NextGen versetzt die Branche in Aufbruchsstimmung

Die Game Convention Developer's Conference 2005 (Teil 1)

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Noch war es ruhig, aber es war die Ruhe vor dem Sturm. Zwei Tage, bevor die Games Convention 2005 in Leipzig begann; bevor die Horden spielwütiger Kids aus ganz Europa in den Leipziger Messehallen einfielen, bevor die gestreckten Limousinen durch Leipzig cruisten und während die opulenten und futuristischen Kulissen der Spiele-Giganten aufgebaut wurden, rauchten im Messezentrum schon die Köpfe der Spiele-Designer, die sich nun schon zum vierten Mal mittels Vorträgen und Workshops auf der Games Developers Conference (GCDC) austauschten.

Die GCDC, die u.a. von Intel, ATI und Nokia gesponsert wird, hat sich als eine der wichtigsten europäischen Konferenzen für Computerspiele-Entwickler etabliert. Nachdem die GCDC die vergangenen Jahre zwei Tage lang dauerte, ist sie in diesem Jahr einen Tag länger geworden. Genau wie bei der Games Convention (GC) ist das Wachstum ungebrochen (vgl. Großereignis der Spaßgesellschaft).

Während im letzten Jahr noch 280 Fachbesucher die GCDC besuchten, waren in diesem Jahr 450 Teilnehmer aus 14 Ländern, u.a. Indien, Singapur, Brasilien, USA und England dabei. Dies entspricht gegenüber dem Vorjahr einem beachtlichen Zuwachs von 61 Prozent. Jedes Jahr kommen mehr internationale Stars aus der Game-Branche. In diesem Jahr fanden u.a. renommierte Entwickler wie Peter Molyneux, Lionhead Studios, der das Gott-Game Black & White produzierte; Bob Bates, der Vorsitzende der IGDA sowie Bruce Shelley und Don L. Doglow von Stormfront Studios den Weg nach Leipzig.

Während die GC nicht nur eine Fach-, sondern auch eine Zuschauermesse ist, wo alle neuen Spiele der nächsten Monate für das Weihnachtsgeschäft zur Schau gestellt werden, ist die GCDC der Ort, wo die Spiele-Entwickler ihre neuesten Visionen präsentieren, aktuelle und prognostizierte Trends und Probleme bei zukünftiger Spielehardware und –software diskutieren, über Erfolge berichten, aber auch mal Selbstkritik üben und Pannen aus der Vergangenheit zugeben. So gab etwa Peter Molyneux die Anekdote zum Besten, dass von seinem allerersten Spiel Entrepreneur (1983) nur zwei Exemplare verkauft wurden – zehn Jahre später erfuhr er von seiner Mutter, dass sie es war, die diese beiden Exemplare gekauft hatte.

Für Brancheninterne ist die GCDC eine Chance, sich auf dem neuesten Stand zu halten und Netzwerke zu pflegen. Für Brancheneinsteiger ist die Konferenz eine konkrete Chance, einen Job in der Branche zu finden – so rekrutierte z. B. Rockstar Vienna während der GCDC neue Entwickler und Programmierer für ihr Team, oder boten Games Veteranen Bob Bates und Bill Anker in Einzelgesprächen angehenden Game-Designern sachkundige Hilfe beim Pitching von Games.

Sony PS3

Wie im Vorjahr aufgeteilt in Development, Business und Science, wurden Themen der GCDC 2004 wie Mobile Gaming und die Koordination immer größerer Teams wieder aufgegriffen und weiter gedacht (vgl. auch die Berichte zur GCDC 2004 von Dirk Förster (vgl. Spiel-Terminal oder Mobiltelfon?) und von Karin Wehn (vgl. 30 Sekunden Redezeit). Neue Themen waren u. a. die neue Konsolen-Generation und die Frage, wo und wie man noch neue Spieler-Zielgruppen erschließen kann. Ein bisschen schade war es, dass der Forschungsteil zwar den klingenden Namen "Science and Magic" trug, von der Magie jedoch wenig zu spüren war. Die Vorträge beleuchteten das Thema ausschließlich aus der sicherlich wichtigen informatikorientierten Perspektive, die aber den vielfältigen Diskursen, wie Computerspiele derzeit analysiert und diskutiert werden, nur unzureichend Rechnung trägt (vgl. für ein ausgewogeneres Beispiel etwa die Konferenz "Ernstfall Computerspiel", über die auch in Telepolis berichtet wurde (vgl. Spiel und Arbeit).

Next-Gen – Zwischen Vorfreude und Angst

Vieles deutet darauf hin, dass sich die Computerspiel-Branche im Umbruch befindet. Dafür wird vor allem die "Next-Gen" verantwortlich gemacht, die neue Konsolen-Generation der Microsoft Xbox 360, der Playstation 3 und Nintendo Revolution.

Microsoft X-Box 360

Der anstehende Konsolenwechsel hinterlässt bei den Spieleentwicklern gemischte Gefühle: Einerseits ist man fasziniert von den technischen Möglichkeiten, andererseits wird Skepsis laut, ob man den neuen Herausforderungen gewachsen sei. Julian Eggebrecht, Direktor von Factor 5, ist seit Ende der 1980er Jahre in der Spieleentwicklung tätig. Während sich der Kölner Autodidakt anfänglich mit Amiga-Spielen einen Namen machte, ist er seit 1995 in Kalifornien ansässig, entwickelte dort allerlei Software für den Nintendo Gamecube und kennzeichnete verantwortlich für die sehr erfolgreiche Star Wars: Roque Squadron-Serie. Eggebrecht, der aktuell Lair für die Playstation 3 produziert, schilderte die Situation als "outright scary" und begründete dies anschaulich mit Budgets und Manpower für eine zukünftige Spieleproduktion.

Er zeigte, dass mit jedem Konsolenwechsel eine Erhöhung der Budgets und der für ein Spiel benötigten personellen Kapazitäten einher ging. Während noch Ende der 1980er ein typisches Spiel mit 3-5 Leuten relativ risikofrei produziert wurde, werden es in der Anfangsphase der neuen Konsolen-Generation Teams von ca. 120 Personen sein, die mit Budgets zwischen US $ 17-20 Millionen operieren. Damit wird das Spiele-Entwickeln zu einem Terrain, das ähnlich riskant ist wie eine Hollywood-Film-Produktion. Ein Spiel, das mit solch einem Budget produziert wurde, muss sich 2 – 2,5 Millionen mal verkaufen, um sich zu refinanzieren. Besonders die Objekte in Games erfordern sehr viel mehr Sorgfalt, da die neuen Konsolen sehr viel mehr Detail zeigen können.

Nintendo Revolution

Wie auch Jonathan Story von Intel wies Eggebrecht darauf hin, dass ein Mangel an guten Programmierern herrscht, die Assembler Code beherrschen, eine notwendige Voraussetzung, um die Möglichkeiten der neuen Prozessoren tatsächlich ausnutzen zu können. Wenn sie mit standardisierter Programmierung programmiert werden, sind sie in der Praxis nämlich sehr viel leistungsschwächer als theoretisch möglich.

Die neuen Konsolen "machen das Leben zur Hölle", so auch Peter Molyneux. Er beklagte, dass die opulenten Demos, mit denen die Konsolenhersteller für ihre Produkte werben, Ansprüche wecken würden, die dann von der Spiele-Industrie eingelöst werden müssten. Er monierte auch, dass heutige Spieler an Computerspiele ähnliche Ansprüche stellen würden wie an computeranimierte Filme, die sie – wenn sie sie auf dem Fernsehbildschirm sehen – auf dem gleichen Endgerät sehen, auf dem sie Computerspiele spielen.

Julian Eggebrecht

Gleichzeitig herrschte Unsicherheit darüber, welche Hardware sich für Spiele durchsetzt, welche Konsolen in Zukunft friedlich nebeneinander existieren oder andere verdrängen, oder auch die Frage, ob Spiele für den PC überhaupt noch eine Chance haben. Microsoft begegnet dieser Herausforderung, in dem es den PC stärker einer Konsole anpasst, z. B. durch Controler.

Bill Roper, Kopf von Flagchip Studios, der zuvor für Blizzard an den Diablo-,WarCraft- und StarCraft-Serien mitgearbeitet hatte, imaginierte das Endgerät der Zukunft mit leichter Ironie als ein "Hybrid einer Konsole, eines PC, eines Home Entertainment-Geräts sowie einer Expresso-Maschine". Auf die Frage, ob und in welchem Maße PC, Konsolen und mobiles Gaming produktiv miteinander vereinbar seien, sprach er sich für "Multiple windows" aus, mit anderen Worten, zu versuchen, den bislang getrennten Spieler-Communities von PC und Konsolen die Möglichkeit zu schaffen, miteinander und gegeneinander zu spielen, was allerdings neue Probleme in sich birgt.

Bill Roper

So kritisierte Roper, dass die Konsolen-Versionen von PC Games häufig schlecht spielbar seien, und umgekehrt, was daran läge, dass Spiele meist für die "native Plattform" optimiert würden, und der Versuch, sie zweitzuverwerten, meist nur als eine zusätzliche Einnahmequelle gesehen würde, für die man nicht bereit sei, mehr zu investieren. Je nach Hardware läuft ein Spiel unterschiedlich schnell oder langsam, so dass das Gameplay eines PC-Hits auf der Konsole zu einer Schlaftablette wird und umgekehrt. Wiederholt wurde darauf hingewiesen, dass das Fine-Tuning der Spiele einen großen und häufig unterschätzten Teil der Spieleentwicklung ausmacht.

Weitere Herausforderungen bei konsolenübergreifenden Spielen bestehen darin, dass die Interfaces von PCs und Konsolen sehr verschieden sind. Während Spiele für den PC per Maus und Tastatur gesteuert werden, steuert man Konsolenspiele über ergonometrische Kontroler ohne Keyboard. Gerade in Multiplayer-Games wie Dark Age of Camelot oder Battlefield II entsteht viel Spielspaß durch die Kommunikation mit kooperierenden oder konkurrierenden Mitspielern. Im Umgang mit Sprache lagen für Bill Roper weitere Herausforderungen zwischen PC und Konsolen. Bei einem tastaturgesteuerten Role-Playing-Game für den PC ist es kein Problem, dass der Spieler seinen Avatar mit einer zum Charakter passenden Wortwahl und Sprechweise ausstattet. Dies wird auf einer nicht über Tastatur gesteuerten Konsole zum echten Problem, da hier Sprache über Headsets implementiert wird. Wenn also eine sexy junge Frau mit der tiefen Stimme und dem Akzent eines Lastwagenfahrers spricht, kann die mühsam und sorgfältig aufgebaute Glaubwürdigkeit der Figur schnell dahin sein. Konsole-Publisher reagieren darauf mit Tools, die Stimmen maskieren.

Virtuelles Filmteam

Noch schwieriger wird es, wenn man versucht, PC- oder Konsolen-Spiele Handheld-Devices wie PDAs und Mobiltelefonen anzupassen, da die viel kleineren Bildschirme ein gänzlich anderes Gameplay verlangen. Allerdings könnte ihr Mehrwert, z. B. ihre Telefonier-Optionen in kleinen Mini-Games sinnvoll genutzt werden, deren erfolgreiches Meistern dem Spieler bei dem "großen" Spiel nutzt.

Roper sprach sich dafür aus, vielfältige Sichten und verschiedene Sichten derselben Spielewelt in so vielen Medien und Plattformen wie möglich zu fördern. Synergieeffekte bei einem ideal konzipiertes Game könnten etwa entstehen, wenn der Titel sowohl als Karten- und Brettspiel veröffentlicht würde, wenn es Romane gäbe, die Hinweise auf Easter Eggs in Spielen beinhalten, sowie Zeichentrickserien im Fernsehen, kurzum, wenn also nicht die gleichen, sondern aufeinander aufbauende und einander ergänzende Inhalte auf den verschiedenen Plattformen präsentiert würden, die sich wechselseitig verstärken.

Als ein erfolgreiches und gelungenes Beispiel, das mit intelligent verteilten Inhalten auf allen Plattformen funktioniert, nannte er Pokémon. Mit einem Kartenspiel, einer Version für die Nintendo Handheld-Konsole DS, einer für den Game Cube und sogar bestimmten Inhalten, die nur exquisit auf Computerspielmessen erhältlich waren, ist Pokémon in seiner Gänze mehr als die Summe seiner Teile.

Die GCDC zeigt, dass der schon seit mehreren Jahren andauernde Trend zu immer opulenteren Grafiken und immer riesigeren immersiven Spielewelten ungebrochen ist. Gleichzeitig versucht man, in immer mehr Lebensbereiche der Spieler vorzustoßen, so dass Spielen allgegenwärtig und immer präsent wird. Dass die Branche sich aber andererseits bewusst ist, dass man sich mit einfach zu bewältigenden Spielen weitere Zielgruppen erschließen kann, darüber wird in Teil 2 dieses Artikels berichtet.