Neue Medien - neue Werte?

Die Berliner Konferenz Monomedia will den Wertewandel ergründen, den die neuen Medien in Wirtschaft und Kultur mit sich bringen

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"Sharing Values", "Value Exchanges" oder "Flock of Values" sind die "Sessions" überschrieben, in denen sich Experten aus aller Welt nächstes Wochenende in Berlin auf der "monomedia berlin:value" über die Umwälzungen im ökonomischen, kulturellen und sozialen Wertgefüge Gedanken machen sollen. Den ersten Wert, den die neuen Medien über den Haufen werden, könnte man schlussfolgern, ist der verständliche Gedankenausdruck in der Landesprache. Denn obwohl Monomedia die "Monokultur" von "Multimedia" schon mit dem Titel eigentlich ironisieren will, wird auf der Konferenz nur Englisch gesprochen. Doch wer damit kein Problem hat, den erwartet ein exquisites Programm.

Dass die neuen Medien und insbesondere das Internet eine Revolution auslösen wie zuvor die Erfindung des Feuers, des Buchdrucks oder der Dampfmaschine ist eine viel zitierte These. "Kein Stein wird auf dem anderen bleiben", glaubt der Münchner Unternehmensberater Roland Berger. Und auch die vom Bundestag eingesetzte Enquete-Kommission zur Zukunft der Medien kam bereits 1998 zu dem Schluss, "dass sich durch die neuen Informations- und Kommunikationstechniken das Leben in unserer Gesellschaft nachhaltig verändern wird". Noch weiter geht der amerikanische Rechtsanwalt Andrew Shapiro in seinem Buch über die Kontroll-Revolution, wo er von einer Machtverschiebung von großen Institutionen zu Individuen ausgeht. Der Autor spricht von einer "gewaltigen Transformation bei der Herrschaft über Informationen, Erlebnisse und Ressourcen", die letztlich von "uns selbst" in die Hand genommen würde.

Im Alltag der meisten Bürger ist diese Ermächtigung allerdings bisher noch kaum angekommen. "Die Strukturveränderungen in der Informationsgesellschaft waren bisher vor allem mit Ängsten verbunden", meint der Berliner Senator für Wirtschaft und Technologie, Wolfgang Branoner. Arbeitslosigkeit, Überwachung oder die Vereinsamung der Menschen am Computer hätten die Debatte oft dominiert. Um auch die Chancen in den Vordergrund zu stellen, die sich mit den neuen Medien in Wirtschaft und Gesellschaft auftun, hat Branoner die Schirmherrschaft über die vom 12. bis 14. Mai an der Hochschule der Künste Berlin (HdK) stattfindende Konferenz monomedia berlin:value übernommen. Die Fachtagung, zu der über 1000 Experten aus aller Welt erwartet werden, hat sich das ambitionierte Ziel gesetzt, die vom Internet ausgelösten ökonomischen, sozialen und kulturellen Veränderungen auszuloten.

Dass der Titel ein reines Wortungetüm ist und zunächst negative Assoziationen wie "Monokultur" oder "Monopol" weckt, nur um den verstaubten Allerweltsbegriff "Multimedia" zu vermeiden, sollte die als "Zielgruppe" avisierten Designer, Wirtschaftswissenschaftler, Autoren, Informatiker oder Künstler nicht vom Besuch der Konferenz abhalten. Auf dem Programm stehen bekannte Namen wie die US-Ökonomen Manuel DeLanda und Michael Goldhaber oder der aus Indien stammenden Rishab Aiyer Ghosh, der das Austauschen von Informationen, Programmen und künstlerischen Werken übers Netz als Auferstehung des Tauschhandels in einer digitalen Welt betrachtet (Kochtopfmärkte: Ein ökonomisches Modell für "freie" Ressourcen im Internet). Über die Rolle, die Kunst oder Religion bei der Vermittlung von Werten in der sich in immer kleinere Gruppen aufspaltenden Gesellschaft (wieder) spielen können, wird unter anderem Musik-Produzent Brian Eno ("U2") berichten. Und wie die "Kontroll-Revolution" ihren Lauf nehmen könnte, werden vor allem Agenten der Netzkunstgruppe etoy (Durchbruch zum Weltcode: etoy's Begriff der Netzarchitektur und der Toywar gegen eToys) zeigen, die sich im Winter erfolgreich gegen die Vertreibung von ihrer angestammten Domain durch den kalifornischen Online-Spieleversender eToys gewehrt hatten.

Fußmassagen ergänzen die "Stock Options"

Wichtigste Aufgabe der Redner und Konferenzteilnehmer dürfte es sein, den vagen Begriff vom Wertewandel durch die neuen Medien zu konkretisieren. "Es geht dabei nicht nur um die Börsenwerte", verteidigt Jennifer Neumann, Vorstandsvorsitzende der in Berlin und San Francisco beheimateten Softwarefirma Canto, die Startup-Branche gegen den oft zu hörenden Vorwurf, dass das Internet ökonomisch gesehen vor allem einen mit realen Zahlen nicht zu unterfütternden Hype rund um die Dot-coms hervorgebracht habe. Eher müsse man den gesamten Wandel des Arbeitslebens in Betracht ziehen, der sich in den auf Netzideen setzenden Startups momentan abspiele. Dazu zähle nicht nur, die Angestellten durch die Vergabe von Aktienanteilen ans Unternehmen zu binden und zu motivieren. Richtig interessant sei erst, findet Neumann, dass Firmen "heute sogar durch Fußmassagen versuchen, die Leute bei Laune zu halten."

Alexander Artopé, Geschäftsführer des Berliner Startups datango und Mitbegründer der Initiative Silicon City erscheint es wichtiger, dass bei der Arbeit in Internetfirmen Hierarchien eingerissen werden. Angesichts der "doppelten Geschwindigkeit", mit der Geschäftsprozesse in Startups abliefen, könne der Chef gar nicht mehr immer Recht haben. Jeder Mitarbeiter sei aufgefordert, seine Ideen in die Firmenführung mit einzubringen. "Im Internetmarkt ist das Unvorhergesehene das Alltägliche", hat Artopé während der kurzen Zeit nach der Gründung von Datango im vergangenen Jahr festgestellt. Flexibilität und Geschwindigkeit hält der in der Regel nicht vor Mitternacht den Schreibtisch verlassende Unternehmensgründer daher für die wichtigsten Werte in der Netzökonomie, die auch die Gesellschaft insgesamt veränderten.

Als Gegenbewegung dürften aber auch die Entdecker der Langsamkeit an Einfluss gewinnen. Der ehemalige Bundesgeschäftsführer der SPD, Peter Glotz, befürchtet eine Spaltung der Gesellschaft in eine virtuelle Führungsklasse und in eine eine Heerschar "glänzend ausgebildeter Technologie-Gegner, die einfach nicht mitmachen". Diese "Mühsiggangster" (Kulturkämpfe im digitalen Kapitalismus) wenden sich nach Glotz' Meinung gegen die Arbeit als Sinngebungsfaktor und möchten nicht wie der gestresste Manager immer am Rande des Nervenzusammenbruchs dahinvegetieren.

Wertewandel überstrapaziert?

Axel Zerdick, Professor am Institut für Publizistik an der FU, will den sich abzeichnenden Wertewandel dagegen weder in die positive noch in die negative Richtung überstrapazieren. Internet und Multimedia förderten nicht direkt "neue" Werte. Kennzeichnend für die Entwicklung der Netzgesellschaft sei aber, "dass bestehende Wertvorstellungen sich in neuen Formen leichter und vielleicht auch anders verwirklichen lassen. Auffallend sei etwa, dass in den letzten beiden Jahren die Zahl junger Menschen deutlich gestiegen sei, die das Risiko der Selbständigkeit auf sich nähmen und dafür auch bereit seien, mit hohem Einsatz zu arbeiten. Dass die Jungunternehmer dabei immer egoistischer und materialistischer würden, hält Zerdick für einen Mythos. Viele der jungen Unternehmensgründer würden andere von der Verwirklichung ihrer Ziele, die natürlich im Vordergrund stünden, eben gerade nicht ausschließen, sondern mitreißen wollen. Die Chancen für den ökonomischen Erfolg würden dabei "gern mit ins Visier genommen, stehen aber nicht im Vordergrund."

Eine kleine "Kontrollrevolution" mussten die Veranstalter an der HdK übrigens bereits im Vorfeld der Veranstaltung durchstehen. Obwohl Sponsoren wie Pixelpark oder Deutsche Bank 24 gefunden worden waren, wurden die Eintrittspreise für Monomedia zunächst auf über 1000 Mark festgesetzt. Als diese Ankündigung in mehreren Mailinglisten die Runde machte, hagelte es Protestbriefe von den Surfern angesichts des überzogenen Preises für eine Veranstaltung im universitären Umfeld. Die Sponsoren griffen daher anscheinend noch etwas tiefer in ihre Taschen, so dass Studenten nun "nur" 150 Mark für den Besuch der dreitägigen Veranstaltung zahlen. Auch der Preis für die restlichen Teilnehmer wurde auf 590 Mark gesenkt.