Österreich: Entscheidung erst morgen

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Der FPÖ-Kandidat Norbert Hofer und der ehemalige Grünenchef Alexander van der Bellen liegen in der ORF-Prognose praktisch gleichauf

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In der ORF-Prognose zur Bundespräsidenten-Stichwahl in Österreich liegt der Freiheitliche Norbert Hofer mit etwa 50 Prozent praktisch gleichauf mit dem ehemaligen Grünen-Chef Alexander van der Bellen. Damit steht schon jetzt fest, dass die etwa 15 Prozent Briefwahlstimmen, die erst morgen ausgezählt werden, die Wahl entscheiden. Diese Auszählung hat der ORF in seiner 50:50-Prognose zugunsten van der Bellens mitgeschätzt - ohne Wahlkarten liegt Hofer vorne. Im ersten Wahlgang hatten die damals etwa 530.000 Briefwähler den Stimmenanteil von van der Bellen um 0,9 Prozent nach oben und Hofers Ergebnis um 1,3 Prozent nach unten gedrückt.

Die Wahlbeteiligung lag einer SORA-Hochrechnung nach mit 72 Prozent höher als im ersten Wahlgang, an dem sich 68,5 der Bürger beteiligt hatten. Da Hofer damals 35,05 und van der Bellen 21,34 Prozent der Stimmen für sich verbucht hatten, versuchten beide Kandidaten für den zweiten Wahlgang die rund 950.000 Wähler der ausgeschiedenen sozial- und christdemokratischen Bewerber Rudolf Hundstorfer und Andreas Khol, die die 100.000 Unterstützer des Promi-Bauunternehmers Richard Lugner und die 810.000 Fans der als Unabhängige angetretenen drittplatzierten Richterin Irmgard Griss von sich zu überzeugen.

Griss hatte sich nach längerem Zögern für van der Bellen ausgesprochen, ihren Unterstützern aber nichts vorgeschrieben. Auch bei SPÖ und ÖVP hatten sich nur einzelne Politiker öffentlich für den Grünen-Kandidaten erklärt. Ob offizielle Unterstützungserklärungen der Christ- und Sozialdemokraten van der Bellen eher genutzt oder geschadet hätten, ist umstritten. Ihre ehemals starke Bindungskraft hat deutlich nachgelassen, seit sie kaum mehr Stellen im öffentlichen Dienst und Kommunalwohnungen zu vergeben haben.

Der Entwicklung, dass sich die FPÖ nach dem Niedergang dieses Klientelsystems anschickte, die neue Arbeiterpartei zu werden, versuchte man in der SPÖ mit Parolen wie "Brust raus, Haltung bewahren! Rote Weste anziehen" entgegenzutreten. Auch die ÖVP muss es sich teilweise selbst zuschreiben, dass sie viele ehemalige Wähler an die Freiheitlichen abgab: Als die Partei glaubte, sich "verjüngen" zu müssen, wechselte die deshalb geschasste ehemalige ORF-Journalistin Ursula Stenzel zur FPÖ und warb in Wien nicht mehr für die Schwarzen, sondern für die Blauen.

Strache beklagt "Faschismuskeule"

Der FPÖ-Vorsitzende Heinz-Christian Strache beklagte nach dem Bekanntwerden der ersten Hochrechnungen im ORF, dass der politische Gegner versucht habe, die Wahl zu gewinnen, indem er versuchte, Hofer und die FPÖ mit den "schlimmsten Verbrechen der Menschheit, nämlich mit denen der Nationalsozialisten" in Verbindung zu bringen. Solche Hinweisen auf ehemalige NSDAP- und SS-Mitglieder in der Frühzeit der FPÖ hatten in Sozialen Medien dazu geführt, dass auch die Vergangenheit der Christ- und Sozialdemokraten sowie bei den Grünen hinterfragt wurde.

Dabei kam heraus, dass SPÖ 1949 offensiv mit Flugblättern für ehemalige Nationalsozialisten geworben hatte. Denn, so die Partei damals, "wer [...] im Sozialismus die Idee der Verpflichtung für die Volksgemeinschaft und zur sozialen Gerechtigkeit gegenüber jedem Volksgenossen sieht, weiß, daß sein natürlicher Weg zu den Sozialisten, zur SPÖ ist!" Selbst von den Ministern des SPÖ-Vorzeigekanzlers Bruno Kreiskys gehörten bis 1945 Hans Öllinger der SS und Oskar Weihs, Erwin Frühbauer, Josef Moser und Otto Rösch der NSDAP an.

El-Habbassi vermutet SPÖ-Geheimplan gegen Außenminister Kurz

Was sich nun in der österreichischen Politik ändern wird, ist noch offener als die Frage, wer Bundespräsident wird. Nachdem die SPÖ letzte Woche Bundeskanzler Werner Faymann gegen den Bahnmanager Christian Kern austauschte, ist jedoch die Lebenserwartung der großen Koalition potenziell gestiegen. Der neue Bundespräsident muss dem neuen Bundeskanzler nun wahrscheinlich etwas Zeit geben, bevor er ihm Stillstand bescheinigen und Neuwahlen vorschlagen kann.

Weiter möglich ist allerdings, dass sich die große Koalition selber zerlegt: ÖVP-Jugendsprecher Asdin el-Habbassi, der als Vertrauter der christdemokratischen Kanzlerhoffnung Sebastian Kurz gilt, hat die SPÖ bereits gewarnt, er hoffe, dass es sich bei dem angekündigten "neuen Regierungsstil" nicht um den "alten Stil mit neuem Gesicht" handelt. Hintergrund sind angebliche Angriffspläne der SPÖ gegen Kurz, an die der marokkanischstämmige Salzburger glaubt.

Strolz fordert Zusammenarbeit statt Ausgrenzung

Matthias Strolz, der Vorsitzende der Neos, mahnte am frühen Abend ein Ende der gegenseitigen Verdammung der politischen Lager und eine konstruktivere Zusammenarbeit an. Er bemängelte, dass sowohl im Lager van der Bellens als auch in dem Hofers Personen gibt, die lieber den Anderen für unwählbar erklären als mit eigenen Argumenten zu überzeugen.