegenüber hat Zschäpe bisher nie von Gewalt durch Böhnhardt berichtet. Hat Zschäpe die Annahme Bauers, ihr sei Gewalt angetan worden, nur bereitwillig übernommen?

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