Oasen im Medienpark

Berlinale-Nachtrag: Film und Architektur oder Die gestörte Utopie unter dem Vergrösserungsglas.

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Einige der auf der Berlinale gezeigten Produktionen verwiesen auf das Thema "Film und Architektur". Was gibt es dazu noch zu sagen? Dass Architektur im Film stets eine Botschaft mit sich trägt, welche die Aufhebung der Simulation durch ihre Verdoppelung sein könnte? So wie z.B. in "Blazing Saddles" (Mel Brooks, 1974), einer Western-Komödie, in der sich die simulierte Cowboy-Umwelt zusehends als Kulisse entpuppt und zum Schluss hin sogar als solche komplett entblättert: Die Helden steigen in ein Cabriolet und steuern aus der Wüste Richtung Grossstadt. Heute neigen Architekturen im Film eher dazu, Minimalmodelle von Gesellschaftsentwürfen zu sein. Der Trend geht wieder zur Klaustrophobie: von "The Million Dollar Hotel" bis zu "Teatro Amatonas", lädt Krystian Woznicki zu einem Streifzug entlang der Bruchlinien stilisierter Utopien.

Szenenbild aus Sharon Lockharts Film "Teatro Amazonas"

Downtown L.A., Kalifornien

"The Million Dollar Hotel" (Wim Wenders, 2000) spielt in einem Transit-Hotel in Los Angeles, Downtown. Buntes Pack haust dort, ein Sammelsurium von Freaks und Paradiesvögeln, das von sozial abweichendem Verhalten eine eigene Vorstellung hat. Die Kollision mit der Exekutive führt nur weiter in das mitunter von U2s Chef-Magier Bono Vox ersonnene Reich, das ein Fantasiereich ist, um es mal zu präzisieren. Die heterogene Gemeinschaft von Individuen unterschiedlichster Prägung soll hier schließlich nichts weniger als eine utopische Variation eines der heruntergekommensten und hoffnungslosesten Stadtteile von L.A. repräsentieren.

Der Wenders-Film bestätigt damit eine Tendenz: Utopien, die sich mit dem Vokabular von Urbanisten und Architekten artikulieren lassen, manifestieren sich auf zusehends engerem Raum, beanspruchen dabei nicht mehr als eine Kneipe ("Away With Words", Christopher Doyle, 1998), einen Strand ("The Beach", Danny Boyle,1999) oder ein Theater ("Teatro Amazonas", Sharon Lockhart, 1999). Mit der Reduktion hin zur Modellhaftigkeit von urbanem Raum geht eine Bewegung von Gesellschaft zu Gemeinschaft einher. "Truman Show" (Peter Weir, 1998) wies wie kein anderer Film in diese Richtung: Die amerikanische Gesellschaft imaginiert sich selbst in Form einer Idealgemeinschaft; der Schauplatz ist bekanntlich Seahaven.

Seahaven, Florida

Die meisten Leute, die "Truman Show" damals zum ersten Mal sahen, wussten nicht, dass Seahaven keine Filmstadt, also keine Kulisse ist, sondern Seaside, eine Siedlung in Florida, die der Film in vielerlei Hinsicht ironisch beäugt.

Die urbane Klaustrophobie und Uniformität im Film stehen der philosophischen Grundlage von Seaside geradezu diametral entgegen. Die Ziele des Planerteams Andres Duany und Elizabetz Plater-Zyberk sind in ihren Grundzügen utopisch und am Spirit der frühen 60er orientiert. Es galt mit dem Zitatenschatz eines 150 Jahre alten, amerikanischen Ur-Stils die guten alten Tage nochmals heraufzubeschwören und jene dichte, "erprobte und wahre Vitalität" wiederzuentdecken. Der architektonische Code wurde zwar mit einer Regulierung von Grösse, Platzierung, Material und den Grundformen der Gebäude vorgegeben. Innerhalb dieses Spielraums sollte aber genug Platz für Experimente sein; die einzelnen Gebäude wurden meist von unterschiedlichen Achitekten entworfen. Was man als die intellektuellen Grundlagen von Seaside bezeichnen könnte, lässt sich bestens in dem gleichnamigen von David Mohney und Keller Esterling zusammengestellten Bildband nachlesen1. Beim Blättern macht eine Beobachtung von David Mahony allerdings stutzig. Obwohl der Ko-Autor des Buches 1990 meint - nach seiner seit Beginn der 80er nunmehr x-ten Reise zur Großbaustelle - sei Seaside nun endlich eine Stadt zu nennen, erwecken viele Abbildungen und Skizzen den Eindruck von Wachstum, Unvollendetheit und Prozess. Zwar gibt es Fotos, die die inneren Strukturen, wie die engen Wege, auf idyllische Weise zeigen. Doch überwiegen Bilder, die zugleich an De Chiricos sachliche Surrealität und Hoppers Verlassenheit und Leere erinnern.

"Truman Show" kam in die Kinos, als amerikaweit bereits mehrere hundert Projekte Seasides New Urbanism zu adaptieren begannen. Als Konsequenz sind lauter Modellgemeinschaften am Entstehen, wie "The Townhomes on Capitol Hill" in der Hauptstadt Washington. Die Zielgruppe sind Vertreter der Mittelklasse, die eine straffreie Vergangenheit und ein geregeltes Einkommen aufzuweisen haben. Die Ironie dabei: Der Film füllte die neoviktorianische Kulisse mit Menschen wie derzeit die Macher der TV-Show Big Brother eine Containerstadt.

Teatro Amazonas, Manaus

Werner Herzogs "Fitzcarraldo" von 1981 bietet den Einstieg für Sharon Lockharts Film "Teatro Amazonas". Wer Kinskis missionarische Odysee - die Oper ins unzivilisierte Brasilien zu bringen - kennt, wird sich vielleicht auch an ein imposantes Theater im kolonial-europäischen Stil erinnern. Lockhart, die auf ihrer Expedition nach Manaos genau jene Kulturstätte zum Gegenstand ihrer künstlerischen Auseinandersetzung erhoben hat, untersucht in diesem Sinne das prekäre Verhältnis von Film- und Realkulisse.

Entstanden ist ein 40-minütiger Kurzfilm, der auf den ersten Blick sehr einfach scheint. Allein das Interieur des Theaters ist zu sehen. Der Saal ist mit Besuchern bis auf den letzten Platz gefüllt. In dieser Frontale zeigt der gesamte Film ohne Schnitt und Einstellungswechsel das Publikum. Die Spannung bezieht er hauptsächlich von der Tonspur. Die Leute sind gekommen, um sich ein Musikstück anzuhören, eine sehr minimal ausgefallene, an Morton Feldmann erinnernde Symphonie, die langsam unmerklich verebbt, während der Geräuschpegel im Publikum graduell ansteigt und zum Schluss hin eine gewisse Unruhe vermittelt. Wie gesagt: kein Schnitt. Danach rollen Credits, die die Spieldauer des Films zu verdoppeln scheinen. Ein grosses Aufgebot an Fachkräften - vom Anthropologen bis hin zum Dolmetscher - stimmt nachdenklich: Kann die Produktion tatsächlich so aufwendig gewesen sein? Daraufhin folgen Namenslisten, die jeweils mit einem Stadtteilnamen betitelt sind. Jetzt wird deutlich, dass das Publikum die Bevölkerung von Manaos repräsentiert.

Sharon Lockhart erklärte in der Diskussion nach dem Screening auf der diesjährigen Berlinale, dass sie bei ihren Recherchen auf einen skurillen Aspekt gestossen ist: Das Wahrzeichen der Stadt, das mit grossen Finanzspritzen konservierte Teatro Amazonas, ist den meisten Menschen ein eher gleichgültiger Fremdkörper, der die Anwohner eher spaltet als eint. Der im Stil einer ethnographischen Studie gemachte Film thematisiert in diesem Sinne nicht zuletzt die Rolle der Architektur im Rahmen kolonial-wissenschaftlicher Bestandsaufnahmen fremder Kulturen. Was gemeinhin als der symbolischer Marktplatz der Demokratie angesehen wird, steht hier für die äußeren Grenzen der Gemeinschaft: Das Interieur des Teatro Amazonas.