Ölembargo: Bundestag beschließt "Lex Rosneft"

Die Enteignung der PCK-Raffinerie in Schwedt (Oder) scheint nur noch eine Formsache zu sein. Brandenburg stellt schon Milliardenforderung an Bund, um sie erhalten zu können. Ihre Zukunft bleibt ungewiss.

Noch im Mai könnte das Embargo der Europäischen Union gegen russisches Erdöl beschlossen werden – trotz einiger Bedenken aus Ungarn, Tschechien, Bulgarien und der Slowakei. Einige Diplomaten gehen sogar davon aus, dass es in der kommenden Woche eine entsprechende Übereinkunft geben könnte.

Zuletzt hatte es einige Zweifel gegeben, ob es überhaupt noch zustande kommt. Deswegen hatte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba am Freitag noch einmal eindringlich vor einem Scheitern gewarnt. Bei Beratern mit den Außenministern der G7-Gruppe sagte er: Wenn das geplante sechste EU-Sanktionspaket ohne Ölembargo beschlossen werden sollte, dann könne Russlands Präsident Wladimir Putin feiern. Denn dann wäre zum ersten Mal die Einheit der EU-Länder gebrochen.

Sollte das Embargo – wie geplant – verabschiedet werden, dann hätte es erhebliche Folgen für Ostdeutschland: Die PCK-Raffinerie in Schwedt (Oder) stünde vor einer ungewissen Zukunft – und mit ihr auch Berlin und Brandenburg, die fast ausschließlich aus dieser Raffinerie mit Kraftstoffen versorgt werden.

Um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten hat sich nun die Bundesregierung stärkeren Zugriff auf Unternehmen im Energiesektor gesichert. Am Donnerstag stimmte der Bundestag mit den Stimmen der Regierungsfraktionen SPD, Grüne und FDP sowie der Linken für eine Reform des Energiesicherheitsgesetzes.

Bundestag beschließt "Lex Rosneft"

Was da beschlossen wurde, kann man auch als "Lex Rosneft" bezeichnen; denn mit dem neuen Gesetz kann die PCK-Raffinerie enteignet werden, die sich momentan noch im mehrheitlichen Besitz des russischen Energiekonzerns Rosneft befindet.

Unternehmen im Energiesektor zählen in Deutschland zur kritischen Infrastruktur. Sollte nun die "konkrete Gefahr" bestehen, dass ein Unternehmen seine Aufgaben nicht erfüllt und die Versorgungssicherheit nicht mehr gewährleistet ist, dann kann es unter treuhänderische Verwaltung des Staates gestellt oder auch enteignet werden.

Da die PCK-Raffinerie bislang fast nur russisches Erdöl verarbeitet, wäre sie bei einem Embargo nicht mehr in der Lage, die Versorgungssicherheit von Berlin und Brandenburg zu gewährleisten, was einen staatlichen Zugriff erlauben würde.

Wohl auch um diesen Schritt abzuwenden, hatte Unternehmenssprecher Burkhard Woelki am Donnerstag beteuert: "Wenn es ein Gesetz mit einem Bann für russisches Öl geben würde, wird sich Rosneft Deutschland selbstverständlich an die Auflagen halten". Und er gab zu bedenken, dass in der PCK-Raffinerie in der Vergangenheit auch schon andere Öle verarbeitet habe, die mit den russischen vergleichbar seien.

Der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, wertete das als positives Signal. "Ich erlebe die dortige Geschäftsführung natürlich so, dass sie zwischen Baum und Borke steht, dass sie hin- und hergerissen ist, zwischen ihren russischen Eigentümern und natürlich ihren Verpflichtungen für deutsche Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer, ihre Kunden, die Region, in der sie sitzen", sagte er. Deshalb freue er sich, dass die Geschäftsführung versucht, eine konstruktive Lösung zu finden.

Rosneft wird Enteignung nicht abwenden können

Doch das dürfte Rosneft nicht viel nutzen. Denn nach einem Embargo müsste die Raffinerie über die Häfen Rostock und Danzig versorgt werden, um überhaupt die Mindestauslastung zu erreichen, ohne die die chemischen Prozesse zusammenbrechen würden. Die Lieferung über Danzig wird nicht ohne einen Eigentümerwechsel möglich sein. Am Donnerstag hatte Polens Klimaministerin Anna Moskwa noch einmal betont: Polens Hilfe gibt es nur, wenn sich die Raffinerie nicht mehr in russischem Eigentum befindet.

"Wir arbeiten Tag für Tag in unseren Unternehmen und unseren Regierungen an einer Lösung", sagte Moskwa. "Unsere Grundvoraussetzung für die Umsetzung einer Lösung ist das Ende der russischen Beteiligung an der Schwedter Raffinerie." Ohne dies werde kein Geschäft möglich sein.

PCK-Sicherung kostet zwei Milliarden Euro

Doch auch nach einer Enteignung wäre der Betrieb der Raffinerie noch nicht gesichert. Vorerst wird sie aus der Nationalen Ölreserve versorgt, doch die Bundesregierung konnte auf Anfrage nicht erklären, wie lange die Versorgung auf diesem Wege sichergestellt werden solle. Und selbst wenn der Bedarf über den Weltmarkt gedeckt werden könnte, müsste wohl erst der Hafen in Rostock vertieft werden, damit Öltanker anlanden könnten.

Vor dem Hintergrund dieser Ungewissheiten fordert nun der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE), Michael Vassiliades, von der Bundesregierung eine Standortgarantie für die PCK-Raffinerie. Und "eine langfristige Beschäftigungsperspektive für die Menschen". In dieser Forderung stimmt er im Grundsatz mit den Linken und dem linken Flügel der SPD überein.

Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) machte schon die Rechnung auf, was die Sicherung der PCK-Raffinerie bei einem Ölembargo kosten wird: "Ich rechne damit, dass der Bedarf ungefähr bei zwei Milliarden Euro liegt", sagte er dem Tagesspiegel. Bisherige Zusagen der Bundesregierung reichen seiner Meinung nach nicht aus.

Worin sich Gewerkschafter und verantwortlichen Politiker einig sind, ist: Die Raffinerie solle sich weiterentwickeln und eine klimagerechte Transformation durchmachen. Von Wasserstoff ist die Rede und von Biochemie; wohin die Reise konkret gehen solle, konnten weder Bundeswirtschaftsministerium noch das Wirtschaftsministerium des Landes Brandenburg deutlich machen.

Zweifelhafte Zukunft: E-Fuels

In der Bundestagsdebatte am Donnerstag hatte der Parlamentarische Staatssekretär Michael Kellner (Grüne) allerdings angedeutet, dass künftig sogenannte E-Fuels, also synthetische Kraftstoffe, in der Raffinerie erzeugt werden könnten. Wann es soweit sein könnte, dazu sagte er nicht; Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) schätzt allerdings, dass noch acht bis zehn Jahre ins Land streichen könnten.

Synthetische Kraftstoffe sind noch Zukunftsmusik, obwohl das Verfahren zu ihrer Herstellung schon fast 100 Jahre alt ist und obwohl es bereits Testanlagen für die Produktion gibt. Am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) werden zum Beispiel 200 Liter pro Tag erzeugt.

Für die Herstellung von E-Fuels wird "grüner" Wasserstoff benötigt. Dieser wird dann mit Kohlendioxid angereichert, das man entweder direkt aus der Atmosphäre oder aus Biomaterialen gewonnen hat. Unter anderem über das Fischer-Tropsch-Verfahren können auf diese Weise Kohlenwasserstoffe und Kraftstoffe synthetisiert werden.

Geringer Wirkungsgrad, hohe Kosten

Dass sie noch Zukunftsmusik sind, liegt unter anderem an ihrem geringen Wirkungsgrad. Bei einem Elektroauto werden zum Beispiel rund 70 Prozent der zur Verfügung gestellten Energie am Ende auch für den Antrieb genutzt. Bei den E-Fuels sind es momentan nur 15 Prozent. Um die gleiche Strecke zurückzulegen, bräuchte man mit E-Fuels etwa die fünffache Menge an Energie als mit einem E-Auto. Damit haben sie den mit Abstand schlechtesten Wirkungsgrad, den es bei den momentan verfügbaren Antriebstechnologien gibt.

Ein weiteres Problem sind die Kosten der Kraftstoffe. Nach dem aktuellen Stand der Produktion würde ein Liter E-Fuel knapp 4,50 Euro kosten. Der Volkswagen-Konzern zeigt sich auf seiner Internetseite aber zuversichtlich, dass die Kosten bald sinken könnten: auf zwei Euro je Liter im Jahre 2026. Das trifft aber wohl nur auf die Produktion in Chile zu, wo nach Konzernangaben mit Windkraftanlagen vier Mal so viel Energie erzeugt werden kann als mit vergleichbaren Anlagen in der Nordsee.

Vor diesem Hintergrund wird den E-Fuels kein breites Einsatzfeld vorausgesagt. Experten raten dazu, Antriebe, wo möglich zu elektrifizieren. Im Schwerlastverkehr, in der Luft- und Seefahrt wird ihnen dagegen zugestanden, unabdingbar zu sein. Das Öko-Institut wollte ihnen aber erst nach dem Jahr 2040 eine steil steigende Nachfrage prophezeien.

Ist Schwedt der richtige Standort?

Es scheint aber auch die Frage berechtigt zu sein, ob und ab welchem Zeitpunkt Schwedt (Oder) für die Produktion von E-Fuels als Standort infrage kommt. Eine Voraussetzung ist genügend Strom aus Wind und Sonne. Eine ausreichende Anzahl von Anlagen müsste aber erst errichtet werden.

Und die transformierte PCK-Raffinerie über das allgemeine Stromnetz versorgen zu wollen, dürfte aus Gründen des Klimaschutzes auch noch nicht sinnvoll zu sein. Erst ab einem Anteil der erneuerbaren Energien am Strommix von 80 Prozent sei das sinnvoll, heißt es beim Öko-Institut. Bis 2025 soll deren Anteil aber gerade einmal auf rund 45 Prozent ansteigen.

Der Umstieg auf die Produktion von E-Fuels im industriellen Maßstab in der PCK-Raffinerie innerhalb der nächsten zehn Jahre scheint vor diesem Hintergrund sehr ambitioniert. Und ob sie bis dahin wirtschaftlich sind und einen entsprechend großen Markt finden werden, wird sich noch zeigen müssen.