Neuwahlen für ein Weiter so

Das Duo Schröder/Fischer scheint mitsamt ihrer Politik festzustehen, bei Schwarz-Gelb gibt es erste Meldungen über das Schattenkabinett der mutmaßlichen Kanzlerkandidatin Angela Merkel

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Selten hatte eine Landtagswahl so große Auswirkungen wie die vom vergangenen Samstag in NRW (Pest und Schwefel). Dass die Bundesregierung zu dem in Deutschland eher verpönten Instrumentarium der Neuwahlen greift, ist auf den ersten Blick eine Überraschung, denn einen zwingenden Grund gab es dafür nicht. Auch die manchmal als Begründung herangezogene Blockade des Bundesrates durch eine Zweidrittelmehrheit der Unions-regierten Länder kommt durch den Regierungswechsel in NRW nicht zustande, weil die große Koalition in Schleswig Holstein sich bei wichtigen Entscheidungen der Stimme enthält. Außerdem war es in der letzten Zeit immer wieder Schröders Anliegen, durch die Einbeziehung der Opposition politische Entscheidungen auf breitester Grundlage zustande zu bringen. Der Jobgipfel vor wenigen Wochen war da das aktuellste Beispiel. Diese Tendenz wäre bei einer Unionsmehrheit im Bundestag noch verstärkt worden.

Auch aus wahltaktischen Gründen konnte die gegenwärtige Bundesregierung eigentlich wenig Grund zu schnellen Wahlen haben. Schließlich könnte die Union von ihrem gegenwärtigen Aufschwung bis zum Herbst noch profitieren. Zumal der Bundesregierung jetzt das Stigma anhaftet, die Koalition nicht zu Ende gebracht, also versagt zu haben, was sich nicht unbedingt in Wählerstimmen niederschlägt. Zum regulären Wahltermin hingegen hätte sich schon eher Ernüchterung über die konservative Realpolitik breit gemacht. Denn schließlich wird auch diese Partei die Arbeitslosenzahlen kaum spürbar senken können und sie wird die unpopulären Maßnahmen der Bundesregierung noch verstärken .

Auch wenn dies noch nicht entschieden ist, so dürfte, nachdem sich gestern auch der niedersächsische Ministerpräsidenten Wulff und der hessische Ministerpräsident Koch für sie ausgesprochen haben, die CDU-Vorsitzende Angela Merkel zur Kanzlerkandidatin werden. Nur in Bayern wird noch gezögert. Wie der Stern berichtet, soll der bayerische Ministerpräsident Stoiber "Superminister" für Wirtschaft und Finanzen werden. Und es soll noch ein weiteres "Superministerium" mit den Bereichen Arbeit, Soziales und Gesundheit geschaffen werden, vermutlich geleitet vom saarländischen Ministerpräsidenten Peter Müller. Mit dieser doppelten Speerspitze, sofern sich die beiden Politiker für den prekären Job hergeben werden, will man die Probleme Arbeitslosigkeit und soziale Systeme lösen.

Und die FDP? Üblicherweise erhebt sie Anspruch auf das Außenministerium. Hier hatte sich bereits Fraktionschef Wolfgang Gerhardt stark gemacht, der aber außenpolitisch weiterhin recht blass erscheint. Auch für den Parteivorsitzenden Guido Westerwelle muss ein Ministerposten gefunden werden. Das soll angeblich das Innenministerium werden, was möglicherweise hieße, nimmt man die kürzlich beschlossene FDP-Programmatik ernst, dass hier ein liberalerer Wind als unter Schily wehen könnte, falls CDU und CSU dies zulassen. Und nach dem vom Stern gemeldeten Schattenkabinett könnte die CSU mit Michael Glos als Verteidigungsminister noch einen Posten erhalten. Wolfgang Bosbach hingegen soll Justizminister werden.

FR

Wenn man die Kampfansage an die Gewerkschaften vom Wirtschaftsflügel der Union und FDP-Chef Guido Westerwelle gehört hat, dürfte schnell klar werden, dass unter Schwarz-Gelb gewerkschaftliche Rechte unter dem Schlagwort Deregulierung zur Disposition stehen und noch stärkere Einschnitte ins soziale Netz eingefordert werden. Die Gewerkschaften werden deshalb ihre Kritik an der Politik der gegenwärtigen Bundesregierung zurück stellen und wieder den Schulterschluss mit Schröder üben. Schließlich haben die führenden Gewerkschafter schon im Vorfeld der NRW-Wahlen klar gemacht, dass für sie Hartz IV akzeptiert ist. Das aber ist das Dilemma bei den Neuwahlen. Es gibt faktisch nur die Alternative "Weiter so" mit Schröder/Fischer und Hartz IV oder eine Verschärfung dieses Kurses mit Merkel/Westerwelle.

Nirgends drückt sich dieses "Weiter so" besser aus, als in der beabsichtigen personellen Aufstellung der Bundesregierung. Das Duo Schröder-Fischer scheint unumstößlich festzustehen. Eine Diskussion über den Kanzlerkandidaten und seinen Stellvertreter wird erst gar nicht zugelassen. Dagegen war die rechte Koalition des gern als Alleinherrscher und Autokraten apostrophierten italienischen Ministerpräsidenten Berlusconi in Italien der reinste Diskutierclub. Musste sich doch Berlusconi nach den Niederlagen seiner Koalition in mehreren den deutschen Bundesländern vergleichbaren Provinzen einer Personaldebatte stellen. Mit der Festlegung auf Schröder-Fischer ist auch ein Festzurren der von ihnen vertretenen Politik verbunden. Es dürfte interessant zu beobachten sein, wie die SPD die populistische Kapitalismuskritik von Müntefering und die Agenda 2010 unter einen Hut bringen kann.

Am linken Flügel der SPD haben sich mehrere Bundestagsabgeordnete offen gegen die Agenda 2010 ausgesprochen. Sie dürften nun noch einmal gebraucht werden, wenn die Bundesregierung zum Zwecke der Neuwahlen das Parlament auflösen will. Das ist ein verfassungspolitisch heikles Prozedere, wenn der Eindruck entsteht, dass die Auflösung nur ein taktisches Spiel ist. Anders wäre die Situation, wenn Schröder überzeugend nachweisen könnte, dass er wirklich bei einer wichtigen Frage ohne Mehrheit dasteht. Vielleicht können die kritischen Abgeordneten Schröder in dieser Frage behilflich sein. Nur hätten sie im Anschluss wohl ihre Schuldigkeit getan.

Es sei denn, es bildet sich links von der SPD tatsächlich jene Wahlalternative, die es bisher dem Namen nach auch gibt. Mit einer Beteiligung von knapp 2 % hat sie bei den Landtagswahlen einen Achtungserfolg erzielt. Für einen Bundestagwahlkampf im Herbst aber ist diese neue Formation nicht gerüstet. Der Parteiaufbau, vor allem im Osten, ist noch nicht abgeschlossen, das Verhältnis zur PDS nicht geklärt und auch die programmatischen Differenzen sind von Formelkompromissen notdürftig überdeckt. Mit dem Coup, eine Neuwahl herbeizuführen, dürften sich auch Spekulationen erledigt haben, einige Bundestagsabgeordnete der SPD-Linken könnten mit dem ehemaligen SPD-Vorsitzenden Lafontaine zur Wahlalternative überwechseln. Letzterer hat sich auch am Abend der NRW-Wahl als Zauderer erwiesen, der einerseits immer mal wieder Avancen an die Wahlalternative macht und gleichzeitig einem Wahlkampf für die SPD nicht ausschließt.

Die PDS hat als schon existierende Partei hier einige Startvorteile. Doch die Hoffnung auf einen Wiedereinzug in Fraktionsstärke ins Parlament wird bei den demokratischen Sozialisten vor allem an einer Kandidatur von Gregor Gysi geknüpft, der das bei der letzten Wahl fehlende dritte Direktmandat im Osten holen soll. Zeitraubende Debatten mit einer Wahlalternative werden da schon aus Zeitgründen kaum auf Gegenliebe stoßen. So dürfte der frühe Wahltermin dafür sorgen, dass die in den letzten Jahren breiter vorgetragene Kritik an einer Wirtschaftspolitik, die nur dem Profitinteressen untergeordnet hat, kaum im Mittelpunkt stehen dürfte.