Nach der EM ist vor der WM

Wenn das Hemd schlauer ist als sein Träger

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Zur Fußball-Weltmeisterschaft 2006 soll noch mehr Hightech eingesetzt werden als bisher. Forscher basteln an intelligenten Trikots für die Spieler und an einem elektronischen Schiedsrichterassistenten.

Der Ball ist rund, der Rasen grün und ein Spiel dauert 90 Minuten. So war das mal und ist es immer noch. Zunehmend spielt allerdings auch Computertechnologie im Fußball eine wichtige Rolle. Längst werden die Taktiken an Hand von Videoaufzeichnungen erarbeitet und die Stadien mithilfe von Kameras überwacht. Im Fernsehen sehen wir die Spiele aus verschiedensten Perspektiven und Entfernungen, spezielle Programme blenden bei Freistößen die Entfernungen zum Tor und zur Mauer der gegnerischen Spieler ein. Selbst die Geschwindigkeit des Balles, die bis zu 140 Stundenkilometern beträgt, kann bei einem Torschuss inzwischen direkt errechnet werden.

Computerhilfe für den Schiedsrichter in der Arena auf Schalke (Bild: Cairos AG)

Zunehmend kommt die Technik auch den Beteiligten näher. Fußballer sollen zwar (noch) nicht durch in den Körper eingepflanzte Chips aufgerüstet werden, aber Trikots, Schienbeinschoner und Ball können künftig für direkte Überwachung sorgen.

Müde Spieler vom eigenen Hemd enttarnt

An der Schule für Industriedesign der englischen Northumbria University hat der Student David Evans in Zusammenarbeit mit Sportwissenschaftlern ein Fußball-Shirt entwickelt, das automatisch durch eingebaute Elektro-Kardiogramm-Sensoren (EKG) die Herzfunktion überwacht. Zudem wird die Schweißabsonderung durch integrierte Siliziumgelstreifen gemessen. Die Daten werden zu einem Laptop oder Handheld am Spielfeldrand übermittelt, so dass der Coach stets den Überblick über den körperlichen Zustand seines Teams hat und ermüdete oder dehydrierte Spieler auswechseln kann.

"Chip in your shirt" statt "Chip on your shoulder": Das intelligente Fußballertrikot (Bild: Fraunhofer-Gesellschaft)

Das Hemd ist waschbar und hat bereits die Aufmerksamkeit von großen Sportzubehörfirmen auf sich gezogen. Demnächst wird es auf einer Design-Ausstellung in London offiziell präsentiert und bis zur Weltmeisterschaft 2006 soll es auf dem Markt sein.

David Evans ist selbst Fußball-Fan und beschäftigt sich mit auch mit Schuhen für die Kicker. Er bastelt an einer Einlegesohle mit Drucksensoren, die vor Ort jeweils klären soll, ob die Härte des Fußballfeldes mit dem gewählten Schuhwerk harmoniert oder ob durch den Stollendruck eine Verletzungsgefahr besteht. Sein Anliegen ist es, jede gesundheitliche Gefährdung der Fußballer auszuschließen:

"Ich hatte immer großes Interesses, etwas in dieser Richtung zu designen, aber als Marc Vivien-Foe vergangenes Jahr auf dem Fußballfeld an einer Herzattacke starb, begriff ich, dass das, was ich tue, eine reale Wirkung auf das Spiel haben könnte. Das Shirt zeichnet auf, wie Spieler in verschiedenem Klima reagieren und wie schnell sie ermüden, deshalb würde es eine große Hilfe für Manager sein, die darüber entscheiden müssen, wer wann ausgewechselt werden sollte."

Aus Deutschland kommt ein funkbasiertes Echtzeit-3-D-Ortungssystem, das bei der nächsten Weltmeisterschaft als elektronischer Schiedsrichterassistent eingesetzt werden soll. Forscher am Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen in Erlangen haben das Informationssystem auf Computerbasis namens Cairos im Auftrag einer Firma entwickelt. Mit seiner Hilfe lassen sich die Positionen der Akteure in einem Fußballspiel fortlaufend abbilden. Kleine und leichte Funksender werden in die Schienbeinschoner der Spieler eingebaut, auch der Ball wird digital verwanzt. Die Daten werden von mehreren Antennen in verschiedener Höhe rund um den Rasen erfasst und an Computer weitergeleitet und dort aufbereitet. Dadurch soll sofort deutlich werden, ob der Ball im Aus ist oder hinter der Torlinie. Abseitspositionen von Spielern sollen zweifelsfrei festgestellt werden – wobei hier noch die Schwierigkeit besteht, dass nach den Regeln die Position des Gesamtkörpers entscheidend ist. Die Positionsdaten der Spieler und des Balls werden bis zu 2000-mal pro Sekunde dreidimensional im Zentimeterbereich bestimmt. "Diese Technik ist hochpräzise, läst sich nicht täuschen und liefert Ergebnisse in Echtzeit," kommentiert René Dünkler vom Fraunhofer-Institut.

Schiedsrichterassistent

Der Schiedsrichter kann mit Zusatzgeräten wie einer Art Funkarmbanduhr ausgestattet werden, die vibriert, wenn der Ball im Tor ist oder einen Alarmton erzeugt, wenn ein Fußballer im Abseits steht.

Für die Medien ist das System interessant, um ihren Zuschauern zusätzliche Informationen wie genaue Anzahl der Ballkontakte, Laufgeschwindigkeiten der einzelnen Spieler oder Geschwindigkeit und Eigenrotation des Balls bieten zu können. Das Ganze kann dann auch dreidimensional abgebildet werden.

Funktionsschema von Cairos (Bild: Fraunhofer-Gesellschaft)

Entsprechende Informationen sind natürlich auch für Trainer, Vereine oder Mannschaften für taktische Analysen höchst interessant.

Erprobt wurde die Technik bereits in verschiedenen Stadien wie in Karlsruhe und auf Schalke. Ein Prototyp steht seit vergangenem Jahr im Frankenstadion in Nürnberg.

Fernsehaufzeichnung weiter aktuell

Bei klassischen Fouls oder wenn sich Fußballer wie Lamas benehmen und den Gegner anspucken (Sputa con Totti) und der Schiedsrichter auf dem Feld das nicht mitbekommt, kann der elektronische Schiedsrichterassistent kaum helfen. In solchen Fällen werden wohl auch künftig Fernsehaufzeichnungen nachträglich für den richtigen Durchblick sorgen (UEFA schliesst Spuck-Sünder Frei von EM aus).

Echte Roboter-Fußballer tun sowas nicht, aber sie sind beim Dribbeln und Flanken noch weit unterlegen, denn das Spiel ist sehr komplex, Experten schätzen, dass es bis 2050 dauern wird, bevor sie mit einer Chance auf einen Sieg gegen menschliche Spieler antreten (Stürmer aus Stahl).