Nato-Osterweiterung: "Das ist eine brillante Idee! Ein Geniestreich!"

Seite 5: Die Möglichkeit der OSZE

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Bei ihrem nächsten Treffen im Juni beglückwünschte Clinton Russland, dass sich das Land zur Mitgliedschaft in der "Partnerschaft für den Frieden" entschlossen hatte. Jelzin brachte jedoch einen neuen Gedanken ins Spiel: "Es ist wichtig, dass die OSZE der grundlegende Mechanismus für die Entwicklung einer neun Sicherheitsordnung in Europa sei. Die NATO ist natürlich auch ein Faktor, aber die NATO sollte sich in eine politische Organisation entwickeln."

Primakows Sammlung

Wiederholt wird heutzutage die russische Kritik an der NATO-Osterweiterung öfters als eine Eigenheit der aktuellen russischen Regierung dargestellt. Tatsächlich zeigen sich russische Bedenken während der gesamten 1990er Jahre. Freigegebene russische Dokumente geheimer Anhörungen in der Duma und interne Memos aus der Zeit zeigen im Detail russische Einwände gegen eine NATO-Erweiterung. Diese bedrohe Russlands Sicherheit, untergrabe die Idee einer Europäischen Sicherheitszone, die auch Russland beinhalte, und ziehe eine neue Grenze durch Europa.

Im Januar 1996 wurde Jewgeni Primakow neuer russischer Außenminister. Sofort bat er das Archiv des Außenministeriums um alle Dokumente, die Versprechen westlichen Politiker zu einer Nicht-Erweiterung der NATO erwähnen. Nach der Lektüre erstellte er daraus eine Übersicht, die er wiederholt in Memos, Reden und Gesprächen nutzte. Sie beinhaltet Versprechen des damaligen US-Außenministers James Baker, dem damaligen deutschen Bundeskanzler Helmut Kohl, dem damaligen britischen Premierminister John Major und dem französischen Präsidenten François Mitterand.

Überraschenderweise schrieb Primakow auch, Russland trage selber Mitschuld daran, dass sich Mittel- und Osteuropa dem Westen zuwenden würden.

Die USA üben sich in Geschichtsschreibung

Vielleicht war es Primakows Suche, die Beunruhigung in den USA auslöste. Auf jeden Fall berichtete der James Collins, der zu diesem Zeitpunkt als Botschafter in Russland tätig war, dass eine höher gestellter Politiker im Kreml sich beschweren würde, die NATO-Erweiterung würde dem Geist des Vertrages über die Deutsche Wiedervereinigung widersprechen. Am 23 Februar 1996 versandte das US-Außenministerium daraufhin an alle europäischen Botschaften Memo von John Kornblum und John Herbst. Diese russische Behauptung wurde darin als "unbegründet" und "trügerisch" bezeichnet. Das Memo betonte, dass der Vertrag der Deutschen Wiedervereinigung sich nur auf das Gebiet der ehemaligen DDR bezog, aber keine Auswirkungen auf neue NATO-Mitglieder hätte. Ganz in diesem Sinne beschrieb das Memo eine Äußerung des damaligen deutschen Außenminister Hans-Dietrich Genscher als "unilateral" und nur auf das Gebiet der ehemaligen DDR bezogen.

Dem widersprechen jedoch Berichte des US-amerikanischen und des britischen Außenministerium aus dem Jahr 1990. Sie dokumentieren, dass sich Genscher wiederholt auf die DDR, Polen und Ungarn bezog, die vielleicht der NATO beizutreten wünschten. Neben dieser fehlerhaften Darstellung verzichtete das Memo bezeichnenderweise auch auf die Auseinandersetzung mit dem Herzstück der Sammlung von Primakow, den Versprechen westlicher Politiker, die NATO würde sich nicht ausweiten.

Historische Verantwortung

Kurz vor dem NATO-Gipfel 1997 verfasste Primakow dann eine Zusammenfassung für den Sprecher der Duma. Primakow versammelte wieder eine Reihe von westlichen Versprechungen über eine Nicht-Erweiterung der NATO. Dabei präzisierte er, dass die NATO-Erweiterung im Moment nicht als eine militärische Bedrohung wahrgenommen würde, aber als die "Errichtung einer neuen Trennlinie in Europa". Sie würde zwangsläufig "in eine neue Konfrontation führen, die das Vertrauen zwischen Russland und den westlichen Ländern untergraben wird." Er schloss mit Worten, die jedem Leser heute zum Nachdenken bringen sollten: "Wir sprechen hier über eine Entscheidung, deren Konsequenzen die Europäische Gestaltung für die nächsten Jahrzehnten bestimmen werden. Politiker, die heute an der Macht sind werden hierfür die historische Verantwortung tragen."

Auf dem NATO-Gipfel in Madrid 1997 wurden Tschechien, Polen und Ungarn eingeladen, Beitrittsverhandlungen mit der NATO aufzunehmen. Vier Jahre später brachte der neue russische Präsident Wladimir Putin einen Beitritt Russlands in die NATO ins Gespräch. Erfolglos.