Österreich: "Der Lockdown ist unvermeidlich"

Die Corona-Lage in Österreichs Kliniken wird immer prekärer. In Salzburg werden Triage-Entscheidungen vorbereitet. Ein Gespräch mit dem Vorsitzenden der GÖD-Gesundheitsgewerkschaft, Reinhard Waldhör

Die Corona-Situation in Österreich spitzt sich bedrohlich zu. Zahlreiche Spitzenpolitiker, vom Landeshauptmann Vorarlbergs bis zum Parteichef der FPÖ, Herbert Kickl, sind positiv getestet. Eine Kluft geht durch die Bevölkerung, bei der die eine Seite sich drastisches Durchgreifen gegen Impfverweigerer wünscht, während "Corona-Skeptiker" zu immer absurderen Mitteln greifen - etwa zur Einnahme von Pferde-Entwurmungsmitteln, bei der sie offenbar weniger Nebenwirkungen fürchten.

Zugleich erreicht die Zahl der Neuinfektionen täglich neue Höchstwerte; und dennoch wirkt die österreichische Bundesregierung in ihrem Agieren zögerlich. Ein Lockdown für die gesamte Bevölkerung wird auf Bundesebene bislang nur diskutiert, während entsprechende Einschränkungen für Ungeimpfte seit Montag in ganz Österreich gelten.

Lediglich die am stärksten betroffenen Regionen Salzburg und Oberösterreich haben sich nun entschlossen, den Lockdown auf die Gesamtbevölkerung auszuweiten. "Wenn es zu keinem bundesweiten Lockdown kommt, werden Oberösterreich und Salzburg ab nächster Woche in den Lockdown gehen", kündigte Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) laut der Nachrichtenagentur APA am Donnerstag im Landtag an.

Die Lage in den Krankenhäusern des Landes lässt allerdings bald keinen Raum mehr für weiteres Abwarten auf Bundesebene zu. Im Gespräch mit Telepolis gab der Vorsitzende der GÖD-Gesundheitsgewerkschaft, Reinhard Waldhör, eine Lageeinschätzung ab.

Wie ist die aktuelle Lage in den Krankenhäusern?

Reinhard Waldhör: Sehr, sehr angespannt, an vielen Orten in Österreich erreichen wir die Grenzen der Kapazitäten. Die Lage ist beispielsweise in Wien auf den Intensivstationen noch etwas ruhiger und wir haben dort noch Kapazitäten. Aber die Situation spitzt sich sehr zu Wir befinden uns in Salzburg bereits am Rand der Machbarkeit. Wenn man gewöhnlich sagt, wir schauen von Tag zu Tag, um die Lage neu zu bewerten, dann sind wir jetzt in einer Situation, wo wir sagen müssen, wir bewegen uns von Stunde zu Stunde.

Wie bewerten sie das aktuelle Krisenmanagement der Politik?

Reinhard Waldhör: Wie sich bereits in den ersten drei Wellen gezeigt hat, kann die österreichische Politik gut streiten, wenn es allerdings jetzt ans Eingemachte geht, dann wird doch zusammengehalten. Im Moment findet bereits ein Bundesländerübergreifender Austausch statt. Patienten werden von Ländern, die die Kapazitätsgrenze überschritten haben, in Länder überstellt, in denen noch Platz vorhanden ist.

Welche Haltung vertritt Ihre Gewerkschaft zu der jetzt vielleicht nötigen Triage?

Reinhard Waldhör: Wir sind natürlich froh, wenn wir uns die ersparen. Salzburg rückt bereits bedrohlich in die Nähe von Triage-Maßnahmen. Noch können Patienten in Reha-Zentren überstellt werden, dort können entsprechend Plätze für Patienten, die nicht Covid erkrankt sind, noch freigemacht werden

Was raten sie ihren Mitgliedern auch in Bezug auf die möglichen strafrechtlichen Folgen einer Triage?

Reinhard Waldhör: Nun, hier wird klar definiert, wer triagiert, um Situationen zu verhindern, die das Personal unisono in die Gefahr bringen. Triageausschüsse mit Medizinern und Juristen entscheiden dies.

Werden manche Mitarbeiter jetzt hinwerfen, weil sie die Überlastung nicht mehr mittragen können?

Reinhard Waldhör: Nun, Hinwerfen, weil die Dauerbelastung und die prekäre Situation nicht mehr zu bewältigen ist, war schon vor Covid-19 durchaus Thema. Jetzt haben wir eine derart überbordende Belastung, dass viele glauben, dass sie es einfach nicht mehr schaffen. Es ist auch wichtig auf sich selbst zu schauen, weil es niemandem hilft, wenn Mitarbeiter in einem so fordernden Umfeld wie der Intensivstation aus Überlastung Fehler machen.

"Die personelle Situation spiegelt die Sünden der Vergangenheit"

Warum wurde das Personal nicht schon längst aufgestockt, die Pandemie läuft ja schon seit 21 Monaten?

Reinhard Waldhör: Die Träger und Gebietskörperschaften würden gerne neues Personal einstellen, aber - um es einmal so auszudrücken - der Markt ist leer. Die personelle Situation spiegelt die Sünden der Vergangenheit. Wir bräuchten gemäß demografischer Änderungen 100.000 neue Mitarbeiter in der Pflege. Corona wirkt wie ein Brennglas auf die ohnehin schwierige Situation.

Gibt es Überlegungen zu Notmaßnahmen wie verkürzte Ausbildungsgänge?

Reinhard Waldhör: In den Intensivpflege werden gut ausgebildete Spezialisten benötigt, die sich nicht aus dem Boden stampfen lassen. Es gibt Modelle, bei dem erfahrene Intensivpfleger für mehrere Betten als Supervisor arbeiten. Aber die Aufgaben sind im Ganzen so fordernd, dass die Mitarbeiter sich in ihrem Tun sicher sein müssen. Da kann man nicht jemand mit verkürzter Ausbildungsschiene - um es einmal martialisch auszudrücken - ins Sperrfeuer schicken.

Jetzt kann also nicht gerade Werbung für das Berufsfeld gemacht werden?

Reinhard Waldhör: Nach Welle eins hatten wir noch ein kurzes Hoch im Studium der Gesundheits- und Pflegeberufe. Damals waren die noch Helden und die Menschen haben vom Balkon Applaus geklatscht. Wir haben eine schwierige Situation zur Normalität verkommen lassen und jetzt stellen einige sogar die Leistungen in der Pflege in Frage.

Wie ist dies zu verstehen?

Reinhard Waldhör: Wir haben aktuell verschiedene sehr belastende Begegnungen, wenn beispielsweise immer wieder Impfskeptiker und Corona-Leugner, die zur Behandlung ins Spital müssen, dem Personal das Coronavirus erklären wollen. Die Leugnung ist hierbei wirklich ganz unglaublich. Ich weiß von einem Fall, da hat ein Reporter in der Intensivstation gefilmt und meinte dann zu Skeptikern, er käme gerade von der Intensivstation und habe die schrecklichen Auswirkungen mit eigenen Augen gesehen. Ihm wurde entgegnet: "Na ja dann wird ihnen da eben etwas vorgespielt."

Es gibt eben leider zumindest zwei Parteien in Österreich die mit einem fast sektenähnlichen Charakter agieren und auf Stimmenfang mithilfe von Corona sind. Sie sprechen davon die Coronamaßnahmen würden die Gesellschaft spalten, aber perfiderweise spalten sie selbst und wollen auch genau das. Sie sind gut geschult bei ihrem Vorgehen und rücken die Ungeimpften immer in eine Opferrolle. Es wird viel "hinterfragt", nur die eigene Skepsis natürlich nicht. Die Stimmung ist vergiftet, gerade heute Morgen wurde ich gleich im ersten Email gefragt, wenn ich denn mit meiner Coronahaltung zur Hölle fahren würde.

Wäre nun nicht doch eine allgemeine Impfpflicht sinnvoll?

Reinhard Waldhör: Wir wünschen uns als Gewerkschaft eine Durchimpfung von 100 Prozent, sowohl des Personals als auch der Gesamtbevölkerung. Was wir aber energisch kritisieren, , ist es, wenn das Personal als die einzigen Berufsgruppen mit einer Pflichtimpfung belegt werden. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehen dies als Bestrafung durch das Ministerium an..

Wir haben beim Gesundheitspersonal eine Impf- und Immunisierungsquote von rund 90 Prozent, die würden wir uns ja für alle Menschen in Österreich wünschen. Jetzt wird einerseits gesagt, es würde keine allgemeine Impfpflicht kommen, aber das Pflegepersonal soll nun mittels einer Impfpflicht bevormundet werden und kommt sich bestraft vor. Wir sind ja nicht im Krieg, wo einfach Befehle erteilt werden, wir wünschen uns Dialog. Das ist gerade jetzt sehr wichtig.

Stimmt also die Aussage der SPÖ-Chefin Pamela Rendi Wagner, dass das Gesundheitsministerium nicht mit Belegschaften und Trägern kommuniziert?

Reinhard Waldhör: Das kann ich zu 100 Prozent unterschreiben, das Gesundheitsministerium kommuniziert nicht mit uns. Wir sind keine Soldaten, die man einfach in den Kampf schickt, wir wünschen uns Dialog, bei dem wir auch unsere Arbeitssituation und unsere Sicht darlegen können. Auch die Situation vor dem Krankenhaus in Wels [bei der hunderte Impfskeptiker auf dem Gelände der Klinik gegen Impfpflicht demonstrierten] zeigt, dass sich gerade die Dinge verselbstständigen. Man muss die Menschen doch abholen, mit ihnen reden und sie überzeugen. Das passiert zu wenig. Nur so entsteht die notwendige Solidarität.

Wie geht es jetzt weiter, insbesondere mit der sehr zurückhaltenden Haltung der ÖVP in der Bundesregierung und in einigen Bundesländern?

Reinhard Waldhör: Man wird wohl die "normative Kraft des Faktischen" zu spüren bekommen. Mehrere Male mussten Spitzenpolitiker ihre Ansagen innerhalb von 24 Stunden ins Gegenteil kehren. Ich selbst rechne fest mit einem umfassenderen Lockdown, Man muss den Menschen auch klar sagen, ein Lockdown ist unvermeidlich; und je früher desto besser. Das sollten auch die Touristiker so sehen und einige tun es ja auch bereits, während andere sich noch sperren. Wenn wir jetzt nichts machen, dann wird Weihnachten nicht stattfinden. Zumindest nicht in der Form, wie wir es kennen.