Nasser Wandel im Kohlerevier

Blick in den Ilse-See, dem früheren Tagebau Meuro in Großräschen. Bild: Jörg Brause

Auf der größten Landschaftsbaustelle Europas in Brandenburg entsteht ein Seenland mit ambitionierten architektonischen Vorhaben wie schwimmenden Häusern und alten Fabrikanlagen

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Der Name des Projekts verrät einen gewissen Größenwahn, der vor 10 Jahren auch nötig war, um in einer gottverlassenen Gegend wie der Niederlausitz im Süden von Brandenburg eine der weltweit größten Neugestaltungen einer Landschaft auf den Weg zu bringen. 2000 startete die Internationale Bauausstellung Fürst-Pückler-Land mit dem Ziel, eine vom Tagebau zerstörte und von der Kohleindustrie geprägte Region umzugestalten. 23 neue Seen entstehen seit dem in grau-braunen Mondlandschaften, in denen zum Teil noch nach der Wende Braunkohle abgebaut wurde. Allmählich nimmt die Vision einer Landschaft, über die in Telepolis schon berichtet wurde, Gestalt an.

Aber noch immer fällt es schwer sich vorzustellen, wie ausgerechnet in der Lausitz eine Wasserlandschaft entstehen soll, die mit Urlaubsgebieten wie der Müritz oder Tauchressorts in den Bergen konkurrieren könnte.

Ein Grund für die Enttäuschung sind sicherlich die vielen bestechenden Projektionen, die die IBA in den letzten Jahren präsentierte. Auf diesen Bildern und Entwürfen scheint immer die Sonne wie auch heute, segeln Boote über tiefblaues Wasser und ankern Schiffe unweit strahlend weißer Bungalows, von denen aber weit und breit nichts zu sehen ist.

Vision vom Ilse-Hafen. Bild: Entwurf Joswig/IBA

Umbau in kleinen Schritten

Die Vision vom zukünftigen Seenland stimmt – noch – nicht mit der Wirklichkeit überein. Am Ilse-See, dem einstigen Tagebau Meuro unweit von Großräschen, steht man noch immer an einer spärlich bewachsen Uferböschung. Die einst als "Marslandschaft" beschriebenen und beworbenen schwarzen Schluchten fluten. Ein "kleiner" See ist schon da.

Kunstinstallation in der Ausstellung „Die Neueroberung einer Landschaft“, in der sich der Tagebau spiegelt. Bild: Jörg Brause

Die Krater, die einst die gigantischen Bagger in das Land rissen, beeindrucken noch immer. Bis aus der wüsten eine blühende Landschaft wird, muss noch viel Wasser aus der Neiße, der Spree und der Schwarzen Elster fließen, die die Seen speisen. Dann müssen die noch sauren Gewässer neutralisiert werden mit Kalk, bis sie für das Schwimmen freigegeben werden können.

Der Tagebau Welzow ist noch in Betrieb. So wie hier pflügten Bagger die Erde um. Links bilden sich riesige Abraumhalden, während unten die Kohle abgetragen wird. Bild: Jörg Brause

Natürlich braucht die Neugestaltung Zeit. Und 10 Jahre sind für diesen von Menschenhand angestoßenen Prozess schon in Anbetracht der Größe des Gebietes von 80 mal 120 Quadratkilometern eine verschwindend geringe Zeit. Verglichen mit der Erdgeschichte vollzieht sich hier eine Miniatur-Evolution.

Unterhalb der Abraumhalden in Welzow fährt ein LKW. Bild: Jörg Brause

Den IBA-Planern um den früheren Bauhausdirektor und heutigen IBA-Geschäftsführer Rolf Kuhn und seinen Mitarbeitern kam dabei die Rolle von Visionären zu, die das scheinbar Unmögliche immer wieder aufs Neue ausmalten und zur Diskussion stellten. Aktuell verfolgt Kuhn den Plan, den Sedlitzer See mit einem 1000 Meter langen schwimmenden Steg von einem zum anderen Ufer zu überqueren. Einer Machbarkeitsstudie des Berliner Planungsbüros sinai nach ist das technisch kein Problem. Nur das Geld fehlt noch.

Angesichts solcher abenteuerlich anmutenden Pläne passt Pückler als Namensgeber ganz gut zur IBA, auch wenn so gut wie gar kein Bezug zu dessen Ideen hergestellt wird. Der Katalog beschränkt sich auf einen zweiseitigen Abriss über sein exzentrisches Leben. Der Fürst, heißt es da, ließ Bäume versetzen und vieles mehr. Vor allem aber lebte er unweit des neuen Seenlandes in Branitz in der Nähe von Cottbus, inszenierte Landschaften wie ein Bühnenbild. Ein anderer bedeutungsvoller Name wäre in der Region wohl auch schwer zu finden. So anachronistisch der Bezug zu Pückler zumal angesichts der ausgesprochen modernen Bauvorhaben der Bauausstellung anmuten mag, macht er zumindest insofern Sinn, als auch der adelige Landschaftsplaner in Brandenburg gigantische Erdmassen vor rund 200 Jahren bewegte.

Schroffe Landschaft am Rande des Tagebaus. Bild: Jörg Brause

Dabei ist der Landschaftsumbau, das wird Rolf Kuhn nicht müde zu betonen, nicht das Werk eines einzelnen oder des IBA-Teams, sondern eine "IBA von unten", deren Entstehung bis in das Jahr 1994 zurück reicht, als der Architekt Wolfgang Joswig und einige Politiker in Senftenberg und Großräschen vor Ort die Idee einer "IBA Ilse Park" ins Gespräch brachten. In Senftenberg war mit der "Badewanne der Lausitz" schon eine Kohlegrube bereits zu DDR-Zeiten zu einem Ferienort umgestaltet worden. Mit weiteren Kommunen und Rolf Kuhn im Boot wurde aus den ersten Überlegungen dann die die heutige "Fürst-Pückler", die auch die Unterstützung der Landesregierung Brandenburgs fand.

Diese IBA ist ein regionales Produkt, eine 'IBA von unten', sie lebt von den Menschen und den Partnern der Region, ohne provinziell zu werden, sondern mit hohem internationalen Anspruch. Das Kunststück, Geschichte zu bewahren und gleichzeitig zu neuen Ufern aufzubrechen, ist hier gelungen.

Rolf Kuhn

Nebeneinader von Idylle und industriellem Erbe

Dafür wurde über alle Projekte in allen Teilen des entstehenden Seenlandes viel geredet. Ein Prozess, der sowohl im Katalog wie auch in der abschließenden Präsentation gut dokumentiert ist. Und der nun zum Finale in das Kunstprojekt "Paradies 2" mündet. "Der Schweizer Künstler Jürg Montalta lässt die Menschen der Lausitz zu Künstlern und Landschaften zu Bühnenbildern werden."

Von Anfang an sei klar gewesen, sagt Rolf Kuhn, dass man konkrete Dinge brauchte, um die Menschen der Region zum Mitmachen zu begeistern. Gründungen wie die Tauchschule am Gräbendorfer See in einem schwimmenden Haus, einem der ambitioniertesten Bauvorhaben der letzten 10 Jahre, sind da nur ein Beispiel auch dafür, dass die Zukunft des Wohnens auf dem Wasser in der Lausitz neu erfunden wird.

Die Seebrücke am Ilse-See reicht schon über den Grund. Bis zum Steg soll das Wasser noch ansteigen. Bild Jörg Brause

So ernüchternd der erste Blick auf den Ilse-See war, um so beeindruckender sind dennoch viele weitere Projekte. Die Entscheidung, das industrielle Erbe zu bewahren und damit einmalige und außergewöhnliche Architekturen zu erhalten, hat sich zu einem Publikumsrenner entwickelt. 2009 besuchten rund 62.000 Leute die weltweit größte bewegliche Förderbrücke F 60. Fast 29.000 Menschen besuchten im selben Jahr die IBA-Terrassen mit ihren Ausstellungen rund um die Entwicklung der sogenannten Landschaftsinseln. Die Themen wie Industriekultur, Wasser- oder Energielandschaften, Grenz- und Zwischenlandschaften und vieles mehr wurden in 30 Projekten bearbeitet. Diese Vielfalt, das Nebeneinader von Idylle und industriellem Erbe macht das Besondere des neuen Seenlandes aus.

Das Besucherbergwerk F60, ein gigantischer Stahlkoloss, ist heute eine der Besuchermagnete für Touristen im Revier. Bild: Jörg Brause

"Die Neueroberung einer Landschaft", wie der Titel der abschließenden Präsentation lautet, brachte eindrucksvolle Konstellationen in der weiten öden Niederlausitz hervor wie die verblüffend einfach umgesetzten Landmarken. Ein Beispiel: Was fängt man an mit einem grünen Hügel an, in dem unsichtbar unter dem Gras die Reste einer Fabrik aufgeschüttet wurden? In Großräschen funktioniert die Aufschüttung heute als Aussichtsplattform "Viktoriahöhe" am Ilse-See samt Webcam.

Der Berghaider See am Besucherbergwerk F 60 soll noch einen Badestrand bekommen. Bild: Jörg Brause

Wenige Meter vom Grubenrand steht schon das "Seehotel", ein Haus aus dem Jahr 1920, das früher ledige Angestellte der Bergbaugesellschaft beherbergte. Man könnte hier jetzt weitere Erfolgsgeschichten erzählen, wie es einige im IBA-Gebiet gibt. Vom Pioniergeist vieler Menschen wie Gunther Walter und seiner schon erwähnten Tauschschule. Von Eckhard Hoika, der einmal als Klempner arbeitete und heute Chef eines kleinen Unternehmens ist, das Fahrräder verleiht, einen Busshuttle-Service oder Rundfahrten mit der sogenannten "Seeschlange" anbietet. Einem Gefährt, das wie eine Kleinbahn auf Rädern aussieht. "Wir zeigen das Seenland, wie es im Entstehen begriffen ist", sagt er. Neben vier festen Mitarbeitern beschäftigt er noch vier Hilfskräfte. Von der IBA habe er profitiert durch die vielen geschaffenen Ausflugsziele, die Touristen anziehen.

Dass die Bauausstellung nun endet und damit auch die prestigeträchtige Pressearbeit der Organisation, beunruhigt ihn nicht. Das Radwegenetz mit dem 500 Kilometer langen Fürst-Pückler-Weg, beworben als "eine Route so wandelbar wie ihr Namensgeber: naturverbunden, modern und weltoffen", soll zu den besten in Deutschland zählen. Darauf setzt der Unternehmer zukünftig ebenso wie auf die weiter aufblühende Landschaft. Eine ansonsten vergessene und "unsichtbare" Region bekam mit der IBA ein Gesicht, eine unverwechselbare Ausstrahlung, die sie von anderen Urlaubsgebieten abhebt.

Frühere Werkstraßen sind heute Radwege. Bild: Jörg Brause

80. 000 Bergleute malochten einst in 17 Tagebauen der Niederlausitz. Heute sind es noch 5000, die in den fünf letzten Gruben arbeiten. Rund 150 Kilometer südlich von Berlin entfernt gibt nun der Tourismus mittlerweile 1000 Menschen Beschäftigung. Das reicht selbstverständlich nicht, um dem Strukturwandel der letzten 20 Jahre zu begegnen. Deshalb setzt die Stadt Großräschen nicht nur auf den Ilse-See, sondern auch die auf Ansiedlung von Gewerbe und anderen Betrieben.

Seeschlange

Aber darum geht es bei einer Bauausstellung ja auch nicht, die eben keine Agentur für die wirtschaftliche Entwicklung ist, auch wenn Beschäftigungszahlen häufig ein schlagkräftiges Argument sind, um öffentliche Gelder zu erhalten.

Durch eine weite und menschenleere Landschaft führen viele Straßen im Seengebiet. Bild: Jörg Brause

Die Aufgabe war vielmehr, neue Ideen zu kreieren und Potenziale in einem Netzwerk von der Bergbaugesellschaft LMBV, den in Tourismus-Zweckverbänden organisierten Städten und Landkreisen und Menschen mit Unternehmergeist und mit vielen anderen Bewohnern der Region auszuloten. Finanziert wurden die Projekte der Bauausstellung mit rund 30 Millionen Euro aus Mitteln, die erstens für die gesetzlich vorgeschriebene Braunkohlesanierung von der LMBV (mit einem Milliardenetat) aufgebracht werden müssen. Hauptaufgabe des Unternehmens ist die Sanierung und Wiedernutzbarmachung der Landschaft in den Revieren. In dem Betrag sind zweitens die Gelder der EU und andere Finanzierungen enthalten. Private Investitionen kommen außerdem dazu.

Wie ein riesiger Baggersee

Am deutlichsten wird der Wandel dort, wo man den spröden Reiz einer Landschaft erst allmählich entdeckt im Kontrast zu einem weiteren, als Landmarke gesetzten architektonischen Zeichen. Erst radelt man auf einer einst für den Werksverkehr geteerten Straße durch einsame Wälder, vorbei an Dünen, von spärlichem Grün bewachsenen Böschungen und Wasserlandschaften, die wie die gigantische Variante eines gewöhnlichen Baggersees aussehen. Dann taucht hinter einer Kurve eine blaue Brücke auf und mitten drin stellt sich ein rostiger Koloss in den Weg.

Landmarke Lausitzer Seenland. Bild: Jörg Brause

Ein Aussichtsturm von 30 Metern Höhe aus 111 Tonnen Cortenstahl steht seit 2008 am Sornoer Kanal, Landmarke Lausitzer Seenland genannt. Der Kanal verbindet den Sedlitzer mit dem Geierswalder See und damit auch die Länder Brandenburg und Sachsen. Wie ein Ausrufezeichen steht der Turm da. Einige Radfahrer und Inlineskater rasten hier. In einem Holzhäuschen gibt es Essen und Trinken.

Blick vom Aussichtsturm auf den Sornoer Kanal. Das sulfathaltige Wasser färbt die Steine. Bild: Jörg Brause

Die IBA suchte und fand mit dem Turm eines jener einprägsamen Zeichen, die das spannungsvolle Verhältnis von Industrie und Natur, die Entstehung einer Landschaft aus der industriellen Zerstörung heraus auch noch dann erlebbar machen werden, wenn längst Gras über das "verwundete Land" gewachsen ist, von dem die Künstlerin Christine Jackob-Marks einmal sprach.

Sornoer Kanal, hinten die Landmarke Lausitzer Seenland. Bild: adke LMBV/IBA

Schiffe legen vor der Haustür an

Beim Aufstieg in den rostigen Turm scheppern die Stufen. Der Blick aus 30 Metern Höhe ermöglicht eine ungefähre Vorstellung der ganzen Dimensionen des Lausitzer Seenlandes. Von der Weitläufigkeit eines jeden einzelnen der 23 Gewässer, von denen 10 mit schiffbaren Kanälen verbunden werden.

Wohnhafen Scado. Bild: Grafik und Investor steeltec/IBA

Vom Ilse-See schippert man dann hinüber in den Sedlitzer See. Nach Schließung der Grube blieb ein Restloch von 1300 Hektar Größe zurück, das bis 2015 geflutet sein soll. Eine Fläche so groß wie die von rund 1.300 Fußballfeldern. Von der geplanten Ferienhaussiedlung in einer Lagunenlandschaft ist noch nichts zu sehen, die sich im Zuge der Sanierungsarbeiten und der Flutung gebildet hat. Lagune, das klingt doch schon nach Urlaub. In der Bucht ist ein ebenso "innovatives wie attraktives Wohnquartier direkt am Wasser geplant", verspricht der Katalogtext. Häuser sollen gebaut werden mit klaren Linien und aus robusten Materialien wie Holz.

Schwimmendes Haus im Bau für den Geierswalder See. Bild: Jörg Brause

Zu den gelungensten Inszenierungen von Bauten und Natur, künstlerischen wie künstlichen Arrangements zählt aber das erste schwimmende Haus im Wohnhafen Scado, der im Geierswalder See entsteht. Neun Meter vom Ufer entfernt steht ein Bau, dessen Stahlfassade wie ein aufgeblähtes Segel sich auf dem Wasser erhebt. In die Wölbung hinein ist ein Kubus gebaut.

Schwimmendes Haus im Geierswalder See. Bild: Jörg Brause

Die Wände sind an einigen Seiten aus Glas, der See also auch im Innern immer sichtbar. Die Fenster lassen sich durch Lamellen verschließen. Drei Stahlpontons tragen das Gebäude, neben dem insgesamt 20 Häuser entstehen sollen, die über einen 60 Meter langen Steg mit dem Land verbunden sind. Boote können hier zukünftig vor der Haustür anlegen.

Erstes von 20 Häusern, die im Wohnhafen Scado gebaut werden. Bild: Jörg Brause

Im Seenland scheint fast nichts unmöglich. Überall werkeln Menschen aus der Region an Ideen, die auf den ersten Blick ungewöhnlich und sogar skurril erscheinen wie die einer Grill-Tour auf dem Wasser. Einen Spaziergang vom Scado-Hafen entfernt legen runde große Schwimmreifen an. Die "Grill&Chill-Boote" lässt Silvia Siermann zu Wasser, für die man keinen Bootsführerschein braucht.

Grillen auf dem Geierswalder See in Booten, die wie riesige Schwimmreifen aussehen. Bild: Jörg Brause

Neben den leisen gibt es die lauten Seen im IBA-Land, auf denen auch Motorboote fahren dürfen. Diese Mischung ist ein Aspekt der als "dritter Weg" bezeichneten Strategie der letzten 10 Jahre. Statt nur die Sanierung des Bergbaus zu betreiben, die Restlöcher volllaufen zu lassen, bis eine zweite "Mecklenburger Seenplatte" entstanden wäre. Statt die Natur einfach sich selbst zu überlassen, ging es von Anfang an darum der Einfältigkeit der Idylle etwas entgegenzusetzen. "Einerseits klassische Badeseen für die ganze Familie und andererseits einen See für laute und schnelle Wassersportarten wie Jetski und Kitesurfen." Daneben entstehen Biotope.

Jugendstil statt Plattenbau

Neben dem Fokus auf die Landschaft gab es auch städtebauliche Projekte. Zumindest für Architekturfans wird die älteste deutsche Gartenstadt Marga ein Anziehungspunkt bleiben. Hier spielte sich in den letzten Jahren eine ganz andere Erfolgsgeschichte ab. Aus der 1914 fertig gestellten Jugendstil-Siedlung, die kreisförmig angelegt ist, zogen die Bewohner in der DDR in die besser ausgestatteten Plattenbauten, kamen aber nach der Sanierung der teilweise verfallenen Wohnungen zurück, die in Größe und Ausstattung den heutigen Anforderungen angepasst wurden. Nun stehen die Plattenbauten leer.

Straße in der Gartenstadt Marga, einer Jugendstil-Siedlung, die 1914 erbaut wurde. Bild: Jörg Brause

Obwohl man noch die frische Farbe zu riechen meint, ist Marga doch alles andere als eine pittoreske Kulisse. Vor dem Anschein als Museumsdorf zu enden, bewahren die Bewohner selbst die Straßen und Gärten, die sie sich auf eine ganz und gar "unkorrekte" Weise aneignen. Wäscheständer, Gartenzwerge, Carports und Gartenhäuschen bilden zwar einen plumpen Gegensatz zur Jugendstilarchitektur. Aber sie zeigen auch, dieser Ort lebt wieder. Und bei Gesprächen über den Zaun mit Anwohnern hört man, dass sich sie nicht zuletzt wegen der Gärten hier wohlfühlen. Dass hier nicht die Touristen her strömen, weil Marga nicht mit dem Wasserressorts konkurrieren kann, wird sie vielleicht freuen.

Grill und Kinderschaukel vor Jugendstilhaus in Marga. Die Bewohner nutzen die Gärten nach eigenem Gutdünken. Bild: Jörg Brause

Die Wohnungen zu erhalten war eine Sache. Nebenan aber steht die Gaststätte "Kaiserkrone" leer, einst ein gesellschaftlicher Mittelpunkt des Lebens in Marga. Die rote Kraftzentrale und das Badehaus der ansonsten abgerissenen Brikettfabrik verfallen trotzdem man sie unter Denkmalschutz stellte. Sie müssten saniert werden. Ihre Zukunft aber ist ungewiss.

Reste der früheren Brikettfabrik in Marga stehen unter Denkmalschutz inmitten einer Brache. Ob sie erhalten werden können, ist ungewiss. Bild: Jörg Brause

Eine Zeit der Ohnmacht

Nach dem die Industrie zusammenbrach, ganze Fabrikareale abgerissen wurden, ziehen sich die schrumpfenden Ortschaften im einstigen Kohlerevier immer mehr auf einen Kern zurück, der von wüsten Brachen umschlossen wird. Gebiete, für die es wohl bis auf weiteres keine landschaftsplanerische Gestaltung geben wird, wenn sich nicht doch noch eines fernen Tages dort Gewerbe ansiedelt. Als Erfolg sieht es die IBA denn auch schon an, dass auf dem einstigen Fabrikgelände in Marga ein 114 Hektar großer Industriepark entstand, wo eine Solarzellenfabrik und eine große Biogasanlage gebaut wurden.

Am Rande der Gartenstadt Marga hat sich Gewerbe angesiedelt. Bild: Jörg Brause

Eine halbe Stunde Autofahrt entfernt von den Jugendstilhäusern stehen in Lauchhammer mitten in einer anderen Brache die Biotürme, die einer apulischen Festung gleichen. Ein Traditionsverein betreut die Anlage heute, die Teil einer Veredelungstrecke der dort bis 1991 ansässigen Kokerei waren. Zwei Jahre nach dem Mauerfall waren rund 15.000 Arbeiter in der ganzen Fabrik beschäftigt. Die bei der Koks-Produktion anfallenden phenolhaltigen Abwässer wurden in der Turmtropfkörperanlage, den Biotürmen, mittels Bakterien gereinigt.

Konrad Wilhelm vom Traditionsverein Braunkohle beschreibt diese Jahre als eine Zeit der großen Ohnmacht für die Menschen im Ort, die mit dem Werk nicht nur ihre Arbeit sondern auch ein Lebenswerk verloren hatten, auf das alle stolz waren. Die Türme, eigentlich ein Synonym für die Umweltverschmutzung, wurden dann doch stehen gelassen als einziger Rest der Kokerei. Die IBA musste dafür zusammen mit der Denkmalschutzbehörde viel Überzeugungsarbeit leisten. Zumal bei der Bevölkerung, der Stadt, den Vereinen vor Ort und nicht zuletzt bei der Bergbaugesellschaft LMBV, die den Abriss aber eine Weile hinausschob. Kurz gesagt sprachen der Erfolg des Besucherbergwerks F 60 für einen Erhalt der Biotürme, die eine Stiftung übernahm.

Die Biotürme in Lauchhammer, einst zur Reinigung von Abwässern einer Kokerei genutzt, wurden als architektonisches Highlight entdeckt und erhalten. Bild: Jörg Brause

Zwei gläserne Aussichtskanzeln wurden gebaut nach Entwürfen der Cottbuser Büros Jähne & Göpfert sowie Zimmermann & Partner. Der Umbau kostete 1,4 Millionen Euro, die vom Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) kamen.

Konrad Wilhelm ging es wohl ähnlich wie vielen Lauchhammern, die im Laufe der jahrelangen Gespräche mit der IBA und den Architekten erst die bauliche Qualität der Türme neu entdeckten. "Wir konnten uns nicht vorstellen, dass sich Leute für diese Trutzburg interessieren würden, dass daraus mal etwas Gutes werden könnte", sagt er heute. Längst sind die roten Ziegelsteinpfeiler auch die Kulisse für zahlreiche Veranstaltungen wie einem Mittelalter-Spektakel im Sommer.

Das Projekt Lauchhammer ist ein gutes Beispiel dafür, was Rolf Kuhn mit IBA von unten meint. Ein Beispiel auch dafür, wie auf dieser Bauausstellung in Aushandlungsprozessen mit den regionalen Akteuren werbend und eindringlich ein hoher gestalterischer Anspruch umgesetzt und dabei die überkommene Bau- und Industriekultur um neue Akzente bereichert werden konnte.

Nasser Wandel im Kohlerevier (27 Bilder)

Vision vom Ilse-Hafen. Bild: Entwurf Joswig/IBA