Nichts Neues nach den Parlamentswahlen im Libanon

Den von den USA und Israel befürchteten "Terrorstaat" unter der Führung von Hisbollah wird es nicht geben, aber die Probleme des Landes haben sich nicht verändert

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Die Regierungskoalition behält die Mehrheit. Es wird, wie bisher, mit einer „Regierung der nationalen Einheit“ weitergehen, der befürchtete "Terrorstaat" fällt aus. Die Anhänger der Regierungskoalition feierten bereits Sonntagnacht in den Straßen von Beirut, obwohl das offizielle Wahlergebnis noch nicht feststand. Wie üblich mit hupenden Autokonvois in der Innenstadt, Feuerwerk und Schusssalven aus Kalaschnikows durften natürlich auch nicht fehlen.

Allerdings gibt es kaum Anlass zu jubeln: Die Machtverhältnisse bleiben gleich und die gesellschaftlichen wie politischen Konflikte des Landes bestehen weiter.

Erst am Montag bestätigte der libanesische Innenminister, Ziad Baroud, das Wahlergebnis. Die Regierungskoalition bekommt 71 und Opposition 57 der insgesamt 128 Sitze im Parlament. Bei den Wahlen 2005 hatte es nahezu identische Sitzverteilung mit 72:56 gegeben.

Was die Anhänger der Regierung so augelassen feiern ließ, war die allseits propagierte überregionale Bedeutung der Wahlen. Im Vorfeld versäumten ihre Führer keine Gelegenheit, immer wieder von einer historischen Entscheidung zu sprechen. Allen voran Saad Hariri, der Sohn des 2005 ermordeten Milliardärs Rafik Hariri und Galionsfigur der Zukunftsbewegung. Es ginge um die Verteidigung des Libanons vor äußeren Einflüssen, um eine Weichenstellung für oder gegen Demokratie.

Hintergrund dieser Äußerungen sind die „Stellvertreterkriege, die im Libanon geführt werden und die Antagonismen im Mittleren Osten und auch weltweit reflektieren“, meint Rami Kouhri, Ex-Chefredakteur des Beiruter Daily Star und heute als politischer Analyst tätig. „Zu den Hauptlagern gehört einmal die von Hariri geführte Gruppe, verbündet mit den USA und den konservativen arabischen Ländern; zum anderen die Opposition mit Hisbollah und Michel Aouns Freie Patrioten, verbündet mit Syrien und dem Iran.“ Insofern sei es bei den Parlamentswahlen vom Sonntag nicht nur um den Libanon, sondern um den ganzen Mittleren Osten gegangen. Entsprechend sprach Saad Hariri bei seiner Rede Sonntagnacht von einem „Sieg der Freiheit und Demokratie“ und meinte damit, dass der Einfluss von Syrien und dem Iran erfolgreich abgewehrt wurde.

In Israel und den USA wird man mit dem Ausgang der Wahlen sicherlich zufrieden sein. „Wenn der Libanon von Hisbollah kontrolliert wird, die wiederum der Iran und Terror kontrolliert“, sagt Dan Shiftan, Direktor des Zentrums für Nationale Sicherheitsstudien der Universität Haifa, „ist Krieg vorprogrammiert und nur eine Frage der Zeit“. Offizielle Stellungnahmen aus Israel oder den USA gab es bisher nicht, dafür aber aus Europa. „Diese Wahl mit einer hohen Beteiligung bestätigt die Vitalität der libanesischen Demokratie“, sagte der französische Außenminister. 52% war die Wahlbeteiligung, soviel wie seit dem Bürgerkrieg (1975-1990) nicht mehr.

In der Sozialistischen Republik Syrien ist man dagegen unzufrieden. Dort hatte man sich eine Stärkung der Hisbollah erhofft. Einer, der wenigen verlässlichen Verbündeten gegen Israel, den man logistisch, finanziell und militärisch unterstützt. Die syrische Presse beklagte, dass „die wichtigsten politischen Wahlen im Libanon“ durch Wahlbetrug entschieden worden seien.

Korruption, Religion und Clan

Tatsächlich wurden Wählerstimmen gekauft. Bis zu 1000 Dollar sollen die Parteien für einen Stimmzettel angeboten haben. Abermillionen von Dollar seien aus dem Ausland ins Land geflossen, um die Wahlen zu beeinflussen. Über 15.000 Exil-Libanesen wurden eingeflogen, damit sei ihre Stimme abgeben. Angeworben mit 500 Dollar und dem Flugticket. Einige Wahlbeobachter sprachen von den korruptesten Wahlen, die der Libanon je gesehen hat. Milliardär Saad Hariri soll der größte Spender der Wahlkampfzeit gewesen sein. Bereits bei den Parlamentswahlen 2005 soll Hariri in einen entscheidenden Wahlbezirk rund drei Millionen Dollar investiert haben.

Ganz abgesehen von finanziellen Verlockungen sind die meisten Libanesen an ihre Religionsgruppe und ihren Klan gebunden. Der oberste Klanchef entscheidet, wen seine Mitglieder zu wählen haben . Wahlen sind eine family affair. 100 der insgesamt 128 Parlamentssitze sind vor dem Urnengang bereits entschieden. Das Taif-Abkommen legt eine paritätische Verteilung der Abgeordneten fest. Je die Hälfte für Muslime und Christen. Demografisch ist diese Verteilung allerdings lange nicht mehr gerecht. Die Christen sind mittlerweile eine Minorität im Libanon und liegen zahlenmäßig weit hinter den Muslimen.

Für die Opposition haben Michel Aoun und seine Freien Patrioten diesmal die Wahlen verloren. Die beiden schiitischen Parteien Hisbollah und Amal siegten in ihren Wahlbezirken. Nur Aoun konnte in den so entscheidenden christlichen Bezirken nicht gewinnen. In Zahleh und dem Aschrafieh musste sich der Ex-General, der als Syrien-Gegner 15 Jahre im Exil lebte, den christlichen Parteien der Regierungskoalition geschlagen geben. Gleichzeitig verlor die Opposition damit jede Aussicht auf einen Gewinn der Wahl.

Erneut Regierung der nationalen Einheit wahrscheinlich

Richtig zufrieden können die Gewinner allerdings nicht sein. Die 71 Abgeordneten garantieren keine absolute Mehrheit. Eine neue „Regierung der nationalen Einheit“, in dem die Opposition erneut beteiligt ist, wird wahrscheinlich sein. Ein Kabinett zusammen zu stellen, mit dem alle politischen Parteien konform gehen, dürfte kaum ein Problem sein. Nur Hisbollah und Michel Aoun werden wieder auf ihr Vetorecht bestehen. Tabu bleiben alle Aktivitäten des militärischen Flügels der Hisbollah, ebenso eine Annäherung an die USA.

Dass es auf keinen Konfrontationskurs zwischen Regierung und Opposition hinaus läuft, hat bereits Walid Jumblatt von der Progressiven Sozialistischen Partei und Mitglied der Regierungskoalition angedeutet. Der Drusenführer hat sich gegen einen Alleingang ausgesprochen. „Wir sollten nicht vergessen, dass die Wahlen den Dialog fördern und wir die anderen Parteien nicht ausschließen sollten.“ Nur so könne verhindert werden, dass sich nicht wieder bürgerkriegsähnliche Zustände wie im Mai 2008 ereignen.