Neue Minister: Boris Johnson suggeriert Brüssel, dass er es ernst meint

Priti Patel (Foto: DFID, CC BY 2.0), Dominic Raab (Foto: Chris McAndrew, CC BY 3.0) und Jacob Rees-Mogg (Foto: Chris McAndrew, CC BY 3.0)

Hard-Brexit-Befürworter Dominic Raab hat das Außenressort übernommen, Jacob Rees-Mogg die Schnittstelle zwischen Kabinett und Parlament

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Gestern hielt der neue britische Premierminister seine Antrittsrede im Unterhaus. Sie war für seine Verhältnisse nüchtern gehalten, unterschied sich aber trotzdem stark von der teilweise fast merkelhaften Drögheit seiner Vorgängerin Theresa May (bei der ebenfalls nicht undenkbar ist, dass sie Spontaneität und echte Gefühle derart verkrampft im Zaum hält, dass sie sich irgendwann mit einem unkontrollierten Zittern Ausdruck verschaffen). Im Vergleich zu ihr (und nicht nur zu ihr) wirkt Johnson geradezu lausbübisch. Wie jemand, der auch einmal sagt, was ihm wirklich durch den Kopf geht, ohne vorher lange strategische Überlegungen anzustellen.

Das lässt ihn menschlicher wirken als viele andere Politiker, was wahrscheinlich eine Mitursache für seine Beliebtheit außerhalb des Juste Milieus ist. Gleichzeitig ist das, was ihm anscheinend durch den Kopf geht, häufig nicht ganz ohne Originalität und Unterhaltungswert. Wie auch sein vor kurzem offenbartes Hobby, alte Weinkisten als Busse mit zufriedenen Fahrgästen zu bemalen. Für den Politikwissenschaftler Brian Klaas war das eine Äußerung, die er so "bizarr" fand, dass sie ihn geradezu "mesmerisierte".

Seine Churchill-Biografie zeigt: Er ist ein kluger Kopf hinter eine wilden Frisur

Dass Johnson anscheinend weniger große Lust hat als andere Politiker, seine Spontaneität der Karriere unterzuordnen, muss jedoch nicht heißen, dass seine Gegner leichtes Spiel mit ihm hätten. Das zeigt nicht nur seine Karriere in den letzten zwölf Jahren, sondern auch seine ausgesprochen lesenswerte Churchill-Biographie, in der er eindrucksvoll beweist, was für ein kluger Kopf hinter seiner wilden Frisur steckt.

Insofern dürfte auch sein Umbau des britischen Kabinetts (der deutliche umfassender ausfiel, als manche Medien das erwartet hatten) kein bloßes Loyalitätsbelohnen und Sympathiebezeigen sein, sondern ein Paket aus Entscheidungen, die ihm dabei helfen können, sein erklärtes Ziel einer Änderung von Theresa Mays im Parlament drei Mal durchgefallenen Ausstiegsdeal zu erreichen (vgl. "Delays don't make deals - Deadlines do"). Dass er im Außenministerium Jeremy Hunt durch Dominic Raab ersetzte, ist wahrscheinlich keine Rache daran, dass Hunt gegen ihn um den Vorsitz kandidierte. Das hatte nämlich auch Raab gemacht.

Aber Raab hatte sich - ganz anders als Hunt - als der von allen Kandidaten entschiedenste Verfechter eines Hard-Brexit-Ausstiegs zum 31. Oktober präsentiert, falls die EU dem UK bis dahin kein besseres Angebot macht. Durch seine Wahl macht Johnson Brüssel deshalb klar, dass er seine "Deadline" ernst meint. Ein weiterer Hinweis darauf ist, dass Johnson Hunt eigentlich auf dem für den Brexit weniger bedeutenden Posten des Verteidigungsministers im Kabinett halten wollte, was der 52-Jährige jedoch ablehnte.

Schlüsselstellung beim Schmieden von Mehrheiten

Wäre Hunt im Kabinett verblieben, hätte ihn Johnson möglicherweise besser unter Kontrolle gehabt. Ganz nach dem Motto, man solle seine Freunde eng um sich scharen, aber seine Feinde noch enger. Diese Spruchweisheit drängt sich vor allem dann auf, wenn man sich ansieht, welchen Kabinettsposten der ehemalige Umweltminister Michael Gove bekam, der Johnson 2016 durch seine eigene Kandidatur in den Rücken fiel (vgl. Wer wird Premierminister?). Gove ist nun "Kanzler des Herzogtums Lancaster". Auf einem am Kabinettstisch deutlich wichtigeren Posten wird dagegen der beliebte Exzentriker Jacob Rees-Mogg sitzen, dem als Leader of the House of Commons eine Schlüsselstellung beim Schmieden von Mehrheiten zukommt.

Jacob Rees-Mogg klärte gestern einen SNP-Abgeordneten darüber auf, dass das House of Commons älter ist als das Haus Tudor

Ein Signal dafür, dass Johnson Wünschen aus den USA möglicherweise nicht immer so bedingungslos wie ein Blair Folge leisen wird, ist die Berufung von Gavin Williamson zum neuen Bildungsminister. Williamson hatte das alte Kabinett erst im Mai verlassen müssen, weil ihm vorgeworfen wurde, Meinungsverschiedenheiten zum Einsatz von Huawei-Produkten im britischen 5G-Mobilfunknetz unzulässig an die Öffentlichkeit getragen zu haben (vgl. Huawei-Streit in britischer Regierung: Verteidigungsminister Williamson gefeuert und GCHQ und NSA uneins über ein Verbot von Huawei-Technologie).

Eine weitere prominente Rückkehrerin ins Kabinett ist Priti Patel, die als Entwicklungshilfeministerin von Theresa May über ein inoffizielles Urlaubstreffen mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu gestolpert war. Die indischschstämmige Politikerin aus der Kaufmannskaste (vgl. Kasten-Quoten-Unruhen in Indien) hat in der Vergangenheit angeregt, wirtschaftlichen Druck auf Irland auszuüben, damit sich die Republik bei der Suche nach einem Kompromiss für die irisch-nordirische Grenze bewegt. Allerdings wurde sie nicht Nordirland-, oder Wirtschafts-, sondern Innenministerin. In diesem Bereich gilt sie als Befürworterin härterer Strafen im Kampf gegen die zunehmende Gewaltkriminalität, unter der vor allem die Metropole London leidet (vgl. Tory-Parteitag in Birmingham).

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