Nach der Euro-Party

Katerstimmung und Katzenjammer

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Berlaymont-Gebäude, Sitz der Europäischen Kommission. Bild: Amio Cajander/CC-BY-SA-2.0

I. Symbolisierung und Schuldenaufnahme

Die Politik scheint den Euro als das Symbol der Europäischen Union (EU) erhalten zu wollen, koste es, was es wolle. Unterdessen werden die wirtschaftlichen Fliehkräfte innerhalb der Währungsunion stärker. Seit über vier Jahren versucht man erfolglos, die Unterschiede zwischen dem europäischen Norden und dem Süden auszugleichen. Die Finanzprobleme Griechenlands und Zypern wurden zunächst als "Peanuts" behandelt. Sie haben sich mittlerweile in ein "Systemrisiko" verwandelt. Zwei von drei Deutschen haben Angst, dass sie am Ende die Kosten für die Euro-Krise zahlen müssen. Gleichwohl war es der Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland, Angela Merkel, gelungen, das Thema aus den Wahlkämpfen des Jahres 2013 herauszuhalten. Dabei wurde sie von dem mindestens stillschweigenden Einverständnis einer "Opposition" unterstützt, die allen Rettungsmanövern zugestimmt hatte und in Wahrheit gerne noch mehr Geld für noch weniger (Reform-) Gegenleistungen zur Verfügung gestellt hätte (z. B. Eurobonds).

Die amtlichen Rettungssanitäter haben sich auch nicht durch aktuelle Zahlen über die Vermögensverteilung in Europa aufhalten lassen. Danach sind die deutschen Haushalte die ärmsten in der Euro-Zone (51.000 Euro). Erfreulicher sieht es dafür an anderen Stellen Europas aus: Zypern: 267.000 Euro; Griechenland: 102.000 Euro; Italien: 174 000 Euro.

Zur Sicherung des Primats der Politik gegenüber der Ökonomie hat man zudem Regeln gebeugt, Versprechen gebrochen und die Grundlagen der Währungsunion vergessen, die bekanntlich als Gemeinschaft souveräner Staaten und nicht als Transferunion gegründet wurde. Es interessierte auch nicht wirklich, dass die monetäre Staatsfinanzierung durch Notenbanken verboten ist, um eine Haftung für andere Länder auszuschließen. Dennoch wird Politik auch zukünftig wirtschaftlichen Erfolg nicht erzwingen können. Sie kann nur die Realität um den Preis ständig steigender Kosten verschleiern. Ihr "Erfolg" besteht bis jetzt nur darin, dass der wirtschaftlich starke Norden noch stärker und der wirtschaftlich schwache Süden noch schwächer wurden. Das war die vorhersehbare Folge der Spaltung der Währungsunion. Nirgendwo ist zu sehen, dass die Schere zwischen Lohn und Produktivität geschlossen wird. In der Währungsunion dürften die Staatsschulden in absehbarer Zeit genauso hoch sein wie die Wirtschaftsleistung. Die Staatsschulden werden sich seit Beginn der Währungsunion bald auf 9, 5 Billionen Euro verdoppelt haben.

In China wurde Merkel gefragt, ob in einer demokratischen Ordnung Wahlen nur dann zu gewinnen sind, wenn man mehr verspricht, als man finanzieren kann. In der Öffentlichkeit sind massive Zweifel daran aufgekommen, dass eine Währungsunion in Gestalt einer Transferunion Bestand haben kann. Zur Herbeiführung der nötigen Strukturanpassungen rufen manche nach der "Zinskeule des Marktes". In einer Transferunion könnte die "italienische Spaltung" drohen. Inflation gilt als Folge des Versuchs, dem Zwang solider Haushaltsführung mit der Notenpresse zu begegnen. Man hört hier und da Voraussagen, dass die Europäische Zentralbank (EZB) irgendwann von einem Parlament, einem Gericht oder dem Wähler daran gehindert wird, über die Bilanzen der Notenbanken in einem demokratisch nicht legitimierten Verfahren Steuergeld zwischen den Staaten umzuverteilen. Das dürfte wohl nicht in Deutschland, aber vielleicht in Österreich, Finnland, den Niederlanden oder in Frankreich geschehen.

Politiker stellen den Erhalt des Euro immer wieder als "Frage von Krieg oder Frieden" hin, erklären die Rettung dieser Währung als "alternativlos" und postulieren eine Identität zwischen dem Euro und Europa. Dem wird entgegengehalten, dass die friedvolle Einigung Europas ohne den Euro besser funktioniert habe. Eine gemeinsame Währung erspart zwar offensichtlich Umtauschkosten. Sie wird die Angleichung von Lebensverhältnissen aber nicht erzwingen können. Doch gibt es mindestens eine Alternative: Ein System anpassungsfähiger Wechselkurse.

Wolfgang Hetzer, promovierter Rechts- und Staatswissenschaftler, war von 2002 bis 2013 Abteilungsleiter im Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF/Office Européen de Lutte Anti-Fraude) und fungierte als Berater des Generaldirektors des OLAF im Bereich Korruption in Brüssel. Zuvor war er Referatsleiter im Bundeskanzleramt und zuständig für die Aufsicht über den BND in den Bereichen organisierte Kriminalität, Geldwäsche, Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen sowie strategische Überwachung der Telekommunikation.

Von Wolfgang Hetzer ist vor kurzem das Buch "Die Euro-Party ist vorbei. Wer bezahlt die Rechnung?" erschienen. Wir haben daraus ein Kapitel veröffentlicht: Die Europarty ist vorbei.

Die Einsicht in die Schadensträchtigkeit der Fortsetzung der bisherigen Politik ist bei "Überzeugungseuropäern" trotz alledem nicht weit verbreitet. Vielleicht werden aber die Verhältnisse in manchen südlichen Mitgliedstaaten der EU einen Lernprozess in Gang setzen: Nicht nur in Portugal scheinen die Bürger nach einer über zweijährigen pausenlosen "Reformpolitik" am Ende ihrer Kräfte angelangt zu sein. Unmittelbar nach der Bundestagswahl 2013 verbreitete sich in Griechenland schon die Hoffnung, dass sich die SPD an einer Regierungskoalition beteiligen würde und so dem Land ein Großteil seiner Schulden erlassen und die eingeleiteten Reformen gestoppt werden, alles ein Zeichen dafür, dass die Krise keinesfalls vorbei ist.

Mit ihrem Wahlsieg ist der Bundeskanzlerin eine gewaltige Verantwortung für Europa übertragen worden. Um die Gemeinschaft zusammenzuhalten, wird sie entscheidende Beiträge zur Überwindung der Schuldenkrise, zur Förderung starker Unternehmen, zur Reparatur der Währungsunion und zur Formulierung einer gemeinsamen Außenpolitik leisten müssen. Das wird nicht einfach sein, zumal es schon Forderungen gibt, das Einstimmigkeitsprinzip bei Entscheidungen in der Währungsunion abzuschaffen, um der vermeintlichen deutschen Dominanz entgegenzuwirken. Nach der Bundestagswahl 2013 war zunächst auch noch nicht absehbar, ob die deutsche Bundeskanzlerin sich auf den Sitzungen des Europäischen Rates im Oktober 2013 mit freien Händen würde präsentieren können. Das war (und ist) eine wichtige Frage, weil es schon seinerzeit (wieder einmal) um wichtige Fragen gehen sollte, wie etwa die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und wichtige Aspekte der Wirtschafts- und Währungsunion. Im Vorfeld der Koalitionsverhandlungen in Deutschland hielt manch ein Politiker Merkel aber (noch) nicht für legitimiert, um in grundlegenden europapolitischen Fragen zu entscheiden.

Seinerzeit war erkennbar, dass auf zwei europäischen Großbaustellen nur "Dienst nach Vorschrift" gemacht werden konnte und es war nachvollziehbar, dass wichtige Entscheidungen, wie etwa die vergleichende Messung der Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaften der EU-Länder oder die Abwicklung maroder Geldhäuser, nicht ohne Einverständnis des jeweiligen Koalitionspartners getroffen werden sollten. In der internationalen Presse gab es unterdessen Mutmaßungen darüber, dass die europäische Politik zum Erliegen kommen dürfte, während Deutschland sich sortiert.

Im deutschen Wahlkampf waren ohnehin schon viele Euro-Debatten unterdrückt worden. Eine Bestandsaufnahme wird aber immer dringender, weil sich in der Währungsunion die Probleme häufen. Sollte man das einfach weiterlaufen lassen, würde dies bedeuten, dass es auseinanderläuft. Die bis jetzt organisierte "Erfolgsgeschichte", die vor allem auf den Rettungsversprechen der EZB beruht, hat Risse bekommen.

Frankreich und Italien befinden sich womöglich auf dem "Weg ins Nirgendwo"

In Europas Mitte gähnt ein "riesiges Fragezeichen": Frankreich und Italien. Die zweit- und drittgrößten Mitglieder der Währungsunion befinden sich womöglich auf dem "Weg ins Nirgendwo". Beide haben die Wende zur Wettbewerbsfähigkeit nicht geschafft, so dass grundsätzliche Zweifel an der dauerhaften Überlebensfähigkeit des Euro aufgekommen sind.

Das muss Folgen haben: Entweder die Italiener und Franzosen nehmen Abstriche an ihrem gegenwärtigen Lebensstandard hin oder sie modernisieren ihre Volkswirtschaften so, dass sie ihn sich weiterhin leisten können. Danach sieht es aber derzeit nicht aus, hat Frankreich doch eine Rentenreform beschlossen, die die Arbeitskosten sogar noch erhöht, während in Italien die wenigen Errungenschaften "Knetmasse wackliger politischer Mehrheiten" sind. Das ist schon deshalb besonders beunruhigend, weil das Land im Falle eines Bankrotts keinen Platz unter einem Euro-Rettungsschirm finden könnte. Die Gefährlichkeit der Krise ist auch dadurch begründet, dass die vor über 150 Jahren begonnene Einigung Italiens immer noch nicht abgeschlossen ist. Dabei geht es übrigens nicht nur um die Unterschiede zwischen Nord und Süd.

Italien ist in mehrfacher Hinsicht eine "unversöhnte Nation". Über Jahrzehnte haben die Politiker dieses Landes versucht, die bestehenden Spannungen mit großzügigen Zuwendungen zu mildern. Die Geldverteilung folgte klientelistischen Kriterien. Unterdessen wuchs der Schuldenberg. Die politische "Elite" Italiens funktionierte nur als Geldverteilungsmaschine. Sie entwickelte und gestaltete nichts und sie führte nicht. Ihr Konzept bestand nur darin, sich den gesellschaftlichen Frieden zu erkaufen. Das konnte in der Tat nur so lange gut gehen, bis der Euro Italiens Modell zum Vergleich mit anderen Modellen erzwang.

Es dürfte sehr schwer werden, das Land aus der Krise zu führen, wenn seine Elite tiefzerstritten und gelähmt bleibt und die durchschnittliche Verweildauer von Ministerpräsidenten im Amt sich bei 10 Monaten einpendelt. Diese "Elite" scheint nie gelernt zu haben, inhaltliche Kompromisse zu schließen. Vielmehr wurden immer nur bequeme Abmachungen darüber getroffen, wer wieviel Geld bekommen soll. Solche Politiker gleichen "Krämernaturen", die nicht in der Lage sind, über den eigenen Tellerrand hinauszusehen. Die Gefährlichkeit Italiens rührt also daher, dass das Land so ist wie es ist.

In dieser Situation ist ein Architekt vonnöten, der in der Lage ist, die Währungsunion mit einem stabilen Fundament auszustatten. Zu den Kernelementen einer potentiell erfolgreichen Strategie müssten u. a. eine Flexibilisierung bei den Sparzielen und die Fixierung einer wettbewerbsbezogenen Wirtschaftspolitik gehören. Es gibt zwar bereits einverständliche Budgetziele und sachdienliche wirtschaftspolitische Empfehlungen der Europäischen Kommission (Kommission). Die EU-Mitgliedstaaten müssten sich nur alle daran halten. Und es müssten insoweit wirksame Kontrollinstanzen eingerichtet werden. In diesem Zusammenhang dürfte die Abgabe nationaler Souveränität unvermeidlich werden.

Die Bundeskanzlerin hat bislang nicht den Eindruck erweckt, dass ihr eine derartige Vision zugänglich ist. Sie zieht es vor, mit ein paar Regierungschefs in "Brüsseler Hinterzimmern" auf die jeweils aktuelle Herausforderung der Krise zu reagieren. Der Bau eines "neuen Hauses Europa" erfordert aber angesichts des Zustandes der Währungsunion eher mutige Aktionen. Der Optimismus hält sich jedoch in Grenzen. Hier und da ist die Befürchtung aufgekommen, dass die Euro-Staaten unter dem alten, morschen Dach bleiben - und sich weiter auseinanderentwickeln.

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