Nicht jeder liebt Free Jazz und die Simpsons!

Zwei "Kursbücher" geben Auskunft über neues Arbeiten und Wirtschaften

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Die beiden beim DVA-Verlag erschienenen Reader "Neue Wirtschaft. Das Kursbuch für die New Economy" und "Kursbuch Arbeit. Ausstieg aus der Jobholder-Gesellschaft - Start in eine neue Tätigkeitskultur" verhalten sich zueinander wie (affirmative) Rede und (kritische) Gegenrede. Während das von Wolf Lotter und Christiane Sommer herausgegebene New Economy-Buch ein handlungs- und erfolgsorientierter "Business-Guide für die Neue Wirtschaft" sein will, versteht sich das von Jan Engelmann und Michael Wiedemeyer kompilierte "Kursbuch Arbeit" als "Hinterfragung" der "neuen Tätigkeitskultur".

Es macht Spaß und Sinn, die beiden gerade erschienenen Werke parallel zu lesen und in einen virtuellen Disput treten zu lassen. Die angesprochene Kluft hängt dabei vor allem mit dem schreibenden Personal zusammen. Im Gegensatz zum "Kursbuch Arbeit", wo internationale Kulturwissenschaftler, Soziologen und Philosophen die veränderte "Existenzweise von Arbeit als solcher" kritisch analysieren, zeichnen in Lotters und Sommers "Neue Wirtschaft"-Buch bekannte und weniger bekannte Meinungsführer der Neuen Ökonomie ein optimistisches bis euphorisches Bild der Verhältnisse. Das Vorwort stammt von Brand Eins -Herausgeberin Gabriele Fischer, das Schlusswort von ihrem Kollegen Peter Lau. Dazwischen finden sich neben vielen suggestiven Schaubildern allerlei informative Überblicke zu Themen wie das "Das Web - die Dampfmaschine der New Economy", "Mythos Silicon Valley" oder "Das Leben nach dem Börsengang".

Fakten, Fakten, Fakten und immer an den IPO denken! Entsprechend schematisch fallen die meisten Texte aus - eher etwas für Leute, die die "New Economy" nur vom Hörensagen kennen. Das ist nicht weiter schlimm und unter didaktischen Gesichtspunkten gerechtfertigt; auf jeden Fall hilfreich ist das umfangreiche "New Economy-Glossar" im Anhang. Dennoch wäre etwas mehr Analyse wünschenswert gewesen. So geht Christian Nolteriekes gerade mal fünf Seiten langer Vergleich von alter und neuer Wirtschaft nicht über folgende zynische Erkenntnis hinaus:

"Aus der Marktbereinigung bei den Start-Ups ergibt sich jetzt auch die Chance, einen relativ günstigen Zugang zu jungen, innovativen Teams und erprobten E-Commerce-Lösungen zu erhalten."

Nicht nur hier wird das Internet mit lukrativem "E-Commerce" mehr oder weniger in eins gesetzt, so dass alternative Ökonomien des Immateriellen unter den Tisch fallen. Ein Hyper-Ökonomismus, der auf der Länge von gut 300 Seiten irgendwann nervt...

Ganz anders das ausgezeichnete "Kursbuch Arbeit". Hier behandeln internationale Theoretiker und auch einige Praktiker die gleichen Phänomene auf weitaus subtilere Weise. Zwar stimmen sie mit den Autoren von "Neue Wirtschaft" überein, dass unter den Bedingungen von Internet und virtuellem Unternehmertum Ideen, Wissen und Information die entscheidenden Ressourcen seien - doch problematisieren sie zugleich präzise die damit angeblich gewonnenen Möglichkeiten der Selbstbestimmung: Der renommierte Soziologe Richard Sennett beschreibt prägnant, "wie Arbeit die soziale Zugehörigkeit zerstört", der Kulturtheoretiker Hartmut Böhme analysiert das moderne Büro als Sphäre strikt regulierter Input/Output-Verhältnisse und Stefan Bollmann leitet die Informationsökonomie aus Frederick Taylors klassischer "Ablaufanalyse" der Arbeit her.

Während die, im übrigen ausschließlich deutschen, Autoren von "Neue Wirtschaft" so tun, als träten wir gerade in eine Phase der ultimativen Demokratie ein, weisen die Analytiker des "Kursbuch Arbeit" auf neue und alte Abhängigkeiten hin. Wenn etwa der Kunsttheoretiker und frühere Spex-Herausgeber Tom Holert "das Schauspiel der Neuen Ökonomie" anhand der Innenarchitektur von Werbeagenturen beschreibt und dabei räumlich inszenierte Macht-Dispositive aufdeckt, dann widerspricht er dem auch in "Neue Wirtschaft" herbei geredeten Klischee von den verschwundenen Hierarchien. Weil im "Kursbuch Arbeit" abstrakte Erkenntnisse meist aus einer Lagebeschreibung des wirtschaftenden Individuums hergeleitet werden, zeigt sich, wie nun ehemals betriebliche Machtordnungen die Seele des Einzelnen organisieren und zur tendenziell selbstbezüglichen Monade machen. Jeder ist ein "Unternehmer in eigener Sache" heißt es im "Kursbuch für die New Economy" begeistert - Richard Sennett erkennt in dieser Zwangssubjektivität jedoch vor allem eine Gefahr für das soziale Zusammenleben.

Doch werden im "Kursbuch Arbeit" den Fürrednern der Faktizität nicht nur theoretische Schlussfolgerungen entgegengehalten; wie der Reader überhaupt keineswegs ein trockener Theorie-Schmöcker ist, weil er immer wieder auf konkrete und nachvollziehbare Erfahrungen rekurriert. So präsentiert der Philosoph André Gorz im Interview handfeste Daten, vermittelt diese elegant mit analytischer Schärfe und mahnt: "Das Jobwunder enthält einen großen Schwindel". The Great New Economy Swindle? Im Kern, das deuten Engelmann und Wiedemeyer schon in ihrem Vorwort an, findet derzeit eine einzigartige Blockierung von Erfahrung statt. Weil der Mensch sich ultimativ als Unternehmer definiert, betrügt er sich um andere, non-profitable Formen des Tätigseins. "Der aktuelle konjunkturelle Aufschwung scheint mit einem Abschwung der Bereitschaft, Lebenssphären jenseits der Erwerbsarbeit aufzuwerten, einherzugehen", so Engelmann/Wiedemeyer.

Wohl wahr: Der Arbeitsplatz wird zunehmend zum exklusiven Ort der Selbstverwirklichung, weil dort "während der Dienstzeit Free Jazz gehört wird, um 18 Uhr alle gemeinsam die Simpsons im Fernsehen gucken und ab 20 Uhr der Pizzadienst den Hunger stillt." (Silke Gronwald von der "Telebörse" in ihrem Beitrag in "Neue Wirtschaft"). Es soll jedoch immer noch Menschen geben, für die diese "Wohlfühl-Ökonomie" (Engelmann/Wiedemeyer) der Vorhölle gleichkommt - für sie ist aber laut Gronwald "kein Platz"! Das gilt dann wohl auch für den Neo-Marxisten Norbert Trenkle, der im "Kursbuch Arbeit" die irrationale "Affenliebe zur Arbeit" anprangert.

Doch keine Sorge: Das "Kursbuch Arbeit" ist kein moralistisches Poesiealbum. Dass man den veränderten ökonomischen Bedingungen etwa mit marxistischen Konzepten beikommen könnte, widerlegen die Berichte der "Computer-Therapeutin" Nikki Stange auf zugleich amüsante und erschütternde Weise:

"Die Leute, die hier anrufen, schreien, weinen, haben eine ganz hohe Stimme. In so einer Situation denken viele: 'Das überlebe ich nicht",

so die Mitarbeiterin der kalifornischen Datenrettungsfirma DriveSavers.

Was sagt uns das? Wohl, dass der "Wissensarbeiter" von den Maschinen keinesfalls "verdinglicht" wird, wie es Marxisten behaupten würden. Vielmehr ist es seine Seele, die zu den digitalen Daten und Apparaten eine geradezu "emotionale" Beziehung unterhält. Pathetische Forderungen nach einer Befreiung vom technologischen Joch helfen angesichts solcher Begehrensstrukturen kaum weiter. Vielversprechender dürfte ein Dialog zwischen den in diesen beiden "Kursbüchern" repräsentierten Positionen sein. Denn dass auch die Apologeten der New Economy ein offenes Ohr für kritische Fragen haben, beweist das Interview mit Gabriele Fischer im "Kursbuch Arbeit". Weitere solcher Vermittlungsversuche und es nährt sich die Hoffnung auf einen gesellschaftlichen Dialog, der mehr sein könnte als ein bloßes 'Pro versus Kontra'!