Neue Akteure, alte Probleme: Die Zukunft der Friedensbewegung
Friedensbewegung im Wandel: Neue Akteure treten auf. Rechte mischen mit. Wohin steuert der Protest gegen Krieg und Aufrüstung? (Teil 2 und Schluss)
Im ersten Teil dieses Debattenbeitrags analysiert Gerhard Hanloser die Friedensbewegung und kritisiert den Publizisten Lucius Teidelbaum. Teidelbaums Analyse über rechte Einflüsse auf die Friedensbewegung wird von drei linken Organisationen genutzt, doch Hanloser bemängelt die empirische Basis und die Pauschalisierung rechter Einflüsse. Er warnt vor einer Spaltung der Bewegung durch Ausgrenzungsstrategien, plädiert für Überzeugungsarbeit und Massenmobilisierung gegen rechte Tendenzen und betont die Bedeutung generationenübergreifender Dialoge.
Man kann sich über die Friedensaktivitäten im Deutschland des Jahres 2024 kaum Illusionen machen. Es wäre wünschenswert, dass Teidelbaums Darstellung rechter Akteure, die sich als "Friedensaktivisten" ausgeben, präziser ausgearbeitet wird. So sind etwa die "Mahnwache Potsdam" und die "Handwerker für den Frieden" stark von rechten Akteuren dominiert.
Skurriles wie Kim-Il-Sung-Begeisterung ist so mancher lokalen Initiative nicht fremd. In meinem Buch "Die andere Querfront" schreibe ich im Vorwort, dass solche "autoritären Subjektformen vom Aluhutträger bis zum Putin-Fan" im Geiste der Kritischen Theorie "auf die Verheerungen der kapitalistischen Verhältnisse selbst" zurückzuführen sind:
Tatsächlich hat der unter Rot-Grün restrukturierte und barbarisierte Kapitalismus in Deutschland Menschen 'freigesetzt', ihrer bisherigen Ordnung beraubt und der Kälte und Unwägbarkeit des Marktes unterworfen. Wenig erstaunlich, dass diese Freigesetzten zuweilen zu Obskurantismus und Verschwörungsdenken neigen und gerne bereit sind, allerhand barfüßigen oder falschen Propheten, Heilsbringern und reaktionären Manipulatoren zu folgen.
Ob sie freilich zu mehr in der Lage sind, als sich auf der ein oder anderen Demonstration einzufinden und auf Internetforen auszutoben, gar dazu fähig, ein einflussreiches politisches Projekt zu schmieden, mag dahingestellt sein. Im schlimmsten Fall geben sie einem neuen rechten Parteiprojekt ihre Stimme wie der AfD...
Es sollte lokalen linken Kräften überlassen sein, wie sie in ihrer Region mit diesen Akteuren umgehen. Sie mit eigener Präsenz und den richtigen Inhalten zu überstimmen und zu dominieren, eine attraktivere linke Lebenswelt zu verkörpern, ist immer besser, als sie im Gleichschritt mit den Kräften der Ordnung – weitgehend wirkungslos – als "Nazis" zu markieren.
Als Befürworter einer gruppenübergreifenden und damit "rechtsoffenen" Zusammenarbeit wird in der Broschüre von Teidelbaum Reiner Braun herausgepickt. Reiner Braun ist aktiv im "International Peace Bureau". In den 1980er-Jahren war Reiner Braun am Krefelder Appell beteiligt.
Vor dem Einstein-Jubiläum im Jahr 2005 war er Mitarbeiter des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte. Von 2006 bis etwa 2014 war er Geschäftsführer der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler und war bis 2017 Geschäftsführer der Ialana (International Association of Lawyers against Nuclear Arms). Außerdem war er Sprecher der "Kooperation für den Frieden".
Braun ist außerdem stellvertretender Vorsitzender der Naturwissenschaftler:innen-Initiative Verantwortung für Friedens- und Zukunftsfähigkeit e.V. und hat im November 2022 einen interessanten Bericht über Friedensaktivitäten und Stimmungen in Russland auf den Nachdenkseiten verfasst, der offenbart, dass er alles andere als ein "Putin-Apologet" ist.
Brauns Lebenswerk und seine politische Erfahrung werden durch Teidelbaum heruntergebrochen auf die Bemerkung, Braun habe "bereits 2015 für eine Kooperation mit den rechts-offenen 'Mahnwachen für den Frieden' im Rahmen des 'Friedenswinters'" plädiert. Der Umgang mit dem Friedensfunktionär Braun, der in dem Text gepflegt wird, ist vielsagend.
Braun befürworte, schreibt Teidelbaum skandalisierend, auch "eine Zusammenarbeit mit den Pandemie-Leugner:innen". Wenn Teidelbaum Reiner Braun selbst zitiert, hört es sich jedoch etwas anders an:
Es geht auch um mögliche neue Partner, die im weitesten Sinne in sozialen Bereichen (Wohnen, Gesundheitswesen, etc.), im Handwerk und Mittelstand, aber auch in der Corona-kritischen Grundrechtebewegung zu finden sind.
Reiner Braun
Teidelbaum muss nachschieben, dass Braun diesen Vorschlag konkretisiert, und zitiert:
Solange es eine klare Positionierung gegen rechtsradikales und faschistisches Gedankengut gibt, ist eine pauschale Ausgrenzung nicht zielführend.
Reiner Braun
Braun hat hier also die verlangte Abgrenzung von der extremen Rechten vorgenommen. Teidelbaums Vorhaltungen lösen sich hier in Luft auf. Es scheint ihn also etwas anderes zu stören. So empört er sich, dass besonders in Gruppe B und C "in gewagten Assoziationsketten (…) die Grünen als militaristisch kritisiert und deswegen als 'rechts' markiert" werden.
Nun braucht es nicht viele Assoziationsketten, sondern nur das Zur-Kenntnis-Nehmen eines Interviews mit Toni Hofreiter, um Beispiele für den Militarismus der Grünen zu finden. Doch Teidelbaum geht sogar so weit zu skandalisieren, dass durch Vertreter der Gruppen B und C "die Nato (…) als rechte Organisation markiert" wird. Er bemerkt in aller Naivität:
Eine differenzierte Kritik würde darauf hinweisen, dass autoritäre Regime wie die Türkei in der Nato Mitglied sind, und diesen Umstand kritisieren. Die Nato ist zuallererst ein Militärbündnis, dem sowohl demokratische als auch autoritäre Staaten angehören. Den "Vereinten Nationen" (UN) könnte man ebenso vorwerfen, dass ihnen autoritäre Staaten angehören, allerdings scheint das bei der Bestimmung des Charakters der UN keine Rolle zu spielen.
Freilich offenbart diese Passage, dass Teidelbaum nicht in der Lage ist, Rolle und Funktion der Nato und ihren expansiven Charakter zur globalen Macht- und Herrschaftssicherung der führenden kapitalistischen Staaten, allen voran der USA, zu erkennen.
Ihm scheint auch der Begriff des Imperialismus, bzw. imperialistischer Strukturen unbekannt zu sein, dessen Inhalt er bei historisch und politisch-materialistisch bewanderten Autoren wie Noam Chomsky nachlesen könnte, wenn er zu Daniele Ganser nicht greifen mag.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
Mit Ihrer Zustimmmung wird hier ein externer Podcast (Podigee GmbH) geladen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Podigee GmbH) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.
Teidelbaum kritisiert also Stimmen der Friedensbewegung vor dem Hintergrund einer eigenen affirmativen Einschätzung der Grünen, der Nato und der bundesrepublikanischen Medienlandschaft.
Dass er selbst den Begriffsjoker "Antiamerikanismus" benutzt, ohne darauf zu reflektieren, dass dieser bereits der 80er-Jahre-Friedensbewegung im Interesse ihrer Delegitimation von rechts entgegenschallte, zeigt, wie weitgehend unkritisch und unhistorisch der Autor an sein Thema herangeht.
Einer Strategie "taktischer Mobilisierung", die er nur bei Gruppe C der Friedensbewegung ausmacht, verfolgt er wie die mit ihm kooperierenden Großorganisationen dabei selbst. Im Medium der Verharmlosung herrschender Politik und ihrer medialen und politischen Agenturen strebt er das Reinhalten linker Großorganisationen und ihrer Bündnispolitik an, um Respektabilität im bürgerlichen Milieu zu erheischen.
Wenn sich Teidelbaum auf eine "ausdifferenzierte (…) Kapitalismus-Kritik, die Klassen-Gegensätze fokussiert" positiv bezieht, so ist dies reine Rhetorik und dient nur als Ticket-Begriff, um weitgehend argumentfrei den angegriffenen Akteuren eine Verkürzung in ihrer Gesellschaftskritik oder eine Ideologisierung vorhalten zu können.
Ein solches Manöver könnte die globalisierungskritische Bewegung Attac kennen. So haben ihr in ähnlicher Manier antideutsche Publizisten in der Vergangenheit vorgehalten, ihre Kampagne für eine Finanztransaktionssteuer folge keiner ausdifferenzierten Kapitalismus-, sondern einer nur verkürzten, ja sogar "strukturell antisemitischen" Kapitalismuskritik.
Dass sich die Funktionäre dreier linker Großorganisationen hinter einer wissenschaftlich dürftigen und politisch biederen bis angepassten Kurzstudie zur Friedensbewegung versammeln, zeigt die tiefe Krise linker Kräfte in der Bundesrepublik an. Die Furcht vor "Rechtsoffenheit" und die demobilisierende Abgrenzerei bleiben weit hinter den Erkenntnissen der Gruppen selbst zurück.
In einer Erklärung des Bundessprecher:innenkreises der VVN-BdA wird berechtigterweise kritisch auf das 100-Milliarden-Paket für die Aufrüstung der Bundeswehr verwiesen und zum neuen deutschen Militarismus, der bei Bildung, Gesundheit und Sozialem spart, "Nein" gesagt. Die linken Kräfte haben tatsächlich viel zu diskutieren. So zeigte die Friedensmobilisierung des 3. Oktobers, dass hier neue Akteure auf der Straße zusammenfinden, immerhin in einer großen Zahl von 30.000.
Jenseits des Prominentenspektakels auf der Bühne bei der Goldelse konnte beobachtet werden, dass es eine neue antimilitaristische Jugend gibt, die nicht nur der "Zeitenwende", sondern auch dem vorherrschenden Konformismus und Opportunismus die kalte Schulter zeigen. Dafür schlüpft sie zuweilen in die alten Kostüme eines anachronistischen Leninismus.
Lesen Sie auch
Von der Kita zur Kaserne: Der lange Arm der Zeitenwende
Friedensbewegung im Kreuzfeuer: Zwischen Mobilisierung und Demobilisierung
Friedensdemo in Berlin: Große Erwartungen, wenig Teilnehmer
"Militär schafft keine Lösungen – weder in Nigeria noch in der Ukraine"
"Für mich bedeutet Friedensarbeit, Brücken zu bauen"
Ferner war die Demonstration dank der Mobilisierung palästinasolidarischer Kreise migrantischer und weniger "biodeutsch" geprägt als die klassischen Veranstaltungen der alten Friedensbewegung. Durch diese Teilnehmer artikuliert sich ein radikaler und umfassender Begriff von Menschenrechten. Diese Entwicklung ist für Antikriegsbewegungen in globalisierten Migrationsgesellschaften von höchster Bedeutung.
Insgesamt zeigt Teidelbaums Analyse eine Tendenz zur Demobilisierung, anstatt durch aktive Beteiligung und Überzeugungsarbeit Einfluss auf die Bewegungen zu nehmen.
Die Diskussion um seine Thesen verdeutlicht bestehende Spannungen innerhalb der Friedensbewegung und die Herausforderungen, vor denen linke Organisationen in der aktuellen politischen Landschaft stehen. Die Notwendigkeit einer differenzierten Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Strömungen innerhalb der Friedensbewegung und der politischen Landschaft bleibt eine zentrale Aufgabe für alle Beteiligten.
Es zeigt sich, dass eine stärkere Präsenz und inhaltliche Auseinandersetzung in den von Teidelbaum kritisierten Friedensmobilisierungen ein Weg sein könnte, um die Vielfalt und die Ziele der Bewegung zu stärken.