Obamas Krieg gegen Whistleblower

Die geheime Arbeit der NSA und der Staatsfeind Thomas Drake

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Was macht einen zum Staatsfeind, den die amerikanische Justiz mit 35 Jahren Gefängnis bedroht? Seit der letzter Welle von WikiLeaks-Veröffentlichungen und der Reaktion der amerikanischen Führung darauf, vorneweg die Behandlung von Bradley Manning und die Versuche, Assange juristisch zu fassen, denkt man bei der Antwort nicht mehr automatisch nur an Verbindungen zu terroristischen Vereinigungen. Whistleblower, deren Arbeit Obama bei seiner Amtsübernahme noch öffentlich schätzte, werden vom "Präsidenten der Transparenz" nun mit fragwürdiger Härte verfolgt, so Kritiker, die als Beweis dafür den Fall Thomas Drake anführen.

Drake, früher Abteilungsleiter des US-Geheimdienstes National Security Agency (NSA), muss sich Mitte Juni vor einem Gericht verantworten. Laut Anklageschrift werden ihm in zehn Punkten Verstöße gegen das Antispionage-Gesetz von 1917, dem berüchtigten Espionage Act, vorgeworfen. Wird der Anklage in allen Punkten Recht gegeben, droht ihm eine Gefängnisstrafe bis zu 35 Jahren.

Der Fall wird in ausführlicher Länge in zwei amerikanischen Publikationen, in einem aktuellen Artikel des New Yorker und einem älteren Artikel in der Washington Post, näher dargelegt.

Die Arbeit eines Idealisten

Beide Artikel zeichnen den "Staatsfeind" Drake als Idealisten, dem Bürgerrechte wichtig sind und sein eigenes Datamining-Projekt, das nicht nur seiner Ansicht nach Bürgerrechte schützte - anders als das sehr viel teurere Nachfolgeprojekt (siehe dazu NSA Killed System That Sifted Phone Data Legally). Der Schwierigkeiten hatte mit den Veränderungen der NSA nach den Anschlägen vom 11. September 2001, mit dem Apparat der Behörde und der grundsätzlichen Ausrichtung, die die Privatsphäre und Schutzzonen der Bürger nur mehr als zweitrangiges Ziel behandelte.

Drake didn’t know the precise details, but he sensed that domestic spying "was now being done on a vast level." He was dismayed to hear from N.S.A. colleagues that "arrangements" were being made with telecom and credit-card companies. He added, "The mantra was ‘Get the data!’ " The transformation of the N.S.A., he says, was so radical that "it wasn’t just that the brakes came off after 9/11—we were in a whole different vehicle.

The New Yorker

Weil er mit seiner Kritik auf dem "Amtsweg" nicht weiter kam, wandte er sich zunächst an eine Kongressabgeordnete und später an die Reporterin Siobhan Gorman, die für die Zeitung Baltimore Sun kritische Insider-Berichte über die NSA schrieb.

Die Informationen, die Drake an die Reporterin weitergab, nach einiger Zeit sogar ohne Tarnung, sowie Dokumente, die bei einer Hausdurchsuchung gefunden wurden, sind Kern des belastenden Materials. Keine Geheimdokumente, die ausländischen Geheimdiensten zugespielt wurden. Folgt man den oben genannten Artikeln - die sich dazu auf Aussagen von früheren Kollegen Drakes, juristischen Experten, Sicherheitsfachleuten und einer Kongressabgeordneten, die für die Aufsicht der NSA zuständig war, stützen - so ist sehr fragwürdig, ob die Informationen und die Papiere, die bei Drake gefunden wurden, die nationale Sicherheit wirklich gefährden.

Die Antwort eines Vertreters der Anklage auf diese Frage, die vom New Yorker übermittelt wird, ist da wenig überzeugend, weil sehr pauschal, simpel auf Standardlinie getrimmt und dadurch ziemlich hergeholt:

Die NSA sammelt Informationen für den Soldaten im Feld. Wenn also Individuen nach außen gehen und diese Fähigkeit beeinträchtigen, dann nützen die Erkenntnisse unserer Geheimdienste unseren Soldaten nicht mehr und der Soldat im Feld wird verwundet.

Die Arbeit der NSA

Die NSA und das ist der Aufklärungsmehrwert, von der die beiden Artikel leben, den die amerikanische Öffentlichkeit Drake zu verdanken hat, arbeitet mit seit Jahren mit vergrößertem Aufwand an Überwachungsapparaten, die nach innen, an die Homefront, ausgerichtet sind (Das NSA-Lauschprogramm war nur die Spitze des Eisbergs). Wie groß der Apparat ist, welche Reichweite er tatsächlich hat, wisse niemand genau, so der New Yorker. Offizielle Auskunft darüber sei nicht zu bekommen. Seit Jahren werde von Sicherheitsexperten gemutmaßt, dass der E-Mail-Verkehr in Orten über die gesamte USA verteilt aufgezeichnet werden könnte.

Für einen früheren Kollegen Drakes, Experte und Architekt von Data-Mining-Software bei der NSA, der Drakes Haltung zur Wahrung von Bürgerrechten teilt, steht längst fest, dass die NSA jedes E-Mail in den USA aufzeichnet und es in der NSA-Datenbank gesucht werden könne wie in einem Wörterbuch. Die NSA würde jeden Fisch im Meer bekommen. Das Data-Mining-Programm habe Züge eines orwellianischen Staates, das ganze Land werde überwacht. Um Soldaten im Feld geht es da nur im aller abstraktesten Sinn:

U.S. officials could "monitor the Tea Party, or reporters, whatever group or organization you want to target," he says. "It’s exactly what the Founding Fathers never wanted."

Inwieweit die Papiere, die sich bei Drake zuhause befanden, die er hätte nicht nachhause mitnehmen dürfen oder die Informationen, die er zunächst anonym an die Baltimore Sun-Reporterin weitergegeben hat, Staatsgeheimnisse verletzen, so dass dessen Sicherheit gefährdet ist, lässt sich nicht leicht nachvollziehen. Nachvollziehen lässt sich dagegen, dass der NSA die Absichten Drakes nicht gefallen. So waren die Ermittler, den Artikeln zufolge, auch auf einer völlig anderen Spur, als Drakes Info-Tätigkeit, die ihn zum Staatsfeind macht, entdeckten. Sie wollten die Quelle aufspüren, die der New York Times 2005 bei ihrem Enthüllungsartikel über das Große Lauschprogramm der NSA in den USA geholfen hatte (Am liebsten geheim). Im Zuge dieser Ermittlungen kam man auf Drake, den man anfangs nicht für einen sonderlich großen Fisch gehalten hatte.

Obamas Preise

Bei seiner Amtsübernahme 2009 habe Obama noch bewundernd von Whistleblowern gesprochen, die "meist die besten Quellen zu Betrug, Missbrauch und Schmutz in Regierungsbehörden" seien, so der New Yorker. Mittlerweile verfolge die Regierung Obamas bereits fünf Fälle von Whistleblower mit dem Espionage Act in der Hand. Mehr als die Vorgängerregierungen. Den Fall Drake habe er von Bush übernommen; es ist ein Fall, der mit Obamas Kriterien weitgehend übereinstimmt, was sich auch darin zeigt, dass Drake seine Kritik an der NSA über einen längeren Zeitraum innerhalb des Behördenwegs selbst an den Mann zu bringen suchte.

Indessen gewinnt Obama nach wie vor Preise für seine Versuche, die Regierung transparenter zu machen, will allerdings kein öffentliches Aufsehen mehr damit erregen: "The award was presented "behind closed doors with no media coverage or public access allowed." Fürwahr ein Treppenwitz.