Öffentlich-rechtlicher Rundfunk braucht demokratische Reformen

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Schild mit den Emblems von ARD und ZDF.

(Bild: Ralf Liebhold / Shutterstock.com)

Eine Reform von ARD, ZDF und Co. steht in der Debatte. Doch wie könnte die Struktur eines erneuerten ÖRR aussehen? Was unbedingt dazugehören sollte.

Reformen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR) sind derzeit ein Dauerthema. Da sind zum einen die technischen Veränderungen, die immer wieder Nachjustierungen der rechtlichen Grundlagen erfordern.

Schon längst ist es nicht mehr die einzige Aufgabe des ÖRR, Radio- und Fernsehwellen namensgebend durchs Land zu funken. Stattdessen wird vieles auf Abruf via Internet konsumiert. Und dafür sind zahlreiche neue Formate entstanden, etwa speziell für Social-Media-Plattformen oder Podcasts.

Zum anderen stehen immer wieder einzelne Sender und Mitarbeiter des ÖRR selbst in den Schlagzeilen. Die "Affäre Schlesinger" steht dabei eher stellvertretend für Probleme der Transparenz und Publikumsbeteiligung und damit für Demokratiefragen.

Die Notwendigkeit einer offenen Debatte zur Reform des ÖRR

Das Nachfolgende ist daher nur als einer von ungezählt vielen Impulsen für die notwendige, offene Debatte über Veränderungen des ÖRR zu verstehen. Denn was aus den vielen verschiedenen Vorschlägen – wie jüngst dem Manifest "Meinungsvielfalt jetzt" und einer Replik der Redakteursvertretung oder zuvor dem von der Politik beauftragten Bericht des Zukunftsrats und der Ablehnung zentraler Vorschläge daraus durch die Politik – deutlich wird, ist das Fehlen eines auch wirksam werdenden Debattenraums.

Zwar darf ein jeder seine Ideen äußern, doch den rechtlichen Rahmen setzen de facto die Ministerpräsidenten der Länder, die konkrete Ausgestaltung obliegt dann den Sendeanstalten selbst.

Deren von gesellschaftlichen Gruppen und Verbänden sowie wiederum der Politik beschickten Kontrollgremien sind für die konkrete Programmgestaltung schon formal nicht zuständig und wären mit jeder tiefergehenden Leitungsfunktion wohl auch zeitlich und personell völlig überfordert.

Ein Plädoyer für ausgeloste Rundfunkräte

Publikum und Beitragszahler hingegen kommen nur dergestalt vor, dass auch Politiker und Lobbyisten in der Regel die Haushaltsabgabe entrichten und wenigstens gelegentlich den ÖRR nutzen.

Der erste Schritt zu wirklichen Reformen wäre daher eine deutliche Demokratisierung des bisherigen Systems. Wie bei allen anderen Fragen, die die gesamte Gesellschaft betreffen, gilt auch hier: Experten braucht es für den Input in die Diskussion, Entscheidungen aber muss der Souverän treffen. Und wenn das über seine derzeit aktiven Stellvertreter eben nicht zufriedenstellen gelingt, dann muss er selbst ran.

Schon vor zehn Jahren habe ich dazu hier auf Telepolis deshalb für ausgeloste Bürgervertreter votiert, lange bevor solche Beteiligungsformate den Namen "Bürgerrat" bekommen haben. Ein Update dazu gab es im letzten Jahr.

Die Idee soll hier deshalb nicht erneut ausgeführt werden. Andere schlagen die Direktwahl der Mitglieder der Aufsichtsgremien vor (Rundfunkrat, Fernsehrat), es gibt die Forderung nach Sitzplätzen für Medienexperten und vieles mehr.

Wichtig ist derzeit nicht, wie genau eine demokratische Beteiligung an der Reform des ÖRR und hernach seiner fortwährenden Kontrolle aussehen sollte, sondern dass die Bevölkerung darüber diskutieren und letztlich entscheiden kann. Ein Verweis auf die jeweiligen Landtagswahlen wird dem wohl kaum genügen können.

Nicht nur, weil Rundfunkpolitik nur eines von vielen Themen ist, die der Wähler in seinen nur zwei Stimmen für eine Partei und einen Wahlkreisvertreter unterbringen muss, sondern auch, weil nicht alle Bundesländer zum selben Termin wählen.

Vielfalt im Programm durch Losverfahren

Neben dieser wichtigen Strukturfrage muss es als Nächstes natürlich ums Programm gehen. Eine zu geringe Vielfalt wird immer wieder bemängelt. Dabei wird allerdings zumeist nur auf die politische Ausrichtung von Beiträgen geschaut. Doch Rundfunk ist weit mehr als Politikberichterstattung.

Auch hier ist sicherlich das Publikum zu beteiligen. Nicht in der Weise, dass es in die einzelnen Beiträge hineinregiert – die redaktionelle Selbstständigkeit ist ein hohes Gut, selbst in der Privatwirtschaft sind deshalb Verlag und Redaktion voneinander getrennt.

Journalismus soll niemandem nach dem Mund reden, nicht Abonnenten, nicht Werbekunden, nicht Beitragszahlern. Aber Themenwünsche sollte das (potenzielle) Publikum wirksam äußern können, deren Realisierung dann in den Händen der jeweiligen Redaktionen liegt.

Aber auch die Redaktionen können mehr Vielfalt vertragen. Ob angestellter oder freier Journalist, ein jeder weiß, was bei seiner Ressortleitung ankommt und was auf Ablehnung stoßen wird. Auch hier kann das Losverfahren helfen.

So können aus Beitragsangeboten, die nach festgelegten Qualitätskriterien grundsätzlich fürs Programm in Betracht kommen, einige per Los bestimmt werden. Es ist illusorisch, jede redaktionelle Entscheidung mit Relevanz fürs Publikum begründen zu können.

Einen Teil der Programmplätze per Zufall aus dem Gesamtangebot zu bestücken, entlastet von dieser Begründungspflicht und würde auch Nischenthemen eine Chance geben (Stichwort: "Autoren-Rundfunk"). Dies gilt nicht nur für journalistische Beiträge, sondern auch für die Unterhaltung.

Die Zukunft des ÖRR: Kooperationen und neue Formate

Dabei muss die Publikation der aus dem Budget des ÖRR finanzierten Programme nicht auf die Sender beschränkt sein. Schon heute gibt es Kooperationen etwa mit Zeitungsverlagen oder eigene Formate für YouTube oder TikTok.

Große Recherchen lassen sich schwer über Zeitungshonorare finanzieren, so wie kaum eine Filmproduktion ohne öffentliche Filmförderung auskommt. Wenn die Aufgaben des ÖRR demokratisch und zeitgemäß neu bestimmt werden, wird eine Beschränkung der Inhalte auf die ARD-Sendeanstalten, ZDF und Deutschlandradio vielleicht nicht mehr nötig sein.

Die Gesellschaft verlangt vermutlich weniger einige bestimmte Politikmagazine des Rundfunks als viel mehr Inhalte, die eben bisher darüber bereitgestellt werden. Entsprechend produzierte Sendungen oder Einzelbeiträge könnten auch auf Netflix, Amazon oder bei dem Sender eines Zeitungsverlags laufen, wenn sie darüber für jeden frei empfangbar sind. Zugehörige Textangebote müssen nicht auf die Internetseiten der ÖRR-Sender beschränkt sein.

Beim heutigen breiten Medienangebot wird man über die Distribution einmal ganz grundlegend neu nachdenken müssen. Da ist mehr drin, als dass man in der ZDF-Mediathek auch Angebote der ARD-Anstalten findet.

Auch Finanzierung demokratisch bestimmen

Ein immer wiederkehrender Streitpunkt ist die Finanzierung des ÖRR, sowohl von seinem Konzept Haushaltsabgabe her (früher: GEZ) als auch von der Beitragshöhe. Eine Finanzierung aus dem allgemeinen Steueraufkommen wird seit eh und je mit Verweis auf die notwendige Staatsferne abgelehnt.

Auch darüber müssen Zuschauer und Zuhörer bzw. Beitragszahler diskutieren – und letztlich entscheiden. Klar sollte jedenfalls sein, dass auch bei einer Finanzierung aus dem Steueraufkommen der Zugriff der Politik wenigstens auf das heutige Maß begrenzt werden kann – es dürfte aber auch noch besser gehen. Jedenfalls spräche wenig dagegen, das benötigte Budget weiterhin von der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) errechnen zu lassen. Denn auch derzeit muss die Politik dem noch zustimmen.

Neben einer erheblichen bürokratischen Entschlackung könnte eine Steuerfinanzierung sicherlich auch mehr Gerechtigkeit ins System bringen. Dass jeder volljährige Bürger mit eigener Wohnung ungeachtet seiner Nutzung zwar für den ÖRR, nicht aber bspw. für Polizei, Feuerwehr oder die Grünanlage in seinem Quartier zahlen muss, leuchtet nicht unmittelbar ein.

Daneben sind auch noch ganz andere, ggf. ergänzende Modelle denkbar, insbesondere, wenn man die Notwendigkeit verschiedenster Medien insgesamt in den Blick nimmt (siehe etwa die Idee einer "Deutschen Journalismusgemeinschaft").

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist eine über die Jahrzehnte gewachsene Struktur. Gäbe es ihn bisher nicht und wollte man ihn heute erstmalig ins Leben setzen, sähe er ganz sicher vollkommen anders aus. Deshalb ist es Zeit für eine grundlegende Reform. Und für die braucht es als Erstes ein geeignetes demokratisches Format.

Transparenzhinweis: Der Autor ist als Journalist auch für den ÖRR tätig.