"Nicht an den ideologischen Axiomen der deutschen Rechten ausrichten"

Arnaud Montebourg, 2012. Bild: Jackolan1/CC BY-SA 3.0

Der französische Wirtschaftsminister Montebourg kritisiert die zu nahe Ausrichtung der Regierungspolitik in Paris an Berlin und beschwört eine Regierungskrise herauf

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Im absoluten Einverständnis mit Staatspräsident François Hollande hat der französische Ministerpräsident Manuel Valls die Regierung aufgelöst. Vorangegangen waren am Wochenende veröffentlichte kritische Äußerungen des Wirtschaftsministers Arnaud Montebourg zum wirtschaftspolitischen Kurs der Regierung, der sich scharf über die dogmatische Ausrichtung der Sparpolitik und eine zu enge Anlehnung bzw. Abhängigkeit von den rechten Kräften in Deutschland beklagte.

Die Äußerungen verursachten größeren Wirbel, weil sie in aller Deutlichkeit zur Sprache bringen, was seit Wochen an Kritik gegenüber dem Wirtschaftskurs der Regierung innerhalb des linken Flügels des Parti Socialiste laut wurde, häufig mit dem Verweis auf Deutschland. Da die Kritik nun vom Wirtschaftsminister selbst kam, offen und klar, nicht versteckt und indirekt, und darauf unterstützende Worte von einem anderen Kabinettsmitglied, Erziehungsminister Benoît Hamin folgten, war eine politische Reaktion des Premierministers gegen die "Rebellen" zu erwarten.

Dass er dann in Absprache mit François Hollande gleich die Regierung auflöste, wird als kühner Schritt bewertet. Denn damit steht die Mehrheit für die Regierung im Parlament auf der Kippe stehe. Wie groß die Fraktion der Rebellen bei den französischen Sozialdemokraten tatsächlich ist, darüber gibt es keine genauen Aussagen, aber es ist, nach Einschätzungen von Medien, eine beachtenswerte Größe.

Dünne Vertrauensbasis

Dazu kommt, dass die Grünen schon vor einiger Zeit aus der Regierung ausgetreten sind - wegen der Wirtschaftspolitik. Die Unterstützung von Abgeordneten der konservativen UMP bei wirtschaftspolitischen Entscheidungen das Regierungslagers ist nicht garantiert. So waren heute mehrere Stimmen zu lesen, die eine Auflösung des Parlaments als nächsten Schritt voraussehen, weil das Vertrauen des Parlaments in die Regierung nicht mehr gegeben sei.

Arnaud Montebourg, 2012. Bild: Jackolan1/CC BY-SA 3.0

Wie es mit dem Vertrauen innerhalb der Regierungsmannschaft aussieht, prüft Manuel Valls heute. Er hat jeden einzelnen seiner Minister zu einem Gespräch gebeten. Für Dienstag ist dann die Entscheidung darüber angekündigt, wie das künftige Kabinett aussehen wird. Erster "Wackelkandidat" ist natürlich der Wirtschaftsminister Montebourg, dessen "Sympathisant" Hamin, die Justizministerin Taubira und Kulturministerin Filipetti. Mit beiden Frauen hatte Valls Konflikte über deren Programme ausgetragen.

Valls, dessen Popularitätswerte in den letzten Wochen deutlich gesunken sind, ist - wie auch Montebourg - im Kandidatenspiel für die nächste Präsidentschaft; er muss also in einer bislang unglücklich arbeitenden Regierung gute Figur machen, auch das wird er bei seinen Personalentscheidungen berücksichtigen.

Was die Wirtschaftspolitik angeht, so hatte Valls schon letztes Wochenende den Kritikern klargemacht, dass an dem Kurs nichts geändert werde und damit einen wütenden Aufschrei verursacht, die Medien, Berichte, Kommentare und Foren waren angefüllt Kritik an der "sturköpfigen Haltung" der Regierung (Frankreich: Weit entfernt vom Aufschwung). Seither wurde in den Medien nachgelegt.

"Deutschland ist in die Falle der Austeritätspolitik geraten, die es ganz Europa aufdrückt"

Besonders in Le Monde erschienen ab Wochenmitte hin mehrere Artikel, die sich kritisch mit dem deutschen Modell befassten, das in der französischen Öffentlichkeit als Vorgabe der französischen aufgefasst wird, einerseits als erzwungene Vorgabe durch die dominante wirtschaftliche Rolle Deutschlands in der EU, zum anderen als von der Regierung übernommene Orientierung.

So äußerte sich ein Wirtschaftsprofessor über das baldige Ende des deutschen Modells ("L'Explosion du modèle allemand" (Stichwort: Demografie und Exportabhängigkeit), ein anderer Ökonom machte Deutschland zum Vorwurf, dass es eine auschließlich auf den eigenen Vorteil bedachte Wirtschaftspolitik verfolgt und sich weigert, als Lokomotive für Europa zu fungieren.

Dazu kamen dann Äußerungen von internationalen Ökonomen, wie Christopher Sims und Thomas Sargent, die die Auffassung vertreten, dass Deutschland die Krise in der Euro-Zone mit seiner Politik noch vertieft.

Den Höhepunkt dieses Reigens bildete dann das Interview mit Arnaud Montebourg, der von einer falschen, dogmatischen Sparpolitik spricht, die sich nur periphär um das Wesentliche, die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, kümmere und durch die Austeritätspolitik Wähler in die Arme der radikalen rechten Parteien treibe. In diesem Zusammenhang äußerte Montebourg - dem ebenfalls Ambitionen auf das Präsidentamt nachgesagt werden - scharfe Kritik an dem EU-Partner Deutschland:

Man muss die Stimme erheben. Deutschland ist in die Falle der Austeritätspolitik geraten, die es ganz Europa aufdrückt. Wenn ich von Deutschland spreche, dann meine ich die deutschen Rechten, die Angela Merkel unterstützen. Frankreich hat nicht die Aufgabe, sich nach den ideologischen Axiomen der deutschen Rechten auszurichten.

Die lobende Erwähnung von Sigmar Gabriel, der die selbe Richtung vertrete, ist ein weiterer Hinweis dafür, um klar zu machen, dass es Montebourg darum ging, dezidiert das linke Lager seiner Partei anzusprechen. Insofern sind die Äußerungen, die wirtschaftspolitisch auch Nobelpreisträger als Kritiker der Austeritätspolitik als Rückendeckung (vgl. Nobelpreisträger rechnen mit Merkel ab) reklamieren, tatsächlich auch als Lagerkampf und Machtprobe zu verstehen. Wirtschaftspolitische Vorschläge, die über die bekannte Rethorik mit Reizwörtern wie Austerität, Sparzwänge, Deflationsgefahr hinausgehen, sind von Montebourg in dem Interview nicht zu hören.

Jetzt ist Valls am Zug im Schlagabtausch; die Kabinettsumbildung wird ihm etwas Luft verschaffen. Gespannt wartet die Öffentlichkeit aber auf seine Vorschläge zur Steuersenkung von minderen Einkommen. Die Haushalte in Frankreich klagen über große Belastungen, wie Valls es schafft, Steuersenkungen im Sparbudget unterzubringen, ist noch nicht klar. Der Weg der Steuererhöhungen, um den Staatshaushalt auf eine bessere Basis zu stellen, will die Regierung in Frankreich, wie andernorts auch, nicht gehen. Von der Reichensteuer war schon lange nichts mehr zu hören.