Nicht berühren, nicht einatmen, nicht kosten!

Mediales Milzbrandfieber und andere Kriegskommunikationen

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"When I said no negotiations, I meant no negotiations," teilt Präsident Bush Anfang Oktober über die westlichen Medien den Taliban mit. So sprechen Väter, die ihr Machtwort Kindern gegenüber nicht zur Disposition stellen. Reden ist gut, aber Bomben ist besser, wenn keine gemeinsame Sprache mehr zu finden ist. Nicht länger spricht wie im Kalten Krieg die Bombe: "Der Friede bin ich". Inzwischen folgen die neuen alten Krieger wieder der vordergründigen Regel des Festungsbauingenieurs Sébastien le Prestre de Vauban aus dem 17.Jahrhundert, zumindest wenn es ums armselig gerüstete Feinde geht: "Es gibt keine gerechteren Richter als die Kanonen, sie gehen direkt aufs Ziel zu und sind nicht korrumpierbar". Aber die Kollateralschäden korrumpieren längst den Glauben an die Gerechtigkeit der Waffen wie an die Verbindlichkeit ihrer explosiven Rhetorik.

Der herrschaftsgeladene Diskurs mit dem Terrorismus wählt indes nicht nur die internationale Sprache der Gewalt. Bushs Kommunikationsstil des strafenden Vaters folgt dem "double bind", der Ambivalenz von militärischen Schlägen, gnädiger Brotverteilung und Marshallplan post bellum. Wie widersinnig die verstörenden Doppelbotschaften humaner Kriegführung sind, demonstriert, dass die Taliban sich selbst angeblich inzwischen mit den amerikanischen Brotrationen verproviantieren, die der Bevölkerung zugedacht sind, sie also aus derselben Hand die guten Gaben nehmen, die sie zugleich schlägt.

Die patriarchalische Kommunikationsverweigerung widerspricht vordergründig den im Westen als Teil einer öffentlichen Kultur hoch gehaltenen Werten des Dialogs, der interkulturellen Verständigung, des Pluralismus, der Toleranz gegenüber Andersgläubigen, der Ökumene zwischen den Religionen. Ist dieses kommunikative Arsenal des Westens je viel mehr gewesen als eine selbst gefällige Feiertagsreflektion gegenüber Andersdenkenden, die vermeintlich nur deshalb anders denken, weil sie noch nicht reif scheinen, die Überlegenheit des Westens zu begreifen?

Was Berlusconi töricht genug als die Überlegenheit der christlichen gegenüber der islamischen Kultur wertete (Berlusconi will die Völker "okzidentalisieren und erobern"), ist untergründig bis unbewusst zuletzt vielen Toleranzmahnern nur zu vertraut, die ihre Diskursergebnisse mit dem Islam längst antizipiert haben. Der Philosoph Slavoj Zizek meint:

"Was hinter unserer westlichen Toleranz steckt, ist in Wahrheit eine tiefe Intoleranz. Wo bleibt da unsere Toleranz? In ihren Genuss kommen nur die, die genau so tolerant sind wie wir.... Die Toleranz wird zum Abwehrmechanismus, der davor schützt, sich mit dem Anderen auseinander zu setzen."

Dieses Eingeständnis konnte sich der Westen bisher versagen, weil die Grenzen der eigenen Toleranz und Verständigungsbereitschaft in den üblichen multikulturellen Beschwichtigungen nur bedingt provoziert wurden. Nun haben die Terroristen dieses westlich liberale bis unverbindliche Prinzip "Leben und Leben lassen" aufgekündigt. Das Konzept der Multikultur, die jeder Wahrheit ihren ideologischen Schrebergarten mit der Maßgabe zuweist, nicht allzu heftig über den Zaun zu spucken, ist zerbrechlich konstruktiert.

Während die Auseinandersetzung mit dem Islamismus innenpolitisch mit erleichterten Ausweisungsmöglichkeiten beantwortet wird, rüstet Friedenspreisträger Jürgen Habermas ab und ruft zum Dialog auf:

"Der Krieg gegen den Terrorismus ist kein Krieg, und im Terrorismus äußert sich auch – ich sage: auch – der verhängnisvoll sprachlose Zusammenstoß von Welten, die jenseits der stummen Gewalt der Terroristen wider Raketen eine gemeinsame Sprache entwickeln müssen."

Den romantischen bis kontrafaktischen Befund, die Bomben auf Kabul, Kandahar, Jalalabad nicht als Krieg zu begreifen, mag man als notwendige bis gutmeinende Deeskalation begreifen. Aber wieso sollte jenseits der Raketen eine gemeinsame Sprache überhaupt möglich sein, wenn man mit den Fundamentalisten zwischen dem Dar al-Islam (Haus des Islam, d.h. des Friedens) und Dar al-Harb (Haus des Kriegs außerhalb der islamischen Welt) rigide unterscheidet? Der Westen akzeptiert den Kampf der Kulturen, der Religionen nicht, weil das Schreckgespenst einer islamischen Erhebung den bisher erlebten Terror vielfach überbieten würde. Aber allein indem der Religionskrieg ständig dementiert wird, erringt der Westen längst nicht die Definitionskompetenz über den Djihad, den andere erklärtermaßen führen und den das Bündnis wider Willen zu führen gezwungen ist.

Die jetzt eingesetzten klassischen Propagandaformeln sind besonders geeignet, den islamischen Hass auf eine westliche Kultur, die auf ihre technologische Überlegenheit pocht, im "Neo-Djihad" (Bassam Tibi) zu provozieren. Die Amerikaner werfen Flugblätter ab, die den Taliban mitteilen, dass gegen das US-Militär jeder Kampf sinnlos ist, weil die Bomben so akkurat seien wie die Truppen auf jeden Einsatz wohl präpariert (On Air: US-Propaganda für Afghanistan).

"Und was benutzt ihr? Überflüssige und ineffektive Waffen. Unsere Helikopter werden Feuer auf eure Lager nieder regnen lassen, bevor ihr sie auf dem Radar entdeckt habt. ... Die Soldaten der Vereinigten Staaten feuern mit überlegener Treffsicherheit und überlegenen Waffen."

Aber in diesem himmelsfeuerspeienden Krieg sind die technologischen Selbstberuhigungen nicht das letzte Entscheidungsverfahren.

Während gegenwärtig die transnationale Sprache der Gewalt gewählt wird, hat Usama bin Ladin CNN und dessen arabischen Bruder im Geiste al-Jazeera ein "Interview" angeboten, dessen Fragen er per Video beantworten will. Die CNN-Fragen liegen auf der Hand: Wie können die Terroristen die Attentate des 11.September preisen, bei denen Tausende unschuldiger Menschen ums Leben gekommen sind. Welche Beteiligung haben die Terroristen an diesen Anschlägen. Wurden die Attentäter von al-Quaida unterstützt oder trainiert? Werden die Terroristen von Staaten unterstützt?

CNN verweist die Terroristen auf den Umstand, dass die große Mehrheit der muslimischen und arabischen Führer, auch Geistliche und Yassir Arafat, keine Rechtfertigung im Islam für die Terrorakte und den selbst erklärten Heiligen Krieg erkennen können. Was antworten die Terroristen wohl auf diese rhetorische Frage, wenn für Fundamentalisten ohnehin der Djihad nur in seiner religiösen Selbstermächtigung als heiliger Krieg zu begreifen ist? Wenn Rumsfeld dem Terrorismus bescheinigt, weder Teil der Religion noch der Kultur zu sein, ist das nicht mehr als die umgekehrte Sprachlosigkeit vor einem Phänomen, das wegseziert werden soll, ohne zuvor die Diagnose zu stellen.

In Mediengesellschaften werden Kriege bekanntlich nicht mehr allein auf Schlachtfeldern entschieden. Die Kommunikationen zwischen den Beteiligten werden selbst zu komplexen Waffen, ohne dass eine Seite entscheiden könnte, sich dem zu entziehen. Der Terrorfundamentalismus kommuniziert nicht nur mit seinen Brüdern, die nicht schwach in ihrem Glauben werden, sondern sich dem Djihad anschließen sollen. Usama bin Ladin redet indirekt permanent mit der westlichen Öffentlichkeit, wenn er etwa den Muslimen rät, sich nicht in Hochhäusern oder Flugzeugen aufzuhalten. Auch die Anthrax-Briefe in die westliche Welt sind, sofern sie nicht von rechten Extremisten im eigenen Land stammen, keine ideologischen Sendschreiben an die Diaspora, sondern im wahrsten Sinne des Wortes "subkutane" Feldpost, die eben hysterische Epidemien (Elaine Showalter), Paranoia und Tod kommunizieren.

Welche Rolle spielt al-Quaida bei diesen Anthrax-Briefen, will CNN Ibn Ladin wissen. Die Frage ist so legitim wie die, welche Rolle die Medien spielen, die Erreger im psychologischen Flächenbrand unendlich zu vermehren. Ob nun Anthrax oder Backpulver versendet werden, ob veritable Terroristen oder Trittbrettfahrer den Tod frankieren, ist für eine panikgefährdete Medienöffentlichkeit unerheblich, die den Terror schon selbst besorgt. Der Präsident Reinhard Kurth vom Berliner Robert-Koch-Institut rät zu erhöhter Aufmerksamkeit gegenüber verdächtigen Pulversendungen: "Nicht berühren, nicht einatmen, nicht kosten." Und das klingt wie eine allgemeinverbindliche Gebrauchsanweisung für die Bekämpfung der medial verordneten Paranoia selbst.

In den Medien wird der Terrorismus so tief inhaliert, dass inzwischen auch Nichtinfizierte schon ein Jucken bei der bloßen Vorstellung verspüren und Ärzte ernsthaft vor den psychoneurotischen Folgen des medialen Milzbrandfiebers warnen. Die Absicht des Terrorismus ist es nach Rumsfeld, Menschen zu terrorisieren, um ihr Verhalten zu ändern. Dieses Kriegsziel hat der Terrorismus in Kollaboration mit den privilegierten Sicherheitsansprüchen des Westens längst errungen.

Die nationale US-Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice appellierte an alle amerikanischen Fernsehanstalten, keine Videos der Terrororganisation al-Qaida mehr zu senden, um nur ja keine Geheimbotschaften an Schläfer und Erwachende zu übermitteln. Ein verstohlenes Bartzupfen des Terrorscheichs und drei Tage später fällt das Empire State Building in Schutt und Asche? Dabei könnten die unverschlüsselten Botschaften mindestens ebenso gefährlich sein. CNN-Chef Walter Isaacson: "Sollte Ibn Ladin jedoch nur versuchen, Propaganda zu streuen, gibt es keinen Anlass, das Video zu senden."

"Newsworthy" sind Ibn Ladins Äußerungen aber schon deshalb, weil die politisch-militärische Exkommunikation der Medien ein Ausmaß erreicht hat, dass jede authentische Regung der Parteien, so propagandistisch sie auch sein möge, gierig aufgesogen wird. Die westlichen Öffentlichkeiten benötigen Informationen als Betriebsmittel ihres politisch-kulturellen Selbstverständnisses. Darin sind sich die Terroristen mit Bush, Rumsfeld, Fleischer und den anderen spin-doctors einig, die vornehmlich unverbindliche soft-news streuen und so riskieren, dass al-Quaida den Kommunikationskrieg gewinnt (US-Verteidigungsministerium kauft Satellitenbilder von Afghanistan).

Der Westen ist längst kommunikativ zu komplex strukturiert, als dass er sich zu einer autistischen Kriegsgesellschaft umrüsten lässt, wie nicht nur die Bruchlinien zwischen Kanzler Schröders amerikanischem Treuschwur und dem kippenden grünen Juniorpartner belegen. Je länger der Krieg dauert, je mehr gestörte Kommunikationen und die nun bereits eintreffenden "body-bags" seine Legitimationsbasis angreifen, desto schwieriger wird er für das mit dem Notnagel zurecht gezimmerte Bündnis zu führen sein.