Obama und Cheney im Duell über Guantanamo und die nationale Sicherheit

Der neue US-Präsident gerät in die Defensive, während Ex-Vizepräsident Cheney mit unveränderter Rhetorik Obama angreift und die Politik der Bush-Regierung verteidigt

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Während US-Präsident Obama gestern eine Rede hielt, um seine Pläne für das Gefangenenlager Guantanamo darzulegen, trat Ex-Vizepräsident Cheney im konservativen American Enterprise Institute auf und rechtfertigte aggressiv und selbstgefällig ganz im gewohnten Stil der gepflegten Kriegs- und Angstrhetorik die wohl auch maßgeblich von ihm eingeführten Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus und zum Schutz der USA, die eine "Macht des Guten" war und ist: Verschleppung, Folter, extralegale Gefängnisse, auch lebenslange Haft ohne Klage und Prozess, weitreichende Abhör- und Überwachungsmaßnahmen. Obama scheint inzwischen mehr reagieren zu müssen und gerät in die Zwickmühle, ob er die viel beschworene nationale Sicherheit ernst genug nehme. Historisch sei das Duell der beiden Kontrahenten gewesen, kommentierte die Washington Post.

Ex-Präsident Bush duckt sich noch, Cheney scheint hingegen Morgenluft zu wittern, nachdem der erste Glanz von Obama und seiner angekündigten Veränderungspolitik abblättert. Er greift Obama direkt an und zieht wieder alle Register der alten Rhetorik, die durch Beschwörung von Gefahren bis hin zum Terroranschlag mit einer Nuklearwaffe. Zudem will Cheney sicherlich auch sich selbst und alle für die nach dem 11.9. eingeführten Maßnahmen Verantwortlichen vor möglicher Bestrafung bewahren. So war es ihm denn auch wichtig mitzuteilen, dass man den Geheimdienstmitarbeitern alle Mittel und legale Kompetenzen geben musste, um von ihnen die Informationen zu erhalten, die zum Schutz der amerikanischen Menschen wichtig waren.

Das sei auch alles ganz legal gewesen. Man habe die Entscheidungsbefugnis auch nicht erfunden, sondern sie stamme aus dem Zweiten Artikel der Verfassung, der dem Präsidenten die Rechte des Oberkommandierenden einräumt, zudem habe der Kongress dem Präsidenten in einer gemeinsamen Resolution nach dem 11.9, die Befugnis zur Ausübung jeder notwendigen und angemessenen Gewalt eingeräumt. Dazu habe die geheime Überwachung der Kommunikation im Rahmen des Terrorist Surveillance Program gehört, das von der New York Times aufgedeckt wurde. Auch jetzt verurteilte Cheney dies, weil die Zeitung damit nur al-Qaida gedient habe, aber auf keinen Fall dem amerikanischen Volk. Und zu den legitimen Mittel zum Schutz der nationalen Sicherheit gehörten eben für Cheney auch die "harten Verhöre", die er weiter für richtig findet und die nach ihm, was vielfach bestritten wird, angeblich auch den Tod von "Tausenden, wenn nicht Hunderttausenden von Menschen" verhindert hätten. Sowieso seien nur "Gefangene von höchstem Geheimdienstwert" diesen "harten" Methoden unterzogen worden, behauptet Cheney unverfroren, dem Waterboarding seien nur drei Gefangene unterworfen worden.

Mit Abu Ghraib, so versucht Cheney sich aus der Schlinge zu ziehen, habe das alles sowieso nichts zu tun, dort hätten nur "ein paar sadistische Gefängniswärter Menschen in Verletzung des amerikanischen Rechts misshandelt", die man deswegen auch bestraft habe. Diese wild gewordenen Gefängniswärter könne man nicht mit den "gesetzestreuen, ausgebildeten und ehrbaren CIA-Mitarbeitern" vergleichen, die für das Verhör weniger Böser geschult werde. Diese hätten durch den Erhalt von Informationen künftige Anschläge verhindern wollen, so dass hier gewissermaßen der Zweck alle Mittel heiligt. Diese Verhöre als Folter zu bezeichnen, so Cheney mit kaum überzeugender Rhetorik und wie immer zu dick aufgetragener Übertreibung, würde "aus Terroristen und Mördern unschuldige Opfer machen".

I was and remain a strong proponent of our enhanced interrogation program. The interrogations were used on hardened terrorists after other efforts failed. They were legal, essential, justified, successful, and the right thing to do. The intelligence officers who questioned the terrorists can be proud of their work and proud of the results, because they prevented the violent death of thousands, if not hundreds of thousands, of innocent people.

Dick Cheney

Cheney wirft Obama vor, bei der Veröffentlichung der Dokumente über die "harten" Verhörtechniken die nationale Sicherheit gefährdet und auch nicht bekannt gegeben zu haben, zu welchen Ergebnissen sie geführt haben. Obama selbst habe die Geheimhaltung für diese Informationen nicht aufgehoben, obgleich Cheney dies beantragt habe, weil man so den "Wert" der Verhörtechniken sehen könne. Er weist jedes Ansinnen zurück, die für die Ein- und Durchführung der "harten Verhöre" Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen zu wollen, da man doch politische Differenzen nicht kriminalisieren könne:

Some are even demanding that those who recommended and approved the interrogations be prosecuted, in effect treating political disagreements as a punishable offense, and political opponents as criminals. It’s hard to imagine a worse precedent, filled with more possibilities for trouble and abuse, than to have an incoming administration criminalize the policy decisions of its predecessors.

Dick Cheney

In Fragen der nationalen Sicherheit, die Obama gefährde, wie Cheney wiederholt, könne es keine Kompromisse geben. Er machte sich über die Umbenennung unter der Obama-Regierung lustig, die statt vom Krieg gegen den Terror von Notfalleinsätzen im Ausland oder statt von Terroranschlägen von menschengemachten Katastrophen zu sprechen sucht. Cheney mockiert sich schließlich über den Plan, Guantanamo schließen zu wollen, um den Beifall einiger Europäer zu erhalten. Ohne mit der Wimper zu zucken, verbreitet er weiter die Unwahrheit, wenn er wieder einmal sagt, dass hier nur die schweren Terroristen eingesperrt und festgehalten worden seien ("ruthless enemies of this country, stopped in their tracks by brave operatives in the service of America"). Diejenigen, die man als geringes Risiko eingestuft hatte, habe man bereits entlassen – und selbst von diesen sei jeder siebte wieder direkt in den Kampf gezogen und habe gemordet (Guantanamo forever?). Wenn nun Obama die "Schlimmsten der schlimmen Terroristen" in die USA bringen wolle, dann würde dies große Gefahren mit sich bringen.

US-Präsident Obama hält seine Rede in den geschichtsträchtigen Räumen des Nationalarchivs. Bild: Weißes Haus

Obamas Spagat zwischen Erfordernissen der nationalen Sicherheit und versprochener Offenheit und Rechtsstaatlichkeit

In seiner Rede beteuert Obama, dass er auch in der Zeit der schweren Wirtschaftskrise vor allem dafür verantwortlich ist, die US-Bürger zu schützen. Auch da wird mit schweren rhetorischen Geschützen in den symbolisch aufgeheizten Räumen des Washingtoner Nationalarchivs gearbeitet. Nicht im Weißen Haus, sondern hier, wo die Gründungsdokumente der USA aufbewahrt sind, sollte Obama seine Rede zur nationalen Sicherheit zelebrieren. An die Sicherheit denke er als erstes, wenn er in der Früh aufsteht, und als letztes, wenn er schlafen gehe. Offenbar scheinen auch die Strategen im Weißen Haus davon auszugehen, dass die Angst in den USA noch tief sitzt. Dazu passt, dass das FBI ausgerechnet kurz vor der Rede einen angeblich geplanten Terroranschlag auf eine jüdische Synagoge und einen Flugplatz verhinderte.

Warum gerade zu dieser Zeit zugeschlagen wurde, ist fraglich, schließlich sollen die vier Terrorplaner unbrauchbaren Sprengstoff und eine nicht funktionierende Stinger-Rakete von einem FBI-Informanten erworben haben. Über ein Jahr lang hatte die Bundespolizei die vier mutmaßlichen Terroristen beobachtet. Am Mittwochabend hätten die Verdächtigen, darunter drei zum Islam konvertierte Amerikaner, schließlich zwei Fahrzeuge mit (unbrauchbaren) Bomben vor der Synagoge in Riverdale abgestellt, woraufhin sie verhaftet wurden. Kann gut sein, dass dies Zufall war und das FBI zugreifen musste, bevor die mutmaßlichen Terroristen merken würden, dass sie angeschmiert wurden und daraufhin vielleicht untertauchen könnten. Abgesehen von dem Termin – und einer seltsamen Parallele zum Fall der Sauerländer-Zelle, die mit US-amerikanischer Hilfe aufflog – haben nun Obama-Gegner den Vorteil, erneut auf die andauernde Gefahr hinweisen zu können – auch wenn die vier Festgenommen weder mit al-Qaida noch mit anderen Gruppen etwas zu tun gehabt, sondern auf eigene Faust gehandelt haben sollen.

Während Cheney im Stil der Politik der Bush-Regierung auf Krieg setzt, in dem viele erlaubt ist, beharrt Obama darauf, dass die amerikanischen Werte, wie sie in der Verfassung oder der Bill of Rights verankert sind, der Sicherheit dienen, wenn sie beachtet werden, weil sie Anerkennung für die USA schaffen und diese zum Vorbild machen, weil sie die Grundlage von Freiheit und Gerechtigkeit bilden. Er halte die Werte nicht aufgrund des Idealismus hoch, sondern auch deswegen, weil sein Lebensweg erst durch diese möglich geworden sei. Die USA seien durch sie geprägt worden, weswegen man Folterkammern schließen und Tyrannen verjagen konnte.

Auch in Zeiten des Terrorismus müsse man daran festhalten. Obama suggeriert, als wären die USA stets ein Hort von Moral, Recht und Freiheit gewesen. Aus dieser Überhöhung heraus holt er dann zum Gegenschlag gegen die ehemalige Bush-Regierung aus, die nach dem 11.9. aus dem bislang angeblich geradlinig verfolgten Kurs geraten sei und überstürzte Entscheidungen getroffen habe. Man eher aus Angst denn aus Vorhersicht gehandelt, Fakten zurechtgezimmert und Ideologien verbreitet. Das sage nicht nur er, sondern deswegen sei er auch gewählt worden, weswegen es sein Auftrag sei, Folter zu beenden und Guantanamo zu schließen.

Auch wenn dies nicht leicht sei, müsse das Problem Guantanamo gelöst werden, schließlich würde auch dann die Frage zu lösen sein, was man mit den Gefangenen wie den Uiguren machen soll, die noch unter der US-Präsidentschaft freigesprochen wurden, wenn das Lager fortgeführt werde. Obama kritisiert, dass die Schließung in letzter Zeit "politisiert" worden sei und man den Menschen Angst gemacht habe. Obama versprach, niemanden frei zu lassen, der die nationale Sicherheit oder die Menschen in den USA gefährden könne. Einige Gefangene werde man in Hochsicherheitsgefängnisse in den USA bringen müssen, von denen aber noch nie jemand habe flüchten können. Man werde die einzelnen Fälle auch genauer untersuchen, damit Freigelassene nicht wieder militant werden.

Obama schlägt vor, diejenigen, die US-Gesetze verletzt haben, wenn möglich vor amerikanische Gerichte zu stellen. Diejenigen, die Kriegsverbrechen begangen haben, müssten weiterhin von Militärtribunalen verurteilt werden. Diese müssten allerdings verändert werden, so dass unter Folter erpresste Geständnisse oder Informationen ausgeschlossen sind, der Angeklagte seinen Verteidiger wählen kann und er nicht mehr unbewiesene Vorwürfe widerlegen muss. Dann gäbe es die Kategorie der Häftlinge, die freigelassen werden müssen, weil Gerichte so geurteilt haben. Als vierte Gruppe gäbe es um die 50 Gefangene, die an andere Länder überstellt werden können.

Die fünfte Gruppe sei am problematischsten, die man nicht vor Gericht stellen könne, die aber gleichwohl eine Gefahr für die USA darstellen würden, weil sie etwa Talibankämpfer kommandierten oder al-Qaida-Trainingscamps besucht hätten. Auch für die Zukunft müsse man einen Weg finden, Menschen, die wie al-Qaida Krieg gegen die USA führen, festzuhalten. Das dürfe nicht willkürlich geschehen, sondern müsse nach "klaren, rechtfertigbaren und legalen Maßstäben" geschehen, die Obama aber nicht näher charakterisierte. Dies dürfte auch schwer fallen, weil es dafür keinen wirklichen rechtsstaatlichen Weg gibt. Und seine Rede wird wohl auch insgesamt wenig daran ändern, dass die Abgeordneten, auch die demokratischen, keine Gefangenen in den USA freilassen oder in Gefängnisse überführen wollen.

Winden muss sich Obama auch aus dem Problem, dass er einerseits Dokumente über Folter freigegeben hat, aber Bilder von Misshandlungen unter Verschluss halten will. Von Cheney und anderen wurde er kritisiert, dass die nationale Sicherheit Geheimhaltung erfordert. Die Dokumente habe er nur deswegen veröffentlicht, rechtfertigt sich Obama sehr defensiv, weil die Inhalte sowieso schon weitgehend bekannt gewesen seien. Die Freigabe der Bilder würde hingegen die Soldaten in Afghanistan und im Irak gefährden und antiamerikanische Stimmung befördern, aber sonst keinen Sinn machen, weil die Missetäter angeblich bereits alle bestraft worden seien.

Beide Entscheidungen widersprechen sich nicht, sagte Obama, sondern seien Ausdruck eine notwendigen Balance zwischen Offenheit, für die er als Präsidentschaftskandidat angetreten war, und nationaler Sicherheit, die ihn nun eingeholt hat. Obama will beides, aber das ist ein Kompromiss, bei dem er nur verlieren kann und den Cheney als unmöglich angreift:

The American people are not absolutist, and they don't elect us to impose a rigid ideology on our problems. They know that we need not sacrifice our security for our values, nor sacrifice our values for our security, so long as we approach difficult questions with honesty and care and a dose of common sense. That, after all, is the unique genius of America. That's the challenge laid down by our Constitution. That has been the source of our strength through the ages. That's what makes the United States of America different as a nation.

Barack Obama