Nachschub für die Traumfabrik

Das zweite script!FORUM für Drehbuch und Stoffentwicklung in Berlin

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Es ist schon ein paar Jahre her, dass Helmut Thoma von RTL auftrat und meinte, es gäbe in Deutschland keine guten Drehbuchautoren. Mittlerweile ist ein regelrechter Markt für Drehbuchaus- und -weiterbildung entstanden. Der Bedarf an solchen Büchern sei groß, heißt es allerorten, aber wie hoch ist eigentlich der Bedarf an Autoren? Einen Mangel gibt es jedenfalls nicht mehr: den Mangel an Ratgebern, die Methoden und Strategien des Drehbuchschreibens propagieren. Ganze Buchreihen zu diesem Thema versorgen die Skript-Aspiranten mit Lesestoff. Landauf, landab werden Kurse veranstaltet und neue Studiengänge gegründet. Und nun auch noch eine Messe.

Das Skriptforum ist in erster Linie ein Branchentreff mit Vorträgen, Präsentationen und Paneldiskussionen sowie beigefügtem Workshop-Programm. Vom 4.-7.10. ging es in der Berliner Urania zum zweiten Mal über die Bühne. In der Ausstellung konnte man sich informieren zu Neuerscheinungen aus dem Medienbereich, zum Programm von Fernsehsendern und den Bedingungen von Medienagenturen. Das direkte "Verkaufen" von Drehbuchideen spielte auf dieser "Messe" denn auch eine Nebenrolle (im neu hinzugekommenen, vom KunstSalon Köln an einem Tag veranstalteten "Markt der Stoffe"). In den Präsentationen gaben Produzenten Auskunft über Stoffe, die sie suchen. Eine Produzentin glaubt, dass die Leute nach dem 11.9. nur "leichte Sachen" sehen wollen, und forderte dazu auf, ihr schöne, witzige Entwürfe zu senden.

Messe-Initiator Oliver Schütte nannte die Autor-Produzenten-Beziehung in seiner Eröffnungsrede "fragil". Sinn der Messe sei, den Austausch der Autoren, Produzenten, Dramaturgen, Redakteure und Agenten zu fördern, und das wird ihr auch gelungen sein. Alle Beteiligten sollten sich für ihre weitere Professionalisierung einsetzen. Etwas beschwörend wiederholte er die Formel, dass nur, wer professionell und (selbst)sicher sei, auch wirklich originell sein könne.

Zwischen Kunst und Massenunterhaltung

Film und Fernsehen sind unersättliche "Geschichtenfressmaschinen" (Jürgen Kasten). Während der Fernsehbereich expandiert ist - allein das Kinderprogramm des ZDF produziert pro Jahr eine Programmenge, die für drei Monate Ausstrahlung rund um die Uhr reicht -, ist der eigentliche Filmmarkt in der Bundesrepublik recht überschaubar, und relativ wenige Drehbücher gelangen zur Verfilmung. Wer immer da als Autor einen Fuß in die Tür kriegen will, muss aushalten, dass eine Menge Leute an dem Buch herumdoktern werden, um es auf Massengeschmack zu trimmen. Der Spagat zwischen künstlerisch wertvoller "Egozentrik" und Massenbedürfnisbefriedigung ist nicht einfach.

Der Drehbuchpreisträger Clemens Murath ("Der Schatten des Jaguar") brachte in seiner Ansprache den Konflikt der Kreativen zum Ausdruck. Ist man eigentlich in die Medienwelt ausgezogen, um seine künstlerischen Ambitionen zu verwirklichen, findet man sich stattdessen als "Dienstleistender in der Unterhaltungsindustrie" wieder. Der "verstörende", berührende Ausdruck für existenzielle Nöte komme nicht mehr vor, stattdessen sieht man sich konfrontiert mit "Plotpoint-Technikern" und "Background Story"-Spezialisten. Der "gesichtslose Kunsttechniker" verdränge den Künstlertypus des "skrupellosen Egozentrikers". Er illustrierte ein Gefühl, das wohl so manchen Leser schon beschlichen hat, der einen Blick in diese dramaturgischen Regelwerke geworfen hat: wo sind denn die Plotpoints (Wendepunkte) in den großen Filmen, die man so liebt? Er nannte "Chinatown" von Roman Polanski und "Die üblichen Verdächtigen" von Bryan Singer als Beispiele für Filme, die inhaltlich nicht klar verständlich (nach den "Regeln"), aber trotzdem gut seien.

Die Importe der amerikanischen Skript-Manuals begann in der Bundesrepublik mit dem Aufstieg des Privatfernsehens. Je konfektionsmäßiger die Massenunterhaltungsware gestrickt ist, desto mehr funktionieren die Regeln und werden sie zum Funktionieren gebracht. Da der Markt lukrativ ist, sind viele Köche am Rezepte-Brei beteiligt: welche, die den Koch-Ritus beschwören, andere, die klassische Zutaten vermitteln (oder mit ihnen experimentieren) und die, die den Spirit des Kochens selbst anfeuern wollen. Die Kunst bleibt die Ausnahme von diesen Regeln - im mehrfachen Sinne.

Die Podiumsdiskussion "Am Anfang war das Buch" behandelte das Thema der Literaturadaption als Variante des Problems, wie man Kunst und Unterhaltung miteinander verbinden kann. Neben netten Anekdoten um rein- und rausgeschriebene Goldfische in x-ten Drehbuchfassungen und Schilderungen aus dem schon weniger glamourösen Alltag in Lizenz- und Lektoratsabteilungen äußerte sich freie Produzent Malte Grunert zum Problem der werkgetreuen Verfilmung. Grunert meinte, dass sich am genauesten reine Unterhaltungsliteratur verfilmen lasse. Die Bücher von John Grisham seien schon wie Drehbücher geschrieben; es gäbe nur "rein bildliche Beschreibungen" und "keine inneren Welten" mehr. Bei anspruchsvolleren Büchern dagegen müsse man darauf acht geben, die literarische Qualität in etwas anderes zu "übersetzen", da viel Stoffmasse verloren ginge, ganze "Ebenen" der Literatur, Vorstellungswelten. Vielleicht gelänge das Treffen eines "Tons". Der Film verfüge über seine eigenen Möglichkeiten der Inszenierung, um diese Übersetzung zu leisten.

Selbermachen als Marketing-Aktion

Das Internet-Projekt eScript, das als interaktives Drehbuchprojekt präsentiert wurde, erfreut sich einiger Beliebtheit und erhielt eine Auszeichnung des Grimme-Instituts für Medienkompetenz. Die ZDF-Reihe um den Privatdetektiv Georg Wilsberg ist der Rahmen für ein Experiment, das der Redaktion zwar viel Arbeit, aber auch einen großen Öffentlichkeitserfolg beschert hat. Mitmachen kann jeder, der will und bereit ist, Zeit in das gemeinsame Lernen des Drehbuchschreibens und die Diskussion von Vorschlägen zu investieren. Nachdem anfänglich viele Krimifans sich beteiligten, stabilisierte sich die Online Community schließlich bei ungefähr vierzig Leuten. Die Kommunikation erfolgt über das Internet mit Forumsdiskussionen und wöchentlichen Redaktionschats.

Das Projekt ist mittlerweile in seiner dritten Phase angelangt. War im Stadium davor den beteiligten Zuschauern als Aufgabe das Ausformulieren von festgelegten Szenen aufgetragen, die der Wilsberg-Autor Jürgen Kehrer geschrieben hatte, soll in dieser Phase die Geschichte von der Community selbst entwickelt werden. Ziel ist ein fertiges Drehbuch, das dann auch als Fernsehfilm umgesetzt (und vergütet) wird. Die Master School Drehbuch sorgt im Hintergrund mit Seminaren für das nötige dramaturgische Rüstzeug. Ob eine wirklich tragfähige Geschichte entwickelt werden kann, ist noch offen. Wenn es zum Einsatz professioneller Autoren kommen sollte, die noch einmal "rübergehen", meinte der verantwortliche Redakteur Martin Neumann, dann werde dieser "transparent" sein, nicht einfach von der Redaktion bestimmt.

Neumann bestätigte den Einwurf eines Autors, dass das Ganze nicht nur als Lernerfolg einiger Zuschauer, sondern auch als Marketing-Aktion für das ZDF sehr zufriedenstellend sei. Es ginge sowieso nur mit solchen komödiantisch angehauchten Kriminalfällen, bei den ernsteren härteren Kriminalstoffen für "Bella Block" etwa sei diese Arbeitsweise unmöglich.

Figurale Dramaturgie

Der Filmpsychologe und Drehbuchberater Dirk Blothner, Dozent bei der Grimme-Akademie, beschäftigte sich mit der Analyse und Gestaltung von psychischen Wirkungsprozessen, die bei der Betrachtung eines Films stattfinden. Er meinte, dass wir heutzutage eine visuell betonte Filmkunst hätten, die uns zwar das Vergnügen bereite, ständig irgendwelche computererzeugten Metamorphosen in Film und Videos zu sehen, aber es seien Formenveränderungen "ohne spürbare Verwandlung", reine Oberfläche, was wiederum den Hunger nach "erlebter Metamorphose" entstehen ließe.

Er möchte den "alltäglichen Seelenbetrieb" der Menschen mit der Rezeption eines Films in Verbindung bringen. Wir sehen nicht nur einen Film, sondern wir erlebten ihn auch, würden von diesem Erlebnis auch auf eine unterbewusste Weise bewegt. Dabei gehe es nicht um oberflächliche Mechanismen auf der Ebene der Geschichte oder die reine Bildgestaltung, sondern um einen gesamten psychologischen Wirkungszusammenhang, den seiner Meinung nach Autoren in der Anlage ihrer Hintergründe, Wendepunkte, Konflikte berücksichtigen sollten. Der Film "modelliere" einen weit über die Dramaturgie-Formeln hinausgehenden psychischen Prozess. Film sei eine zeitlich begrenzte "Stundenwelt", in der die Zuschauer eine besondere Erfahrung außerhalb ihres Alltags machen wollten. Sie wollen zum bewegten "Subjekt auf Zeit" werden, sich in "Material" (Geschosse, Blüten usw.) verwandeln.

Blothner lieferte seine Rechtfertigung für die Regel, dass ein Film über zwei Wendepunkte verfügen "müsse". Diese seien nicht deshalb effektvoll, weil der Held, mit dem sich der Zuschauer nach diesem Theorieansatz auch gar nicht unbedingt identifizieren muss, in eine neue Richtung gehe, sondern weil sich das "Ganze" neu ordne, einen neuen Sinn bekäme (was die Zuschauer im Film als fiktives Geschehen miterleben, würden sie aus ihrem wirklichen Leben kennen: die Gefahr einer privaten Katastrophe oder die Chance einer neuen Situation). Mehr als zwei Wendungen seien aber für den psychischen Haushalt des Publikums in den Kinostunden nicht zumutbar.