Nervöse Genossen

Nach dem Wahldebakel in Hessen fordert der konservative Flügel der SPD eine deutliche Abgrenzung zur "Linken". Doch wie soll dann eine parlamentarische Mehrheit zustande kommen?

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Nach dem erneuten Einzug der LINKEN in den Hessischen Landtag gehört ein Fünf-Parteien-Spektrum bis auf weiteres ganz offenbar zur parlamentarischen Normalität in Deutschland. Die Fusion aus PDS und WASG wurde nicht nur in alle ostdeutschen Landtage und zahlreiche Kommunalvertretungen, sondern auch in die Parlamente von Bremen, Hamburg, Niedersachsen und Hessen gewählt und darf sich bei den bevorstehenden Urnengängen republikweit gute Chancen ausrechnen.

Der SPD drohen dagegen weiter schmerzhafte Verluste, die nicht ausschließlich, aber doch in beachtlichem Ausmaß der roten Konkurrenz zugute kommen. Kein Wunder also, dass nach dem katastrophalen Wahlergebnis am 18. Januar die mühsam beruhigte Strategiedebatte in die nächste Runde gegangen ist.

Linkspartei "Schritt für Schritt vernichten"

Teile des rechten Parteiflügels hatten für das komplexe Problem umgehend eine simple Lösung parat. So plädierte der nordrhein-westfälische SPD-Bundestagsabgeordnete und Finanzexperte Reinhard Schultz dafür, "die richtigen Lehren aus dem Hessen-Debakel zu ziehen". Im Falle einer Zusammenarbeit mit der LINKEN seien die Sozialdemokraten derzeit "für die gesellschaftliche Mitte nicht mehr wählbar". Der Mitbewerber müsse deshalb "bekämpft" und Schritt für Schritt "vernichtet" werden. Auf diese Weise sei die CDU in den 60er und 70er Jahren "trotz aller Versuchungen" schließlich auch mit der NPD fertig geworden.

Darüber hinaus forderte Schultz programmatische Klarstellungen im Sinne der "Machbarkeit". Für ihn stehen "ökologische Phantasien" derzeit ebenso wenig auf der Tagesordnung wie "nicht finanzierbare sozialpolitische Betüttelungsprogramme ohne Gegenleistung".

Hubertus Heil sieht da offenbar kein entscheidendes Defizit. "Die SPD ist klar aufgestellt", meinte der SPD-Generalsekretär mit Blick auf die richtungsweisenden Abstimmungen im viel zitierten "Superwahljahr". Hauptthema der Sozialdemokraten werde die "Beschäftigungs- und Wohlstandssicherung in Deutschland - verbunden mit gerechter Teilhabe" sein. An der Feinabstimmung scheint es gleichwohl noch zu mangeln. Darum werden ab dem 2. Februar zentrale gesellschaftspolitische Fragen auf SPD-Konferenzen diskutiert. Bis zum Partei-Konvent am 19. und 20. April muss die Debatte allerdings abgeschlossen sein, da an diesem Wochenende das sozialdemokratische Regierungsprogramm zur Bundestagswahl vorgestellt werden soll.

Machtspiele in den Ländern

Dass Ende April alle Widersprüche verstummen, darf allerdings bezweifelt werden, denn die Haltung zu potenziellen Konkurrenten und Koalitionspartnern ist derzeit ebenso uneinheitlich wie die Position zu inhaltlichen Schwerpunktthemen.

Beispiel Schleswig-Holstein: Für Ralf Stegner, der die norddeutschen Genossen als Spitzenkandidat in die nächste Landtagswahl 2010 führt, spielt die LINKE in einer idealen Parteienlandschaft keine Rolle. Er arbeitet für eine "starke SPD mit klarem Profil" und ist fest von der Überflüssigkeit jener lästigen Gruppierung überzeugt, die seit der letzten Kommunalwahl in allen 11 Kreistagen und den Stadtverordnetenversammlungen der vier kreisfreien Städte vertreten ist. Man brauche keine Partei links von der Sozialdemokratie, gab Stegner nach der Wahl in Hessen zu Protokoll, doch gänzlich ausschließen will er ein Bündnis dann auch wieder nicht.

Wir wären schön doof, wenn wir uns die Optionen von anderen diktieren ließen. Nie-Sätze gibt es nur für Nazis.

Ralf Stegner

Stegners Kollege Heiko Maas steckt in einem ähnlichen Dilemma und versucht es deshalb mit konsensfähigen Absichtserklärungen. "Ich will ein faires, modernes Saarland", heißt es auf seiner Homepage. Ja, wer will das nicht? Doch wie der smarte 42-jährige, der 1998 Deutschlands jüngster Landesminister wurde und nun langsam Gefahr läuft, als ewiges Talent in den politischen Ruhestand verabschiedet zu werden, am 30. August 2009 zum zentralen Entscheidungsträger aufrücken möchte, ist noch unklar. Auf keinen Fall werde man Oskar Lafontaine zum Ministerpräsidenten wählen, erklärten die Genossen an der Saar so frühzeitig, dass genug Zeit bleibt, es sich noch einmal anders zu überlegen. Denn die LINKE setzt den Sozialdemokraten in keinem anderen westdeutschen Bundesland so energisch zu wie im Saarland. Knapp 1.000 Mitglieder verlor die SPD im Jahr 2008, die LINKE verzeichnete im gleichen Zeitraum einen Zuwachs in eben dieser Größenordnung. Aktuelle Umfragen sehen beide Parteien etwa gleichauf, so dass hier vier Wochen vor der Bundestagswahl eine Aufsehen erregende Generalprobe zu erwarten ist.

Ob der Begriff Zweifrontenkrieg die schwierige Situation angemessen beschreibt, sei einmal dahingestellt. Maas legt jedenfalls Wert darauf, dass für seinen Landesverband "beide Optionen offen" sind. Eine Koalition mit der LINKEN (und den Grünen) bleibt damit ebenso möglich wie ein Bündnis mit der CDU. Die dritte Variante, an die Maas naturgemäß nicht denken möchte, böte die wenigsten Gestaltungsmöglichkeiten. Doch die jüngsten Entwicklungen lassen eine schwarz-gelbe Regierungsbildung immerhin möglich erscheinen.

An dieser Option hätte auch Christoph Matschie keine Freude, zumal sich sein Landesverband gerade die Mühe gemacht hat, für den Freistaat Thüringen ein komplettes Regierungsprogramm zu erarbeiten. Mit wem dieses umgesetzt werden soll, steht allerdings noch in den Sternen. Denn Matschie, der im Februar 2008 nach einer parteiinternen Abstimmung zum Spitzenkandidaten für die Landtagswahl am 30. August 2009 gewählt wurde, setzte sich seinerzeit mit dem Versprechen durch, nur unter Führung der SPD ein Bündnis mit der LINKEN einzugehen.

Die Chancen für eine solche Verteilung der Prozentpunkte stehen allerdings denkbar schlecht. Der Spitzenkandidat der LINKEN, Bodo Ramelow, möchte selbst gern "Ministerpräsident für Thüringen" werden und baut auf eine Wiederholung oder Verbesserung des guten Ergebnisses bei der Landtagswahl 2004. Seinerzeit kam die PDS auf 26,2 Prozent, die SPD sackte auf 14,5 Prozent.

Angesichts dieser wenig motivierenden Gesamtumstände wurde Christoph Matschie bei einem politischen Stammtisch in Saalfeld, den 30 unverdrossene Parteifreunden besuchten, schon ein wenig melancholisch zumute. Er wolle nicht "um des Streites willen streiten" und "im Jahr der Entscheidungen" sei eigentlich "noch nichts entschieden", erklärte der 47-jährige laut örtlichen Medienberichten. Der Basis war dieses Statement allerdings ein wenig zu ungenau: "Der kleine Bürger will es konkreter wissen."

Rote und braune Socken

Während die SPD auf Landesebene um einen halbwegs einheitlichen Kurs ringt und Gemeinsamkeiten mit den Mehrheitsbeschaffern vom linken Rand sucht, ist die Bundespartei um scharfe Trennlinien bemüht. Bundesumweltminister Sigmar Gabriel sieht "Sektierer und Spinner des Westens" am Werk, die "in der PDS angekommen sind" (http://www.welt.de/politik/article3093299/Gabriel-sieht-Linke-im-Westen-als-Spinner.html).

Für die Sozialdemokraten sei es "unmöglich" in Berlin mit der "Partei Lafontaines" zusammenzuarbeiten, meinte Franz Müntefering kürzlich, beließ es diesmal aber nicht bei den Dauervorwürfen "ökonomisch ignorant" und "sozial romantisch". "Die Linkspartei vertritt auf Bundesebene eine nationale soziale Politik", gab der Parteichef zu Protokoll und nahm damit offenbar sehr bewusst die Vorlage des Kollegen Schultz auf, der sich über Gemeinsamkeiten zwischen der LINKEN und der NPD verbreitet hatte.

Vor der Landtagswahl in Hessen bemühte sich die angeblich von Gewerkschaftern ins Leben gerufene Wählerinitiative "Wir lassen uns nicht LINKEn" bereits in ähnlichem Tonfall darum, die Biografien von Kandidaten der LINKEN historisch aufzubereiten und mit dem Einzug der Partei in den Landtag auch gleich ihre "arbeitsplatzfeindliche Politik" zu verhindern. Die Initiative enttarnte gleich reihenweise Berufsrevolutionäre, zwielichtige Chefideologen und DKP-Funktionäre. "Wir lassen uns nicht LINKEn" nahm den Mitarbeiter eines Bundestagsabgeordneten ins Visier, der seine Promotion verdächtigerweise "über den kommunistischen Philiosophen (!) Ernst Bloch" geschrieben hatte, entdeckte einen Politologen "mit einschlägigen Kontakten zu linksradikalen Kreisen" und stieß sogar auf eine Diplom-Psychologin, die mühelos als "bekennender Fan des kubanischen Diktators i.R. Fidel Castro" identifiziert werden konnte.

Trotz dieser skandalösen Enthüllungen konnte die Initiative den Wahlerfolg der LINKEN ebenso wenig verhindern wie die "Rote-Socken"-Kampagne der CDU in den 90er Jahren. Der Versuch, nun Analogien zu rechtsextremen Parteien zu suchen, dürfte nicht sehr viel erfolgreicher sein, zumal sich in diesem Fall verstärkt die Frage stellt, wie die SPD eine Zusammenarbeit – auf welcher Ebene auch immer – überhaupt in Erwägung ziehen kann.

"Original sozial"

Bei der LINKEN sieht man den verlustreichen Selbstfindungsprozess der Sozialdemokraten vergleichsweise gelassen. Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch gab sich in einer kurzen Stellungnahme zu Münteferings Vorwurf bei allem Ärger diplomatisch und verständnisvoll. Schließlich sei die SPD-Führung angesichts sinkender Umfragewerte und schlechter Wahlergebnisse "hochgradig verunsichert". Man bitte nun aber doch darum, "im Wahlkampf auf solche unfairen Mittel zu verzichten".

Der Landesgeschäftsführer der LINKEN. NRW, Günter Blocks, schlug dagegen schärfere Töne an. Er warf dem SPD-Bundestagsabgeordneten Reinhard Schultz vor, sich mit der Forderung nach einer Vernichtung der LINKEN seinerseits am Sprachstil des NSDAP-Plakats "Zerstampft den Kommunismus! Vernichtet die Sozialdemokratie!" orientiert zu haben. Der Versuch, die LINKE in die Bedeutungslosigkeit zu drängen, könne aber schon allein deshalb nicht von Erfolg gekrönt sein, weil sie programmatisches Terrain besetzt habe, das von der SPD aufgegeben worden sei.

DIE LINKE ist für viele Menschen in diesem Land unverzichtbar geworden, weil sie sich als einzige Partei konsequent für den Erhalt und Ausbau des Sozialstaats einsetzt: für den gesetzlichen Mindestlohn, für die Abschaffung von Hartz IV, gegen die Rente erst mit 67, gegen die Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge und natürlich auch gegen die Kriegspolitik der Bundesregierung.

Günter Blocks

Planspiele und Inhalte

De facto hat die SPD, die seit 1998 Regierungsverantwortung auf Bundesebene trägt, erheblich an Profil eingebüßt. Von der Volkspartei, die sich um die Versöhnung von ökonomischen und ökologischen Interessen, den Aufbau einer Zivilgesellschaft oder soziale Gerechtigkeit bemühte, ist in den Augen ihrer Wählerinnen und Wähler so wenig übrig geblieben, dass die LINKE in vielen Fällen tatsächlich nur verwaiste Themen besetzen musste, um sich als ernsthafte Alternative präsentieren zu können. Das funktionierte bislang umso reibungsloser, als sie kaum einmal in die Verlegenheit kam, die Alltagstauglichkeit ihrer Wahlprogramme unter Beweis stellen zu müssen.

Der – mit Hilfe der Linkspartei - Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, gehört momentan zu den wenigen Genossen, die augenscheinlich verstanden haben, dass sich die Uhren nun nicht mehr einfach zurückdrehen lassen und bis auf weiteres Pragmatismus gefragt ist, wenn die SPD überhaupt noch machtpolitische Optionen wahrnehmen will.

Es stellt sich doch die Frage, wie links die Linkspartei überhaupt ist. Deswegen ist es wichtig, dass wir sagen, was wir richtig finden und uns nicht krampfhaft versuchen abzugrenzen.

Klaus Wowereit

Strategische Planspiele und inhaltliche Konzepte können aber kaum isoliert voneinander betrachtet werden, und vielleicht ist hier der entscheidende Fehler zu suchen, der Andrea Ypsilanti Wahlerfolg, Regierungsposten und Parteivorsitz kostete. Wenn man ihn denn ausnahmsweise einmal nicht in moralischen Kategorien fassen und mit dem Etikett "Wortbruch" versehen will.

Vor dem Urnengang im Januar 2008 hatte Ypsilanti ein Bündnis mit der LINKEN kategorisch ausgeschlossen, statt die Konkurrenz zu einer Debatte über - vielfach vorhandene - programmatische Gemeinsamkeiten und die unterschiedlichen Wege der politischen Umsetzung zu zwingen. Doch Transparenz und Klarheit hätten der SPD im Jahr 2008 und mit Blick auf die Zukunft sicher weniger geschadet als der peinliche Versuch, sich mit allen Mitteln und fadenscheinigen Begründungen auf die Regierungsbank zu drängen. Zweifellos gäbe es hier auch Anlass, intensiver darüber nachzudenken, warum sich Linkspartei und Grüne weitgehend widerspruchslos zu Helfershelfern dieser Provinzposse machen ließen, doch ernsthaft schaden konnte sie unter den gegebenen Umständen nur den federführenden Sozialdemokraten.

Um die Hessen-Wahl müssen sich die Genossen nun nicht mehr sorgen, wohl aber um die Möglichkeit, dass sich ähnliche Vorgänge wiederholen. Denn an der Aufstellung der SPD hat sich durch den Verlust jeglicher Machtoptionen in Wiesbaden bis dato nichts Entscheidendes geändert.