Nicht von dieser Welt

Jump 'n' Run im All '07

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Die Königsdisziplin der Videospiele feiert ein glänzendes Comeback: Zwei Jump `n´ Runs zeigen dem erwachsen gewordenen Medium, dass klassische Helden mit Sprunggeschick beste Unterhaltung bieten können. „Super Mario Galaxy“ und „Ratchet & Clank: Tools of Destruction“ repräsentieren die in den USA als Plattformer bekannte Game-Gattung auf unterschiedliche Weise.

2007 ist dank der reifer gewordenen Next Gen-Konsolen Xbox 360, PlayStation 3 und Nintendo Wii zum Kometenjahrgang für Game-Gourmets geraten. Inmitten einer Vielzahl hochwertiger Video- und Computerspiele ragen die zwei Jump `n´ Runs „Super Mario Galaxy“ für Nintendo Wii und „Ratchet & Clank: Tools of Destruction“ für PlayStation 3 auffällig raus. Typische Elemente werden in einen außergewöhnlichen Rahmen gestellt: Nintendo setzt auf spleeniges Leveldesign, Sony auf grafischen Bombast und beide Spiele haben ihren ganz eigenen Gameplay-Charme.

Die Macher von „Super Mario Galaxy“ – das Eliteteam um Mario-Erfinder Shigeru Miyamoto – hat den Vorsprung desjenigen, der zuerst da gewesen ist. Aus knapp 25 Jahren Erfahrung mit dem Titelhelden brauten sie einen reichhaltigen Punsch, der die stärksten Merkmale aus den besten Zeiten sammelt, aufmotzt und hochgradig potenziert. In seiner Big Budget-Paraderolle als Super Mario erscheint der ewige Klempner nur knapp alle fünf Jahre - und alle zehn Jahre wird daraus ein kommerzieller wie wegweisender Meilenstein.

Mario-Erfinder Shigeru Miyamoto lobte das Wii-Abenteuer „Super Mario Galaxy“ im Vorfeld der Veröffentlichung als legitimen Nachfolger des 1996 zu Recht gefeierten 3D-Jump `n´ Runs „Super Mario 64“.

Wie schon erwartet ist auch „Super Mario Galaxy“ auf Nintendo Wii ein bemerkenswertes Spielerlebnis, das das Genre der Jump `n´ Runs als universales Theaterstück aufführt. Wo sein Vorgänger „Super Mario Bros.“ 1986 die Fesseln zweidimensionaler Jump `n´ Runs sprengte und den Helden aus seinem zuvor üblicherweise als Raum abgekapselten Level in die weite Welt entließ, eröffnete dessen späterer Nachfolger „Super Mario 64“ 1996 dem Jump `n´ Run erstmals die Dreidimensionalität. „Super Mario Galaxy“ geht nun noch ein Stück weiter in Richtung fiktiver Physik und treibt seine abgehobenen Spielchen mit dreidimensionalen virtuellen Welten: Im Geiste M.C. Eschers und ähnlichen Hirnverdrehern ist Super Marios neues Abenteuer 3D-mit-Sternchen und lässt ihn nicht selten kopfüber kämpfen.

Die Entwickler von “Super Mario Galaxy” schaffen das Kunststück die physikalischen Gesetze im leeren Raum glaubwürdig zu karikieren. Auf dem Bild: Klempner Mario

Die Story spielt im Weltraum. Oberkröte Bowser hat Prinzessin Peach entführt und sie samt ihrem Schloss ins All geschickt. Doch Mario naht zur Rettung: Um Peach zu finden, springt er um sein Leben, durchstöbert 40 Galaxien, Lava-, Eis-, Pflanzen-, Geister-, Wüsten-, Spielzeug- oder Wasser-Welten und lässt dabei einiges mitgehen. Vor allem auf Sterne hat er es abgesehen, davon gibt es traditionell sehr wenige, doch genug um den Spieler je nach Können zig Stunden lang zu beschäftigen. Am Ende jeder Herausforderung befindet sich einer von insgesamt 120 Powersternen als Belohnung, den Mario zurück zur Raumstation bringt. Von hier aus macht er sich erneut auf die Reise: Aus den freigeschalteten Galaxien, die in unterschiedlichen Räumen angezeigt werden, wählt er einen Stern aus und warpt per Megasprung dort hin.

Der 1981 erstmals im Arcade-Spiel „Donkey Kong“ auftauchende Mario (damals noch einfach „Jumpman“ genannt) ist der Vater aller Jump `n´ Run-Helden. Auf dem Bild aus „Super Mario Galaxy“ springt er gerade von einem Stern zum nächsten.

Die Konkurrenz macht es ähnlich. Ratchet und sein geschulterter Blechfreund Clank dürfen in „Ratchet & Clank: Tools of Destruction“ für PlayStation 3 auch zwischen den Planeten hin und her zappen. Allerdings nutzen sie ein Raumschiff, was professioneller, aber nicht ganz so crazy ist. Ihre Welten stehen auch nicht Kopf, sondern sind vom Leveldesign ähnlich wie die PlayStation 2-Vorgänger in fünf Jahren Ratchet & Clank-Geschichte aufgebaut – mehr oder weniger linear. Während Mario seit jeher nur das Ziel verfolgt die Prinzessin zu retten, sucht Ratchet nach seiner Herkunft. Der luchsartige Lombax will wissen, wer er ist, wo er herkommt und ob es noch mehr von seiner Rasse gibt. Um das herauszufinden, muss er sich kleiner und großer Feinde unterschiedlichen Kalibers erwehren. Sein Waffenarsenal, auf das er jederzeit Zugriff hat, das nach und nach aufgerüstet wird, besteht aus den verrücktesten Geräten.

In-Game-Grafik: Was die PlayStation 3 kann, zeigt „Ratchet & Clank - Tools of Destruction” auf beeindruckende Weise. Auf dem Bild: Der luchsähnliche Ratchet trägt seinen Kumpel Clank meistens auf dem Rücken mit sich. In einigen Kapiteln darf der Superroboter aber mal auch die Hauptrolle übernehmen.

Gleich zu Beginn erhält er neben seinem Standardschraubenschlüssel eine Feuerballkanone. Es folgen elektrische Peitschen, Wirbelsturmwerfer, mechanische Leibwächter, Laser und solch praktisches Gerät wie Discokugeln, die die Gegner selbstvergessen tanzen lassen oder ein Gas, das sie sich gegenseitig bekämpfen lässt. Außerdem ist das Team mit einem Propeller ausgestattet, der den Sprung verlängert. Per Einzel- bzw. Doppel-Jump hüpft Ratchet von Plattform zu Plattform. Soll es mal höher hinaus gehen, wirft er einen Gel-Blaster an und lässt Grützwürfel spucken, die wie eine Art Trampolin funktionieren, oder er tritt auf speziell markierte Felder, die ihn ganze Stockwerke hoch schießen.

Ratchets Trickkiste beinhaltet so manches abgefahrene Gerät: Hier gleitet er seinem Gegner auf Schienen entgegen.

In Marios Galaxie gehört das Springen auch zum Geschäft. Sein normaler Jump kann je nach Größe des Planeten unterschiedliche Ausmaße annehmen, ebenso sein Doppel-, Dreifach-, Seitwärts- oder Weitsprung. Der Wandsprung bringt ihn auf höher gelegene Plattformen, indem er sich von einer Wand zur gegenüber liegenden hoch arbeitet. Der Stampfattacken-Sprung macht Pilze, Asseln, Schildkröten und Tausendfüßler platt. Für Bosse wie Spinnen, Pflanzen oder Riesenroboter, die gern mal so groß wie der ganze Planet sind, greift Mario oft zu anderen Mitteln. Gelegentliche Power-Ups machen ihn größer, stärker oder schneller, helfen ihm zu fliegen, im Bienenkostüm zu schweben oder als Geist durch Wände zu gehen.

Umdenken gefordert: Die Welt von Mario steht nicht selten plötzlich Kopf.

Und weil „Super Mario Galaxy“ ein Wii-Spiel ist, dürfen Funktionen der bewegungssensitiven Steuerung nicht fehlen. Die Fernbedienung muss für den effektivsten Punch, Marios Wirbelangriff, geschüttelt werden. Parallel zum Springen und Kämpfen sammelt der Spieler stets präsente Kristalle mit dem als Stern auf dem Bildschirm sichtbaren Haupt-Controller. Bewegungssensoren kommen auch bei „Ratchet & Clank: Tools of Destruction“ zum Einsatz: Bei Flügen durchs All lenkt der Spieler das Raumschiff durch Neigen des Controllers. Und auch wenn Clank seine Flügel ausfährt, um durch die futuristische Metropole zu gleiten, wird auf diese Art gesteuert. Nicht nur spielerisch, auch optisch passiert einiges und es erinnert schon fast an die Qualität erster Pixar-Animationsfilme, was Entwickler Insomniac da geleistet hat. Ein ordentliches Quäntchen Humor in Sprüchen und Animationen sorgt für zusätzlichen Spaß.

Grafikpower wie im Kino: In Design, Detail und Animation zählt „Ratchet & Clank: Tools of Destruction“ zum schönsten was das ohnehin schon erstklassige Spielejahr 2007 zu bieten hat.

Weniger kampforientiert, dafür mehr rätsellastig ist die oberflächlich kindgerechter gestaltete Welt von Mario. Jeder Planet überzeugt mit originellen Ideen, wie sich horizontal und vertikal entgegengesetzt verschiebende Plattformen, Böden, die sich im Nichts kriechend vorwärtsmaterialisieren, bildschirmgroße Glasplaneten, in deren Innerem Mario kämpfen muss, Gravitationsfelder, die die Action an die Decke kippen, oder Galaxien, in denen der Held auf einem Rochen über Wasserstraßen reitet, sowie solche, in denen er auf einer Kugel balanciert.

Fans des Genres werden beide Spiele mögen – einerseits ihrer gesamten Atmosphäre wegen, andererseits, weil hinter jeder Ecke eine weitere Überraschung oder Steigerung des von Beginn an schon abgedrehten Gameplays wartet. Und unter sich kämpfen die mehr oder weniger direkten Konkurrenten in jedem Fall um den Titel „Spiel des Jahres“.