Niederau: Massenschlägerei mit Metallstangen

Auslöser der Auseinandersetzung zwischen afghanischen Schiiten und Sunniten aus anderen Ländern waren das Aschurafest und Imam-Hussein-Gebete

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In einem zur Asylbewerber-Erstaufnahmeeinrichtung umgebauten ehemaligen Real-Markt im sächsischen Niederau ist es am Wochenende zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen afghanischen Schiiten und Sunniten aus anderen Ländern gekommen. Auslöser der Auseinandersetzung war das schiitische Aschurafest am Freitag. An diesem Festtag gedenken Schiiten der Schlacht von Kerbela (680), in der der von ihnen als Märtyrer verehrte Imam Hussein im Kampf gegen ein Heer des Kalifen Yazid I. fiel. Über das Schiitentum hinaus bekannt ist das Aschurafest unter anderem wegen der Sinazani-Selbstgeißelungen und weil der Gedenktag 1978 die "islamische Revolution" im Iran einleitete.

Einem Sprecher des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) zufolge sollen sich sunnitische Syrer beim Wachpersonal der Einrichtung beschwert haben, dass die schiitischen Afghanen des religiöse Fest zu laut feierten und vereinbarte Zeiten nicht einhielten. Denkbar ist jedoch auch, dass sich Sunniten durch die Gebete vor allem deshalb provoziert fühlten, weil sie in ihnen einen Verstoß gegen den Monotheismus sahen. Bei der Pressestelle der Dresdner Polizei will man das nicht kommentieren. Dort heißt es gegenüber Telepolis, mit der Angabe "religiöse Auseinandersetzungen" sei die Öffentlichkeit ausreichend informiert. Außerdem wisse man selbst nicht so genau, wie der Gewaltausbruch begann und verlief.

Mausoleum des Imam Hussein im irakischen Kerbela. Foto: Larry E. Johns, Streitkräfte der Vereinigten Staaten.

Fest steht, dass bei den Auseinandersetzungen etwa 40 afghanische Schiiten und 50 bis 60 Sunniten aus anderen Ländern unter anderem mit Metallstangen aufeinander losgingen und dass 30 Polizeibeamte nötig waren, um die beiden Gruppen zu trennen. Unter den mindestens drei Verletzten soll sich auch ein Afghane befinden, der seine Landsleute immer wieder "anstachelte", und der deshalb als mutmaßlicher Rädelsführer in vorübergehenden Polizeigewahrsam genommen wurde. Inzwischen befindet er sich wieder auf freiem Fuß. Ob gegen ihn und weitere Beteiligte wegen schweren Landfriedensbruchs ermittelt wird, wie einige Medien berichteten, steht nach Angaben der Polizei noch nicht fest.

Die mit 570 Asylbewerbern aus verschiedenen Ländern belegte Erstaufnahmeeinrichtung in Niederau wird vom DRK Sachsen betreut, das dafür mehrere hauptamtliche Mitarbeiter angestellt hat. Diese versuchen aktuell, auf die informellen Führer der am Konflikt beteiligten Gruppen einzuwirken, um dafür zu sorgen, dass die Lage ruhig bleibt. Dem stehen allerdings sprachliche Hürden entgegen, aufgrund derer man am Wochenende lange nicht wusste, wieso Schiiten und Sunniten überhaupt aufeinander losgingen. Und auch nachdem sich ein englischkundiger Asylbewerber fand, der den Betreuern die Lage erklärte, fehlten ihnen die Persisch- und Arabischkenntnisse, mit denen sie versuchen hätten können, den Konflikt mittels Durchsagen zu entschärfen.

Die neue Hamburger Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD). Foto: Ralf Roletschek Fahrradtechnik. Lizenz: CC BY-SA 3.0.

Auch in anderen Asylbewerberunterkünften kam es in den letzten Monaten immer wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit Dutzenden Beteiligten: Teilweise konnte - wie etwa im thüringischen Suhl - religiöser Fanatismus als Ursache ausgemacht werden. In anderen Einrichtungen trug offenbar eine extreme Überbelegung dazu bei, dass aus Individualauseinandersetzungen Gruppenauseinandersetzungen wurden. In wieder anderen Fällen führten von albanischen Banden eingeführte "Gebühren" für die Benutzung von Waschräumen und Steckdosen zu Schlägereien mit Angehörigen anderer Gruppen, die sich zusammenschlossen, um ihr Taschengeld nicht abgeben zu müssen.

In Hamburg, wo es Anfang Oktober wegen solcher Forderungen zu einer Massenschlägerei zwischen Albanern und Afghanen kam, will die neue Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) die Möglichkeiten, die Straf- und Ausländerrecht bieten, besser ausschöpfen, und Gewalttäter künftig deutlich schneller ausweisen.

Mehrere Personen aus dem Westbalkan, die Mitarbeiter einer Asylbewerberunterkunft mit dem Tod bedrohten, wurden Leonhard zufolge umgehend von der Polizei abgeholt, beim Ausländeramt beschleunigt behandelt mit zwei Linienflügen in die Heimat geschickt. Bisher kamen solche Aufenthaltsbeendigungen in Hamburg eher selten vor: Von Januar bis September 2015 wurden lediglich 364 Personen abgeschoben. Weitere 553 reisten überwacht aus.

Wo keine baldigen Aufenthaltsbeendigungen möglich sind, weil beispielsweise (wie im Fall Afghanistan) ein innenministerieller Abschiebestopp entgegensteht, sollen potentielle Straftäter mit einer Verschlechterung ihrer Unterbringung von Erpressung, Gewalt und Mobbing abgehalten werden: "Wer gegen Regeln verstößt", so die SPD-Politikerin, der "muss akzeptieren, dass er in Unterkünften mit geringeren Standards bleibt oder dort untergebracht wird".

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