Nicht verhandelbar

Die Energie- und Klimawochenschau: Arktis zu warm, Ostdeutschland zu kalt und reiche Länder zu geizig

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Während in Berlin die S-Bahn sich mal wieder vollkommen unvorbereitet auf den Winter zeigt und die Wut der Fahrgäste am Kochen ist, melden sich die ersten Spaßvögel, die meinen, mit dem Klimawandel kann es ja nicht weit her sein, wenn das Thermometer unter Null Grad sinkt.

Dabei könnte man die gegenwärtige Kälte, die vor allem Ostdeutschland im Griff hat -- wenn man denn wollte -- auch als Indiz -- nicht als Beleg -- für die Veränderungen im Klimasystem nehmen. Immerhin sind die Temperaturen für Anfang Dezember extrem ungewöhnlich. Doch genau das passt eigentlich zu den Merkmalen eines im globalen Mittel wärmeren Klimas. Seit langem ist nämlich klar, dass mit der globalen Mitteltemperatur auch die Zahl der Extreme zunehmen wird. Das Wetter wird unzuverlässiger, seine Ausschläge in die eine oder andere Richtung stärker. Insbesondere für die Landwirtschaft kann das zu einem erheblichen Problem werden, weil sie sich weniger auf Niederschläge und einen halbwegs geregelten Ablauf der Temperaturen verlassen kann.

Die Hudson Bay in Kanada sollte zu dieser Jahreszeit längst vollständig bedeckt sein, eben so die Behringstraße. Auch östlich von Skandinavien auf der Barentsee ist die Eisbildung etwas hinter der Zeit zurück. Bild: Uni-Bremen

Unterdessen zeigt ein Blick auf das arktische Meereis, dass es trotz der hiesigen Kälte in weiten Teilen der Arktis auch Anfang Dezember zu warm gewesen sein muss. Derzeit liegt die Eisbedeckung rund eine Million Quadratkilometer unter dem Durchschnitt der Jahre 1978 bis 2008 für Anfang Dezember. Wie die obige Abbildung, die aus Satellitendaten vom 6.12. zusammengesetzt ist, zeigt, sind vor allem die Hudson Bay, die Gewässer zwischen Kanada und Grönland und die Barentsee östlich von Skandinavien noch ziemlich eisfrei.

Der Grund: Das Wasser hat sich offensichtlich im Sommer stärker als sonst aufgewärmt. Weil das Eis sich in der warmen Jahreszeit immer weiter zurückzieht, hat die Sonne während des langen Polartags mehr Gelegenheit, das Wasser aufzuheizen. Im Spätherbst dauert es dann wie derzeit länger, bis das Meer genug Wärme an Atmosphäre und Weltraum abgegeben hat, um gefrieren zu können.

Ein Blick auf die Temperaturzeitreihen aus der kanadischen Arktis zeigt, dass die Lufttemperatur zwar auch deutlich unter Null Grad Celsius liegt, es aber für die Jahreszeit immer noch deutlich zu warm ist. Überhaupt zeigen die Daten aus der kanadischen Arktis, dass es dort in diesem Jahr mit wenigen Ausnahmen meist deutlich zu warm war. An der Resolute Bay (siehe Abbildung), eine Station an der Nord-West-Passage, lag die Jahresmitteltemperatur (Dezember 2009 bis November 2010) immerhin vier Grad über dem langjährigen Mittelwert. Auch das passt übrigens ganz gut zu den Erwartungen der Klimawissenschaftler. Schon seit fast 20 Jahren ist bekannt, dass die globalen Veränderungen sich in der Arktis besonders drastisch auswirken werden, unter anderem indem sie sich weit überdurchschnittlich erwärmt.

Obere Grafik:
Tagesmitteltemperatur, positive Abweichungen vom langjährigen Mittel rot, negative blau.

Mittlere Grafik:
Nur die Abweichungen vom langjährigen Mittelwert.

Untere Grafik:
Tageshöchst- (rot) und Tagestiefsttempertaur (blau). Bild: NOAA

Entwicklungsländer sollen mit Krediten abgespeist werden

Wenig beeindruckt von all dem zeigen sich derweil die Diplomaten der Industriestaaten auf der noch bis zum Ende der Woche im mexikanischen Cancún tagenden UN-Klimakonferenz. Auch wenn Chinas Verhandlungsführer Xie Zhenhua viel von einem möglichen Kompromiss spricht, zeichnet sich bisher keine Einigung bei den zentralen Themen Reduktionsverpflichtung und Finanzierung eines Fonds für Anpassungsmaßnahmen ab. Die Industriestaaten haben zwar unverbindliche Zusagen gemacht, aber es sieht ganz danach aus, als wollten sie die Entwicklungsländer mit Krediten abspeisen.

Das geht unter anderem aus Gesprächsprotokollen hervor, die durch Wikileaks veröffentlicht wurden und auf der Seite der britischen Zeitung Guardian einsehbar sind. Geschrieben wurden sie nach einem Treffen zwischen dem stellvertretenden Sondergesandte nder US-Regierung für Fragen des Klimawandels Jonathan Pershing mit der EU-Klimaschutzkommissarin Connie Hedegaard. Diese meinte, dass einige EU-Staaten darauf drängen, einen Teil der zugesagten 30 Milliarden US-Dollar in Form von Krediten und Bürgschaften zu vergeben.

Die US-Regierung scheint nicht abgeneigt zu sein und auch die Bundesregierung hatte schon im Vorfeld der Kopenhagen-Konferenz im letzten Jahr, auf der die Zusage erfolgte, in einer Bundestagsdebatte deutlich gemacht, dass sie im Wesentlichen einfach Entwicklungshilfegelder umdeklarieren will. Sabine Wils, die für die Linkspartei im EU-Parlament sitzt, bezeichnet das in einer Presserklärung als beschämend: "Eigentlich unvorstellbar: Ich brenne dein Haus ab und gebe dir einen Kredit für den Wiederaufbau."

Aus den Protokollen wird auch ersichtlich, dass sowohl die USA als auch die EU darauf drängen, den von vielen Entwicklungsländern als vollkommen unzureichend abgelehnten Kopenhagen-Accord in den offiziellen Verhandlungsprozess einzuführen, wo er nach ihren Vorstellungen praktisch das 2012 auslaufende Kyoto-Protokoll ersetzen soll. Pershing dazu in den veröffentlichten Gesprächsnotizen gegenüber der EU-Kommissarin: "Es gibt keinen Plan B für Verhandlungen über ein anderes Abkommen [als den Kopenhagen-Accord]."

Entwicklungsländer will man mit finanziellen Druckmitteln auf diese Position ziehen. Bereits im Frühjahr hatte die US-Regierung Bolivien Entwicklungshilfegelder mit dem Verweis auf dessen Opposition gegen den Kopenhagen-Accord gestrichen. Hedegaard machte laut der Gesprächsnotizen Pershing darauf aufmerksam, dass die Allianz kleiner Inselstaaten AOSIS angesichts ihre Bedarfs an finanzieller Unterstützung "ein treuer Verbündeter" sein könne. Letzteres wäre im Verhandlungspoker natürlich besonders wertvoll, denn die Inselstaaten werden zu den ersten Opfern des Klimawandels gehören und sind daher seit langem besonders engagierte Vorkämpfer für ein wirksames internationales Klimaschutzabkommen.

AOSIS-Mitgliedsländer. Bild: AOSIS

USA und EU gegen BASIC-Länder

Der Guardian beschreibt detailliert mit Verweisen auf weitere durchgesickerte Dokumente, wie die EU und die USA im Januar 2010 mit oft nicht sehr feinen Methoden darum gerungen haben, 120 bis 150 Staaten als Unterstützer des Kopenhagen-Accords zu gewinnen. Das Ziel wurde im Februar erreicht.

Nur genutzt hat es nicht sehr viel, denn auch China und Indien unterstützen zwar das unverbindliche Dokument formal, wehren sich jedoch weiter vehement dagegen, es zur Grundlage der Verhandlungen zu machen. Für Cancún haben sie sich mit Brasilien und Südafrika eng abgesprochen und gehen gemeinsam vor. Aus den durchgesickerten US-Dokumenten wird deutlich, dass Washington und Brüssel diesen neuen Block - die sogenannten BASIC-Länder (China, Indien, Brasilien und Südafrika) - als eigentlichen Gegner in den Klimaverhandlungen betrachten.

Nach einem Bericht der chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua haben sich die vier Staaten auf drei Punkte geeinigt, die für sie nicht verhandelbar sind:

  1. Das Kyoto-Protokoll, das nach bisherigem Stand 2012 ausläuft, muss für eine neue Periode verlängert werden.
  2. Ein Apassungsfonds für Soforthilfen wird eingerichtet.
  3. Das bereits 1993 versprochene Abkommen für Technologietransfer wird ausgehandelt.

Unterstützung für diese Positionen gab es von Venezuela, Bolivien und Ekuador während Kanada, Japan und Russland sich rundweg weigern, das Kyoto-Protokoll zu verlängern. Die USA haben Kyoto nicht ratifiziert und denken auch nicht daran, dies wie Australien vor drei Jahren nachzuholen.

Zu den vielen strittigen Themen gehört übrigens auch, wie der Anpassungsfonds verwaltet wird. Washington und Brüssel beharren darauf, dass er von der Weltbank verwaltet wird. Das hätte für sie unter anderem den Vorteil, dass sie in vielen Fragen das letzte Wort behielten, denn die Organisationen der Weltbank stehen immer noch unter ihrer Kontrolle. Daher wird Bangladesch zum Beispiel geradezu bedrängt, Hilfe aus dem Climate Investment Fonds der Weltbank anzunehmen, um einen Präzedenzfall zu schaffen.

Der Haken an diesen Geldern: Um sie zu bekommen, müssen Weltbankprogramme installiert werden, die unter anderem die Privatisierung öffentlicher Unternehmen vorsehen. Doch mit entsprechenden Vorgaben der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds haben sich seit den 1980er Jahren in vielen Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas die Lebensbedingungen großer Teile der Bevölkerung zum Teil extrem verschlechtert. In vielen Entwicklungsländern sind die beiden Institutionen daher verhasst. Nur dort, wo es gelang, sich vom Einfluss ihrer neoliberalen Programme zu befreien, ging es im letzten Jahrzehnt bergauf.