Nabucco - die Unvollendete

Europas neueste Pipeline ist nun offiziell. Aber woher soll das Gas für Nabucco kommen?

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3.300 Kilometer lang soll sich die Nabucco-Pipeline vom türkischen Erzurum über den Bosporus, Bulgarien, Rumänien und Ungarn bis zum österreichischen Gasverteilknoten Baumgarten erstrecken. Ab dem Jahr 2014 sollen jährlich 31 Milliarden Kubikmeter Erdgas durch die Pipeline strömen und im Winter auch deutsche Wohnzimmer heizen. Rund 10% der europäischen Gasimporte sollen damit unter Umgehung russischen Territoriums über die acht Milliarden Euro teure Röhre transportiert werden.

Der gestern in Ankara unterschriebene Staatsvertrag zwischen den Regierungen der europäischen Anrainerstaaten gilt als offizielle Geburt des Projekts, das bereits seit 2002 diskutiert wird. Die Geburt von Nabucco könnte sich allerdings auch als Totgeburt erweisen. Denn noch weiß niemand so recht, wo das Gas für die Nabucco-Pipeline eigentlich herkommen soll.

Europäische Unabhängigkeit

Der Ruf nach Unabhängigkeit von russischem Erdgas wird immer dann wieder laut, wenn es zwischen Russland und dem wichtigsten Transitland, der Ukraine, zu Streitigkeiten über Durchleitungskonditionen und Gaspreise kommt. Rund die Hälfte der deutschen Gasimporte kommt aus Russland – mit steigender Tendenz. Ein solches Angebotsmonopol ist politisch und wirtschaftlich problematisch. Einerseits versetzt es Russland in die Position, Deutschland erpressen zu können, andererseits haben deutsche Gaskunden kaum eine Alternative zum Monopolanbieter Gazprom, der künftig die Preise diktieren könnte.

Schon lange steht daher der Stichpunkt „Diversifizierung der Energieimporte“ ganz oben auf der außen- und energiepolitischen Agenda Deutschlands und der EU. Eine Alternative zu finden ist allerdings nicht so einfach. Man kann Erdgas zwar über den Umweg Flüssiggas mit Tankern transportieren – wirtschaftlich konkurrenzfähig ist das allerdings nur dann, wenn der Lieferant Dumpingpreise nimmt. Pipelines sind und bleiben das Standardtransportmittel für Erdgaslieferungen.

Gibt es Alternativen zu russischem Gas?

Die ebenfalls relativ reichhaltigen Erdgasvorkommen in Nordafrika sind bereits damit ausgelastet, die geografisch benachbarten Regionen auf der iberischen Halbinsel, in Südfrankreich und Süditalien zu versorgen. Deutschland und Nordeuropa bekommen nahezu die Hälfte ihres Erdgases aus Fördergebieten in der Nordsee. Doch diese Vorkommen haben ihren Förderpeak bereits überschritten und die Reserven neigen sich langsam dem Ende zu.

Flüssiggas für den europäischen Markt stammt vor allem aus Nigeria und Katar, die hohen Preise für Transport und Logistik lassen jedoch eine Expansion nur in Grenzen zu. Russisches Gas ist bereits heute nicht substituierbar. Wenn man sich die Weltkarte anschaut, so kommen nur zwei Regionen in Frage, aus denen alternative Erdgaslieferungen nach Mitteleuropa kommen könnten – das Kaspische Meer und der Persische Golf.

„Great Game“ am Kaspischen Meer

Als Deutschland im ersten Halbjahr 2007 die EU-Ratspräsidentschaft übernahm, legten Kanzlerin Merkel und Außenminister Steinmeier den Fokus der EU-Außenpolitik auf die Anrainerstaaten des Kaspischen Meeres. Unter dem Schlagwort „neue EU-Ostpolitik“ wollte man im „Great Game“ um die Energiereserven der Region künftig eine bedeutendere Rolle spielen. Auch wenn sich Steinmeier und „EU-Außenminister“ Solana bei den „lupenreinen Despoten“ in Turkmenistan, Usbekistan und Kasachstan gegenseitig die Klinke in die Hand gaben, genützt hat es ihnen nicht viel.

Nicht etwa die EU, sondern China hat sich in die aussichtsreiche Position des Hauptkonkurrenten Russlands im postsowjetischen Raum aufgeschwungen und hat bereits Lieferverträge mit allen drei Staaten abschließen können. China und Russland haben im „Great Game“ die Nase vorne und für die EU bleiben bestenfalls die Brotkrumen übrig.

Aserbaidschan - das letzte Fünkchen Hoffnung

Das erste Gas, das Europa durch die Nabucco-Pipeline erreicht, sollte nach Vorstellungen der EU-Kommission eigentlich aus Aserbaidschan kommen. Mit der Schah-Deniz-Pipeline existiert bereits eine Zuliefertrasse, die von Baku aus über das Gebiet Georgiens parallel zur Baku-Tiflis-Ceyhan-Ölpipeline bis ins türkische Erzurum führt. Die Gazprom kam den Europäern allerdings zuvor und unterzeichnete am 29. Juni 2009 einen Liefervertrag mit den Aseris, der mittelfristig keinen Raum mehr für Zusatzkontingente für die Europäer bietet.

Dafür bezahlt Moskau den Weltmarktpreis - da Gazprom das Gas allerdings primär für den subventionierten heimischen Markt einkauft, machen die Russen mit jedem gekauften Kubikmeter Verluste. Solange man den Europäern ein Schnippchen schlagen kann, scheint den Russen nichts zu teuer zu sein. Wenn Gas aus Aserbaidschan durch die Nabucco-Pipeline strömen sollte, so wird es zu wenig sein, um die Pipeline wirtschaftlich zu betreiben. Die Hoffnungen der Europäer liegen daher auch auf der anderen Seite des Kaspischen Meeres.

Turkmenistan – die große Unbekannte

Wenn die Nabucco-Betreiber von Turkmenistan sprechen, bekommen sie ein Glitzern in den Augen. Theoretisch könnten die Turkmenen die Pipeline mit ausreichend Gas füllen – wahrscheinlich ist dies aber nicht. Neben den Russen sind seit kurzer Zeit auch die Chinesen gute Geschäftspartner Turkmenistans. Die Turkmenistan-China-Pipeline soll noch dieses Jahr ihren Betrieb aufnehmen und 30 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr ins Reich der Mitte liefern – genau die Menge, mit der auch die Nabucco-Pipeline ausgelastet wäre.

Neben China gehört auch die Gazprom zu den Kunden Turkmenistans. Über 50% der turkmenischen Fördermenge sind vertraglich für 25 Jahre an die Russen veräußert, die mit dem turkmenischen Gas unter anderem die Ukraine versorgen. Wenn der Poker zwischen Chinesen und Russen einen Gewinner hatte, so heißt er Turkmenistan. Konkurrenz belebt das Geschäft, wurden die Turkmenen vor wenigen Jahren noch mit Dumpingpreisen abgespeist, so bekommen sie nun von Russland und China zwei- bis dreimal so viel Geld für ihr Gas. Der Flirt mit den Europäern dient daher anscheinend auch nur dem Zweck, den Preis noch weiter in die Höhe zu treiben, zumal eine Lieferaufnahme praktisch gar nicht möglich ist, ohne dass entweder Russland oder Iran dem Geschäft ihren Segen geben. Beides ist unwahrscheinlich.

Ein Blick auf die Karte des Kaspischen Meeres zeigt nämlich eins – wenn Turkmenistan Gas in die Nabucco-Zulieferleitung in Aserbaidschan einspeisen will, muss dieses Gas entweder verschifft werden, was zu teuer ist, über russisches oder iranischen Gebiet transportiert werden, was von Russen und Iranern abgelehnt wird und auch dem Gedanken europäischer Energiesicherheit widerspricht, oder aber über eine „Transkaspische Pipeline“ durch das Kaspische Meer transportiert werden.

Da sich die Anrainerstaaten aber bereits seit 20 Jahren über Grenzfragen und internationales Recht im Kaspischen Meer streiten und eine Lösung auch nicht absehbar ist, wird es nicht möglich sein, eine „Transkaspische Pipeline“ zu bauen. Nach den gültigen Rechtsabkommen müssten alle alle Anrainerstaaten einem möglichen Pipelinebau durch das Kaspische Meer zustimmen – es scheint ausgeschlossen, dass Russland einem solchen Vorhaben sein Plazet geben wird.

Georgien – ein unsicherer Transitstaat

Selbst wenn es eine solche „Transkaspische Pipeline“ geben würde, so bestünde auf der anderen Seite des Kaspischen Meeres ein Flaschenhals. Als Zulieferleitung bis zum Beginn der Nabucco-Pipeline in Erzurum soll die Schah-Deniz-Pipeline dienen. Die ist allerdings bereits in Betrieb und versorgt schon die Türkei mit Gas, und selbst bei maximaler Auslastung würde sie nur ein Drittel der Gasmenge transportieren können, für die die Nabucco-Pipeline ausgelegt ist.

Ein weiteres Problem stellt die Transitroute der Zulieferleitung dar. Diese verläuft parallel zur Baku-Tiflis-Ceyhan-Pipeline über georgisches Gebiet. Georgien ist wegen seiner fortwährenden Unstimmigkeiten mit Moskau und seiner unseriösen Regierung bestenfalls ein unsicherer Kantonist für die europäische Energiesicherheit. Sich von Georgien abhängig zu machen, ist sicher kein allzu kluger Schachzug.

Irak – Kurden gegen Zentralregierung

Als mögliche Alternative für Ergänzungslieferungen käme auch der Irak in Frage. Die österreichischen und ungarischen Konsortialpartner der Nabucco-Pipeline haben sich bereits mit der kurdischen Regionalregierung auf Förderkonditionen geeinigt. Diese Verträge werden von der Zentralregierung in Bagdad aber nicht anerkannt und bei der offiziellen Versteigerung der Konzessionen am 1. Juli kam es zu keinem Zuschlag für die Gasfelder – die Iraker hatten wohl ein wenig zu hoch gepokert. In absehbarer Zeit wird aufgrund der fehlenden Rechtssicherheit auch keine Zulieferleitung in den Irak mit Gas gefüllt werden.

Iran – gigantische Vorkommen aber politisch heikel

Ginge es nach den Versorgungskonzernen, die die Nabucco-Pipeline betreiben, so wäre es wohl nie zu Verhandlungen mit Aseris, Turkmenen oder Irakern gekommen. Iran verfügt hinter Russland über die zweitgrößten Erdgasreserven der Welt. Zusammen mit Katar, mit dem sich Iran die Förderung über das South Pars bzw. North Field teilt, das als weltweit größtes Gasfeld gilt und bislang kaum erschlossen ist, verfügt Iran sogar über größere Erdgasreserven als Russland. Iran bietet sich als Lieferant für die Nabucco-Pipeline förmlich an, und als 2002 das Konsortium seine Arbeit aufnahm, galt es auch als abgemacht, dass iranisches Gas durch die Pipeline fließen wird.

Die politische Protektion dieses Plans zerfiel allerdings spätestens mit dem Irakkrieg. Weder die USA noch Deutschland wollen Gasgeschäfte von EU-Unternehmen mit Iran dulden, da dies das Sanktions-Regime von USA und EU unterlaufen würde. Aber wie lange wird man diesen Widerstand aufrecht erhalten können? Wenn die Alternative Energieabhängigkeit von Russland heißt, wird Deutschland die Option Iran nicht ewig blockieren können.

Erst bauen, dann planen

Nabucco wird gebaut, darauf verständigten sich die Konsortialpartner, und der gestern unterschriebene Staatsvertrag sorgt nun auch für Rechtssicherheit. Wenn erst einmal acht Milliarden Euro in eine Pipeline investiert wurden, die „im Nichts“ endet, so wird es auch eine politische Lösung für die Lieferantenfrage geben müssen. Da die favorisierten Förderländer Turkmenistan und Aserbaidschan die gewünschte Menge nicht liefern können, und der Irak bestenfalls als Zusatzlieferant in Erscheinung treten kann, führt an einem europäisch-iranischen Deal kein Weg vorbei. Die Bauarbeiten sollen im Jahr 2011 beginnen und die Pipeline soll frühestens im Jahr 2014 in Betrieb gehen. Bis dahin – so dürften es die Betreiber wohl hoffen – wird sich schon in Teheran ein Gelegenheitsfenster öffnen.