Nationalpolizist in Madrider Anschläge verwickelt

Wieder bestätigt sich damit die dubiose Rolle spanischer Sicherheitskräfte im terroristischen Umfeld

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Erneut hat die spanische Tageszeitung El Mundo einen Spitzel enttarnt, der in die Anschläge vom 11. März 2004 in Madrid verstrickt war. Maussili Kalaji, Mitarbeiter der Nationalpolizei, ist Besitzer eines Telefonladens, in dem die Handys freigeschaltet worden seien, die zum Zünden der Bomben benutzt wurden. Erneut fehlt eine Kassette, die ein abgehörtes Gespräch eines führenden Sozialisten und wahrscheinlichen Geheimagenten mit einem islamischen Terroristen im Knast geführt hat.

Langsam fragt man sich, ob neben Mitgliedern der Polizei, Guardia Civil, Geheimdiensten oder deren Spitzeln sonst noch jemand an den Anschlägen auf die Vorortzüge der spanischen Hauptstadt beteiligt war, die vor einem Jahr 192 Menschen das Leben raubten (Spanische Geheimdienste, Polizeispitzel und Terroristen). Nach dem nicht dementierten Bericht der Zeitung El Mundo hat ein Nationalpolizist syrischer Abstammung, die Handys der Marke Trium für neue Karten nutzbar gemacht, um sie zur Zündung der Bomben zu verwenden. Sie waren nicht von dessen Laden gekauft worden und nur für den Dienst einer Telefonfirma vorgesehen. Die "technischen Kenntnisse" Maussili Kalajis sollen neben der Freischaltung später auch ermöglicht haben, die islamistischen Attentäter im Madrider Stadtteil Leganés aufzuspüren. Dort sprengte sich ein Teil von ihnen in die Luft, als sie von einem Sonderkommando umstellt waren ("Spanien in eine Hölle verwandeln").

Das Ex-Mitglied der palästinensischen Fatah-Organisation soll einige der Islamisten aus palästinensischen Ausbildungslagern kennen. Er kam als politischer Flüchtling 1981 nach Spanien, erhielt 1984 die Staatsbürgerschaft und sei 1989 Polizist geworden. Es sei der "spanische Beamte, der am besten über islamistische Zellen in Europa Bescheid weiß".

Berichtet wurde am Freitag nun auch darüber, dass in einer Wohnung, die als "neuralgischer Treffpunkt" der Attentäter gilt, ein offizielles Gerichtsdokument des Polizisten gefunden wurde. Die Wohnung gehört den syrischen Brüdern Mouhannad und Moutaz Almallah, die wegen der Anschläge inhaftiert sind zu denen Kalaji regen Kontakt hatte.

Damit haben also diverse Spitzel der Nationalpolizei den Sprengstoff geliefert (Neue Festnahmen, neue Spitzel), der über einen Spitzel der Guardia Civil an die Islamisten vermittelt wurde (Alles aufgeklärt – trotzdem geht es weiter). Vor deren Geschäften hatte ein anderer Guardia Civil-Spitzel Jahre zuvor gewarnt, das aufgenommene Band war allerdings für lange Zeit verschollen. (Von Spitzeln, Terroristen und dem schweren Geschäft der Aufklärung). Das Band dokumentiert auch, dass einer der Sprengstofflieferanten sich nach dem Know-how erkundigt hatte, wie man Handys zur Zündung von Bomben umbauen kann. Dazu hatten mehrere Sozialisten, mutmaßliche Mitglieder des Geheimdienstes CNI, Kontakt bis in den direkten Zirkel derer, welche die Anschläge vorbereitet und durchgeführt haben (Dubiose Verbindungen). Und offenbar haben die Attentäter über den Polizisten Kalaji auch technische Hilfe für ihren mörderischen Plan erhalten.

Mit dessen Enttarnung ist endgültig Legende, dass die Sicherheitskräfte nichts von den Spielchen ihrer Spitzel gewusst haben wollen. Die Schwester von Kalaji, Lina Kalaji, hat etliche abgehörte Telefonate derer übersetzt, die in die Anschläge verwickelt waren. Ausdrücklich hatte sie ihre Vorgesetzten vor der Gefährlichkeit des "Tunesiers" Sherhane Ben Fakhet gewarnt, der auch in Leganés in die Luft geflogen ist, bestätigte sie El Mundo. Doch damit der scheinbaren Zufälle nicht genug. Es war ausgerechnet die Ex-Frau von Kalaji, die noch am 11. März einen Transporter in Alcalá de Henares geöffnet hat. Hier wurden Zünder gefunden, die bei den Anschlägen verwendet wurden. Dabei war auch eine Kassette mit Koranversen, der erste deutliche Hinweis, dass der Anschlag nicht auf das Konto der baskischen Untergrundorganisation ETA ging, wie es die damals regierende Volkspartei (PP) der Welt tagelang vormachen wollte (Terror vereint - und wird von der spanischen Regierung instrumentalisiert).

Dass wieder einmal ein Abhörband verschollen ist, wundert dann ohnehin kaum noch. Darauf ist das Gespräch gespeichert, dass der mutmaßliche Geheimagent und regionale Sozialistenführer mit dem algerischen Terroristen Abdelkrim Benesmail im Knast führte. Das Band wurde vom zuständigen Richter für die parlamentarische Untersuchungskommission frei gegeben (Dubiose Verbindungen). Wo das letzte der drei Bänder ist, die Aufnahmen der ersten Besuche seien ohnehin schon gelöscht, weiß der Richter Alfonso Barrada aber nicht. Benesmail war der Chef einer islamistischen GIA-Zelle, sein Stellvertreter Allekema Lamari kam ebenfalls in Leganés um. Aufgrund eines "Richterfehlers" war er zufällig verfrüht entlassen worden.

Die Kommission, von den Sozialisten (PSOE) dominiert, hat sich mit der Aufgabe, die Anschläge vom 11. März aufzuklären, ohnehin nur am Rand beschäftigt. Das Fehlen des angeforderten Bandes tangiert den Ausschuss so auch wenig. Dabei lässt die angebliche Abschrift, welche die Zeitschrift Interviu veröffentlicht hat, keine Kontrolle zu, ob geschummelt oder gekürzt wurde. So erstaunt nicht, wenn die Opfer der Anschläge dieser Farce schon lange nicht mehr trauen und die Einstellung dieser Ermittlungen sowie eine unabhängige Untersuchung fordern (Ein Jahr ohne Aufklärung).

Ob mit oder ohne Band, bis zum 31. Mai sollen wieder einmal die Schlussberichte der Kommission erstellt werden. Genau in dieser Situation enttarnt El Mundo, die der PP nahe steht, wieder einmal einen Spitzel. Beide spielen sich seit langem die Bälle zu. Mit der Enthüllung soll erneut das Ende der Kommission verhindert werden. Die PP fordert nun, den Innenminister Antonio Alonso vor dem Ausschuss zu befragen. Dabei war die PP an der Macht, als die Sicherheitskräfte Schützenhilfe für die Anschläge geliefert haben.

Der Bogen wird gleich noch zum nächsten Fall gesponnen. Über den Nationalpolizisten Kalaji, der auch als Bodyguard für den umstrittenen Ermittlungsrichter Baltasar Garzón tätig gewesen sei, sollen zudem Spitzel in den Kreis derer geschleust worden sein, denen Garzón wegen den Anschlägen vom 11. September in den USA gerade in Madrid den Prozess machen lässt (Al-Qaida-Prozess in Madrid). Auf welch tönernen Füßen das Verfahren steht, hat der Anwalt des angeklagten al-Dschasira Reporters Taisir Aluni erklärt ("Pure Fiktion").

Aluni hat am Montag die Vorwürfe, Mitglied von al-Qaida zu sein, bestritten und die Umstände erklärt, wie es zu dem berühmten Interview mit Osama Bin Laden gekommen ist: "Er hat mich nicht favorisiert, noch hatte ich Privilegien, um an das Interview zu kommen". Al-Dschasira sei zu diesem Zeitpunkt das einzige Medium gewesen, das noch im afghanischen Kabul anwesend war. "Bin Laden hatte keine andere Wahl", sagte Aluni. Der "intensive und kontinuierliche" Kontakt zum der Hauptangeklagten Imad Eddin Barakat, der Aluni vorgehalten wird, reduzierte sich vor Gericht auf etwa ein halbes Dutzend Anrufe in fünf Jahren.