Noch ein weiter Weg bis zur Schaffung von wirklich intelligenten Systemen

Florian Rötzer im Gespräch mit dem KI-Forscher Thomas Christaller über autonome Roboter, Evolution und Intelligenz.

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Man spricht von autonomen und intelligenten Robotern oder Agenten, die bald entstehen sollen. Noch aber ist keineswegs deutlich, was wir unter Intelligenz und Autonomie eigentlich verstehen sollen. Für Thomas Christaller, Professor für Künstliche Intelligenz an der Universität Bielefeld und Institutsleiter beim GMD-Forschungszentrum Informationstechnik, St. Augustin, ist es noch ein weiter Weg, bis die Roboter selbständig werden könnten. Gleichwohl gab es in den letzten Jahren einen großen Fortschritt in der Robotik, auch wenn Christaller nicht glaubt, daß der Ansatz des Künstlichen Lebens und die Verwendung von Evolutionsprinzipien die Robotik viel weiter gebracht haben. Die Abbildungen stammen aus der von Thomas Christaller geleiteten Abteilung Kognitive Robotik.

Sir Arthur, ein 6-Beiner - Frank Kirchner

Seit einigen Jahren ist die Forschungsrichtung künstliche Intelligenz ein wenig in Mißkredit gekommen. Daneben hat sich mit großen Versprechungen ein neuer Ansatz entwickelt, der sich Künstliches Leben nennt und mit dem Schlagwort "von unten nach oben" agiert. Ist Künstliches Leben wirklich ein neuer Ansatz, der sich grundlegend von dem unterscheidet, was sich die Künstliche Intelligenz vorgenommen hat?

Thomas Christaller: Bestimmte Technologien kommen und gehen. Wenn auf einem wissenschaftlichen Gebiet etwas Innovatives erst erscheint, dann wird das, gerade in der Informatik, oder allgemein bei allem, was mit Medien und Computer zu tun hat, oft mit Überschwang begrüßt und lebt sich dann natürlich ein bißchen ab. Das halte ich für völlig normal.
Die KI als wissenschaftliche Disziplin ist alles andere als tot oder in Mißkredit. Man sieht das, zumindest im wissenschaftlichen Raum, an den Veranstaltungen, die auch international stattfinden, und an der Qualität der wissenschaftlichen Ergebnisse, die dabei heraus kommen. Daß in den Medien selber die Aufmerksamkeit verschwunden ist, halte ich für völlig normal. Wenn man sich aber die Praxis anschaut, werden jetzt viele Techniken und Methoden aus der KI, die vor 10,15, 20 Jahren einfach noch in der Forschung gewesen sind, alltäglich eingesetzt. Und deswegen kann man, wenn man auf dieses Wissenschaftsgebiet kommt, eigentlich sehr zufrieden sein mit der ganzen Entwicklung.

Hat sich denn eigentlich eine wirkliche neue Perspektive entwickelt?

Thomas Christaller: Das war ja der zweite Teil Ihrer Frage. Anfang der 80er Jahre hat Mark Pready Motto geprägt: Achieving Artifical Intelligence through building robots. Es hat damals eine ganze Reihe von Gründen gegeben, warum die Robotik eine der großen Herausforderungen für die KI darstellt. Dann wurde vor 2 oder 3 Jahren im Artifical Life Journal von Luc Steels ein Artikel mit dem Titel "The Artifical Live Roots of Artifical Intelligence" publiziert. Es gibt also einige sichtbare Vertreter aus der KI, die so argumentieren, daß wichtige Fragen aus dem Gebiet des Aritfical Life originäre KI-Fragestellungen sind. Und zwar hängt das genau damit zusammen, daß sie sagen, Intelligenz könne man nicht in reiner Form unabhängig von einer Verkörperlichung realisieren, sondern diese sei - zumindest bei biologischen Systemen kennen wir da keine Ausnahme - immer an einen Körper gebunden. Dann aber kommt es immer drauf an, mit wem man darüber redet, wie eng diese Verbindung gezogen wird und wie die Zusammenhänge sind. Aber zumindest wird daraus der Schluß gezogen, daß man, wenn man denn Künstliche Intelligenz haben will, die Aspekte von lebenden, also biologischen, lebenden Systemen, wie z.B. den Körper, auch mit berücksichtigen müsse.

Intelligentes Verhalten soll durch Programmierung von unten nach oben gewissermaßen evolutionär entstehen. Das ist doch vorerst eher noch ein Versprechen als ein Sachverhalt.

Thomas Christaller: Meine Einschätzung ist die, daß man auf der Artefakten-Seite noch ganz weit davon entfernt ist, Systeme konstruieren zu können, die in dem selben Sinne intelligent sind, wie wir uns Menschen als intelligent bezeichnen. Ich sage das deshalb so ein bißchen merkwürdig, weil ich dem Glauben vorbauen will, daß es bei der KI um die Simulation von menschlicher Intelligenz geht oder überhaupt um eine direkte Abbildung von irgend etwas, das Lebewesen machen, auf Computersysteme oder Roboter. Der Zusammenhang ist viel komplizierter.
Aber Ihre Frage lautete ja, ob es möglich sei, mit Hilfe eines künstlichen Evolutionsprinzips intelligente Systeme entstehen zu lassen. Antwort ganz klar: Nein. Ich sehe im Augenblick auch nicht, daß irgendwelche Voraussetzungen dafür erfüllt wären, um so etwas machen zu können.

Woran hängt das? An der Hardware oder der Software?

Thomas Christaller: Es hängt vielleicht an etwas ganz Einfachem. Bei Lebewesen beobachten wir, daß die Entstehung und Veränderung von Arten nach diesem Evolutionsprinzip funktionieren könnte, oder daß wir es uns zumindest so erklären können, wenn wir das Evolutionsprinzip zugrunde legen und halbwegs vernünftige biologische Theorien und Modelle dafür bilden. Es ist aber vollkommen unklar, was das Evolutionsprinzip bei Artefakten sein soll. Es ist eine Sache, vorgegebene Lebewesen zu haben, auf die wir, so lange wir nicht als Züchter auftreten, praktisch keinen Einfluß nehmen, also nicht darauf einwirken, wie Arten entstehen und vergehen, und es ist ganz etwas anderes, wenn wir die Möglichkeit besäßen, das Evolutionsprinzip zu verändern. Man hat das Evolutionsprinzip formuliert, um unsere Beobachtungen plausibel machen zu können. Aber es ist natürlich etwas völlig anderes, es in Konstruktionsanweisungen umzusetzen. Dafür fehlt einfach die Grundlage.

Fischertechnik-Robot - Kerstin Dautenhahn

Jetzt haben wir doch schon ziemlich viel über Intelligenz gesprochen, ohne zu sagen, was wir damit meinen. Wie ließe sich denn Intelligenz allgemein definieren?

Thomas Christaller: Das ist eine absolut spannende Frage. Wenn man künstliche Intelligenz in künstlichen Systemen machen will, dann muß man vorher natürlich klären, was natürliche Intelligenz ist, weil das sonst ganz schnell eine leere Floskel wird. Ich habe mir mit allem Vorbehalt, weil ich ja kein Biologe, Verhaltensforscher oder Psychologe bin, mir folgendes Bild dazu gemacht.
Wenn man Intelligenz als ein Phänomen nimmt, das sich bei biologischen Systemen beobachten läßt, dann sollte man so vorgehen, daß man nicht Beliebiges darunter verstehen kann. Es gibt solche beliebige Definitionen, wie beispielsweise: "Das Verhalten eines Lebewesens oder Artefaktes ist genau dann intelligent, wenn es das Überleben dieses Systems sicherstellt." Das ist natürlich völliger Unsinn, weil man damit überhaupt nicht unterscheiden kann, ob das Heben des linken vorderen Beines einer Ameise jetzt ein intelligentes Verhalten ist oder nicht. Da alle diese Lebewesen auch irgendwann einmal sterben, kann man sagen, daß eigentlich jedes Verhalten zum Tod führe, weswegen überhaupt kein Verhalten in diesem Sinne intelligent wäre. Das ist eine Sackgasse. Also muß man versuchen, Erscheinungsformen zu finden, die es plausibel machen, auch diese umgangssprachliche Bedeutung von Intelligenz sinnvoll darauf anzuwenden.
Meine Hypothese ist die, daß Lebewesen in unterschiedlichen Graden, oder teilweise auch gar nicht, Intelligenz ausgebildet haben, und zwar unter einer bestimmten Notwendigkeit: es muß ein Druck existiert haben, damit Intelligenz überhaupt entsteht, denn sonst hätte sie aufgrund unseres Verständnis der Evolution gar nicht entstehen können. Dieser Druck kommt aus zwei Richtungen: Einmal aus der zunehmenden Komplexität der Verhaltenssysteme insgesamt bei den Lebewesen, die im Laufe der Geschichte evolviert sind. Je komplexer die Organisationsform und das Individuum selber ist, desto komplexer ist in der Regel auch das Verhaltenssystem. Das führt letzten Endes dazu, daß man zwei Probleme hat, nämlich einmal, daß das Individuum sich am laufenden Meter entscheiden muß, welche der zahllosen, eigentlich gleichberechtigten Verhaltensweisen es auswählt. Dabei geht es nicht um ein Planen, sondern ich bin in einer Situation, in der ich mich jetzt verhalten und entscheiden muß, welche meiner Verhaltensmöglichkeiten ich wähle. Und hier gibt es nicht nur die einfache Reizreaktion, die Kopplung zwischen der Umwelt und dem Verhaltenssystem des Lebewesens, sondern hier muß eine Auswahl getroffen werden, die durch das Individuum selbst bestimmt wird und nicht durch eine direkten Feedback zwischen Umwelt und dem Verhaltenssystems des Lebewesens.
Der zweite Aspekt ist, daß Lebewesen mit zunehmender Komplexität auch soziale Organisationen bilden und dabei darauf angewiesen sind, daß sie jedes Gruppenmitglied zum Beispiel auch als Individuum wahrnehmen, es wiedererkennen und spezifische individuelle soziale Beziehungen aufbauen. Aber daraus entsteht ein großes Problem, nämlich das der prinzipiellen Unvorhersagbarkeit des Verhaltens des anderen.
Wir Menschen wissen das. Wenn wir einem anderen Menschen begegnen, dann wissen wir eigentlich nicht, was er als nächstes tun wird. Das hängt eben damit zusammen, daß es diesen unglaublichen Verhaltensvorrat mit unglaublich vielen Alternativen gibt, und wir von außen her gar nicht wissen, wie das jeweilige Individuum intern organisiert ist, um zu einer Entscheidung zu kommen, welche der vielen Alternativen dann ausgewählt werden soll. In dieser Situation muß etwas geschehen, um mit diesen Ungewißheiten zurecht zu kommen, die nicht in der physikalischen Umwelt alleine festgemacht werden können, sondern aus der Organisationsform dieser biologischen Systeme selber und ihren Interaktionen. Und das, behaupte ich, ist, was wir umgangssprachlich Intelligenz nennen.

Intelligenz wäre dann vornehmlich soziale Intelligenz. Das gleicht doch dem Ansatz des künstlichen Lebens, wenn man versucht, Gruppen oder Populationen von Robotern oder Softwareprogramme einer Umwelt auszusetzen und zu sehen, ob aus der Interaktion zwischen diesen Gruppenmitgliedern über Lernen ein neues Verhalten entsteht?

Thomas Christaller: Diese Ansätze halte ich aber für eine Sackgasse. Ich hatte ja gesagt, daß es bei den sozialen Organisationen von biologischen Systemen darauf ankommt, daß es individuelle, persönliche Beziehungen zwischen den einzelnen Gruppenmitgliedern gibt. Die Biologen haben dafür den schönen Begriff der individualisierten Gesellschaft geprägt, während andere Sozialorganisationen, z.B. bei Ameisen, Bienen usw., als sogenannte anonyme Gesellschaften bezeichnet werden, da hier zwischen den verschiedenen Mitgliedern einer sozialen Organisation keine personalisierten Verbindungen aufgebaut werden können. Natürlich ist es viel einfacher zu versuchen, das Verhalten eines Dutzend Ameisen in Roboter zu übertragen, aber ich denke, daß das nicht der richtige Weg ist. Dort finden keine individualisierten Relationen statt, und dann passiert auch nicht das, was man sinnvoll als Intelligenz bezeichnen könnte, wenn man meine Hypothese zugrunde legt.

Ein starkes Mittel der sozialen Intelligenz ist sicher eine Art von Kommunikation. Nun stand die Kommunikation auch immer ein Zentrum der künstlichen Intelligenz, also der Bau von Systemen, die eine natürliche Sprache sprechen oder die zumindest übersetzen. Steht denn zumindest in Aussicht, daß es bald Systeme geben wird, die tatsächlich mehr oder weniger simultan und auf leidlich gute Weise übersetzen können?

Schlange - K.-L. Paap

Thomas Christaller: Als ich kenne den aktuellen Stand der Arbeiten aus dem Projekt Verb-Mobil nicht. Ich habe das über die Jahre nur am Rande verfolgt. Meine generelle Einschätzung ist die, daß es sicher mit gehörigem Aufwand möglich sein wird, für wohl definierte und eingeschränkte Diskursbereiche, solche Übersetzungssysteme zu realisieren. Was ich aber prinzipiell in Frage stelle, ist, daß man ein Computersystem realisieren kann, das sich in irgendeiner natürlichen Sprache zu beliebigen Gegenstandsthemen oder Gesprächsthemen mit einem Menschen unterhalten und auch für beliebige Gesprächsthemen eine halbwegs akzeptable Übersetzung liefern kann. Der Grund dafür liegt einfach darin, daß eben auch Sprache, genauso wie unsere bewegungsorientierten Verhaltensweisen, von uns dauernd immer neu erfunden und weiter entwickelt werden. Und die Art und Weise, wie wir das erfinden und weiterentwickeln, hängt ganz stark mit unserem körperlichen Voraussetzungen und natürlich auch mit den daraus resultierenden Einschränkungen zusammen. Wenn wir so ein Computersystem machen wollen, das sich beliebig in einer natürlichen Sprache ausdrücken oder ein paar beliebige Sprachen übersetzen könnte, müßten wir sehr weit gehen, um dieses zu simulieren. Ich halte es für ausgeschlossen, daß dies gelingt. Für eingeschränkte Bereiche wie die Übersetzung von Handbüchern oder die Bedienung von technischen Systemen wird das gelingen.

Es gibt ja die großen Visionen, wie beispielsweise von Hans Moravec, der verkündet, die technische Entwicklung gehe so schnell, daß wir bald Roboter haben werden, die nicht nur intelligent sind und ein autonomes Leben führen, sondern die sich auch mehr und mehr vom Menschen abkoppeln, ihn schließlich übertrumpfen und dann sozusagen als Haustier halten, so wie wir möglicherweise Roboter, die für uns putzen oder anderes erledigen. Was ich bisher von Ihnen gehört habe, sind diese Visionen für Sie wahrscheinlich reine Spekulationen, also Sience Fiction.

Thomas Christaller: Also ich halte sie noch nicht mal für gute Sience Fiction, sondern schlicht für Unsinn.

Wo liegen für Sie die Grenzen der Entwicklung von intelligenten, autonomen Robotern?

Thomas Christaller: Das ist wieder eine andere Frage. Das weiß ich nicht. Und das ist auch so nicht zu sagen. Autonome intelligente Roboter, also da sind zwei Bestandteile angesprochen, die sehr kompliziert sind. Erstens Autonomie: Wissen wir denn, was bei uns Autonomie heißt? Also sind sie autonom, bin ich autonom, in welchem Sinne, in welchem Zusammenhang usw.?
Für Intelligenz habe ich, wie bereits angedeutet, eine ganz globale Arbeitshypothese, aber Sie können hundert andere Menschen fragen und erhalten genauso viele andere Definitionen dafür. Und jetzt sogar technisch zu sagen, wo die Grenzen der Entwicklung für die Intelligenz von autonomen Robotern liegen, kann ich nicht.
Was Hans Moravec in diesem Zusammenhang behauptet, halte ich für ausgemachten Unsinn, denn dafür gibt es überhaupt keine technische Basis. Aus der Steigerung der Rechengeschwindigkeit von Silizium-CPUŽs darauf zu schließen, daß die aufgrund der angenommenen Rechenleistung des Gehirns automatisch dann auch intelligenter sind, ist für mich ein Kausalschluß, der durch nichts gerechtfertigt ist. Wir haben doch nicht deswegen unsere Beine abgeschafft, nur weil Autos schneller fahren, als wir hundert Meter laufen können.

Kommen wir auf die ganz praktische Ebene. Man entwickelt immer mehr Roboter für ganz spezielle Aufgaben. In welche Richtung geht der Trend allgemein?

Thomas Christaller: Der Trend geht bestimmt dahin, und insofern hat Hans Moravec recht, immer mehr Roboter zu bauen, die eine größere Flexibilität in den Bereichen besitzen, in denen man sie einsetzt. Die Einsatzbereiche gehen immer mehr dahin, daß es eine Maschine-Mensch-Interaktion gibt. Die Handhabungsautomaten werden heute in menschenleeren Fabrikhallen aufgestellt - nicht weil die Maschinen dem Menschen gefährlich werden können, sondern weil der Mensch aufgrund seiner Unberechenbarkeit den Maschinen gefährlich wird und dadurch natürlich sich selbst gefährdet. Wenn Roboter, die selber über Bewegungsmöglichkeiten verfügen und auch selber zunehmend bestimmen, in welchen Zusammenhängen sie welche Bewegung wie durchführen, dies im selben Handlungsraum zusammen mit dem Menschen machen, dann muß sich nicht nur der Mensch daran gewöhnen, daß ein Greifarm dauernd dazwischen funkt, sondern die Roboter müssen natürlich auch die Bewegung der Menschen beobachten und ein Modell entwickeln, was denn die nächste mögliche Bewegung ist. Damit das möglich ist, müssen sie auch etwas über Intention und Handlungsplanung wissen. In vielen Bereichen, von der Chirurgie über Fabriken bis in den Weltraum, wird ein höherer Bedarf bestehen, solche flexiblen Robotersysteme einzusetzen.
Es gibt eine Vision, die häufig von Ingenieuren genannt wird, nämlich den Haushaltsroboter, von dem ich behaupte, daß das der Typ von Roboter ist, der ganz am Ende der Entwicklung steht, und nicht am Anfang.

Weil er so vielseitig sein muß?

Kurt -J.Hertzberg/F. Kirchner

Thomas Christaller: Ja, weil er so in die Lebenswelt des Menschen eingebunden werden muß, für die es keinerlei Regelsystem gibt. In einer Fabrik, in einem Operationssaal, in der Raumkapsel, im Flugzeug usw. kann man Verhaltensregeln aufstellen und die räumliche Umgebung robotergerecht gestalten. Ich weiß aber nicht, ob wir bereit wären, unsere Wohnungen so zu bauen, daß sich Roboter möglichst einfach darin bewegen können. Das werden wir sicherlich nicht machen, und das heißt, daß die Roboter hier mit der vollen Komplexität des menschlichen Verhaltens konfrontiert werden. Und das ist die schwierigste Aufgabe, die ich mir überhaupt vorstellen kann.

Auch wenn die großen Visionen möglicherweise nicht zutreffen, oder höchstens in ferner Zukunft, dann wird jedenfalls durch die Entwicklung von immer mehr Robotern für spezielle Aufgaben menschliche Arbeit ersetzt. Im Bereich der Robotik ist das Ziel die Ersetzung menschlicher Arbeitskraft. Wenn man sich aber jetzt die Situation anschaut, in der die Arbeitslosigkeit steigt und erhebliche gesellschaftliche Probleme mit sich bringt ...

Thomas Christaller: Ja, wir arbeiten heftig daran, daß sie noch weiter steigt.

Wie reflektiert man denn das als jemand, der in dieser Forschung tätig ist?

Thomas Christaller: Das ist sehr schwierig, weil ich da natürlich über Dinge nachdenken muß, bei denen ich nicht für mich in Anspruch nehmen kann, daß ich dort fachlich kompetent bin. Aber das ist heutzutage auch normal für jede Form von Wissenschaft. Meine Idee ist die folgende: Erstens, wer sagt denn eigentlich, daß wir Menschen unbedingt arbeiten müssen, um eine Daseins- und Existenzberechtigung zu haben, also wo in unserem Genom ist verankert, daß wir keine Daseinsberechtigung haben, wenn wir nicht arbeiten? Kohl hat ja sicherlich recht mit unserem "Freizeitpark". Ja, selbstverständlich wollen wir einen Freitzeitpark hier haben. Das ist unser Programm. Unsere Eltern, Großeltern und Urgroßeltern haben dafür geschuftet, daß die jeweils nachfolgende Generation es besser hat. Und besser heißt natürlich nicht mehr Arbeit und vor allem keine härtere Arbeit als sie selber, sondern mehr Freizeit. Und ich denke, das kann auch Spaß machen.

Also zurück ins Paradies?

Thomas Christaller: Natürlich. Wenn Sie ein Hobby haben, das anstrengend ist, sagen wir mal Marathonlauf, dann heißt das Paradies für Sie ja nicht Schlaraffenland, sondern daß Sie ihren Neigungen nachgehen können. Das kann durchaus anstrengend sein, das kann auch gefährlich sein, das kann aufregend sein. Aber warum wollen wir denn unbedingt arbeiten? Da verstehe ich die ganze Politik auch nicht. Alles schreit danach, daß sie auf einmal arbeiten wollen. Arbeiten aber heißt Sklavendasein, und wer will das denn wirklich? Das kann keiner wirklich wollen.

Aber das hieße ja, wenn wir diesen weiterspinnen, daß wir natürlich nur dann in einem Freizeitpark leben können, in dem wir unseren Neigungen nachgehen, wenn die sozialen Verhältnisse, vor allem die Eigentumsverhältnisse, anders wären, also wenn das Geld anders verteilt werden würde.

Thomas Christaller: Ja, sicher. Das hat natürlich enorme Konsequenzen, und ich glaube auch, daß es sich sowohl die Ökonomie als auch die Politik heutzutage sehr einfach machen. Die Veränderungen, die durch Ökonomie und Politik betrieben worden sind, haben eine solche Gewalt haben, daß alle gängigen Vorstellungen revolutioniert werden, wie wir unsere Gesellschaft in Zukunft organisieren wollen. Unser Selbstverständnis kann ganz leicht weggepusten werden. Es wären nur wilde Spekulationen, die der Privatmann Thomas Christaller dazu sagen könnte, was danach kommt. Niemand weiß das genau, aber daß eine ganz radikale Veränderung auf uns zukommt, die alle Aspekte unserer gesellschaftlichen Organisation betreffen wird, davon bin ich fest überzeugt. Das wird auch nicht leicht sein. Nehmen wir mal an, es gäbe die Freizeitgesellschaft. Der Weg dorthin wird absolut schmerzhaft und auch mit vielen Verlusten verbunden sein.

Auffällig ist allerdings auch, daß gerade mit der Einführung der Computer und der Netze auch wieder ein strenger Liberalismus aufgekommen ist. Das scheint wiederum damit zusammenzuhängen, daß die Evolutionsprinzipien in Mode stehen, die oberflächlich den kapitalistischen Marktgesetzen analog sind. Daher geht man von komplexen Systemen aus und simuliert diese, bei denen das Verhalten des Ganzen aus vielen kleinen und lokalen Interaktionen der einzelnen Akteure entsteht. Es scheint mir jedenfalls eine innere Beziehung zwischen den Trends innerhalb der Forschung und den ökonomischen Ideologien zu geben. Nebenbei wurde die Freizeitgesellschaft schon in den 60er Jahren diskutiert, wo man annahm, daß die Arbeit durch Automatisierung verschwinde und dann das Reich der Freiheit beginne.

Thomas Christaller: Freizeit und Freiheit ist ja wieder etwas anderes. Ich denke, daß das ein großer Irrtum ist, und ich hoffe sehr, daß die Verantwortlichen nicht an diesen Irrtum glauben. Das Internet ist nicht das Internet, weil Millionen von Leuten irgend etwas gemacht haben, sondern weil sich ein Dutzend Menschen zusammengesetzt und Standards entwickelt haben. Ohne so etwas wie TCP-IP oder Unix oder was auch immer an Protokollen an Standards entwickelt worden ist, ist immer nur von einer ganz kleinen Gruppe gemacht worden. Natürlich ist das lokale Handeln nicht dirigistisch beeinflußbar. Ich kann nicht jede einzelne Handlung eines Menschen, der das Internet nutzt, kontrollieren, vorschreiben oder reglementieren. In der Ökonomie ist das genauso. Banken sind beispielsweise auch nicht deswegen entstanden, weil jeder macht, was er will, sondern die ganze Finanzwelt funktioniert, weil es ein klares Regelsystem dafür gibt, wie man sich verhält und wie das Spiel getrieben wird.
Ich denke, das ist nur zeitgeistiges Wortgeklingel. Wir Menschen sind insgesamt, so behaupte ich auch, nicht dafür geschaffen, um mit beliebigen Handlungen und beliebigen Kontexten umzugehen, sondern wir sind dazu geschaffen, Sinn aus der Welt zu machen, indem wir dauernd versuchen, sie ein Stück anzuhalten, sie konstant zu halten. Das ist auch leichter, und man kann mit viel weniger Aufwand entscheiden, was man als nächstes tun will, wo man seine Ziele setzt usw. Die große Verunsicherung entsteht natürlich dadurch, wenn man derartige Regelsysteme am laufenden Meter verändert oder gar zerstört.

Es gibt auch die Versuche, aus der weltweiten Vernetzung einen Sinn zu machen, indem man sagt, daß das Internet nicht nur eine Verbindung zwischen Menschen über Informations- und Kommunikationstechniken sei, sondern daß diese Vernetzung langsam zu einem komplexen System heranwachse, daß man mit einem Gehirn vergleichen könne. Man spricht dann von einem Globalen Gehirn irgendeines neuen Superorganismus, dessen Bestandteile die einzelnen Menschen sind. Was halten Sie denn davon?

Thomas Christaller: Solche Vorstellungen sind alt. Man hat immer schon die Vorstellung gehabt, daß der Staat oder die menschliche Gemeinschaft eine Art Organismus darstellen. Ich halte es für legitim, solche Metaphern zu benutzen, wenn man genauer hinschaut, aber ich bezweifle, daß es mehr als eine Metapher ist. Die Funktionsprinzipien sind völlig andere. Es ist als Metapher interessant, aber mehr auch nicht.

Problematisch an solchen Metaphern ist, daß man sich dann etwa als einzelnes Neuron begreifen soll ...

Thomas Christaller: Das ist mir klar, und deswegen bin ich auch dagegen. Das einzelne Neuron hat nicht den Handlungsspielraum, wie wir ihn als Individuen meineserachtens immer noch haben. Das ist eine völlig andere Beschreibungsebene. Wir sind, Gott sei Dank, Subjekte. Davon bin ich zutiefst überzeugt. Wir sind eigener Handlungen fähig. Natürlich ist vieles vordefiniert. Wir können, im wahrsten Sinne des Wortes, nicht aus unserer Haut, und sind oft eingeschränkt durch Konventionen, durch die Kultur, in der wir groß geworden sind. Das alles determiniert uns, und trotzdem ist das Potential immer da, daß wir etwas komplett anderes tun, als das, was uns eigentlich determinieren sollte.