Österreich: Neuer Kanzler, neues Kabinett

Muna Duzdar. Foto: SPÖ Presse und Kommunikation. Lizenz: CC BY-SA 2.0

Kern ernennt arabischstämmige Rechtsanwältin zur neuen Staatssekretärin im Kanzleramt

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Es ging noch schneller als erwartet: Nachdem die wegen eines Krankenhausskandals und ihrer Befürwortung der weitgehend unbegrenzten Aufnahme von Asylbewerbern umstrittene Wiener SPÖ-Politikerin Sonja Wehsely ihren Verzicht auf ein Ministeramt erklärte, wurde der von der SPÖ erwählte österreichische Bahnchef Christian Kern gestern mit Einverständnis des Koalitionspartners ÖVP als neuer österreichischer Bundeskanzler angelobt.

Er will als Kanzler seinen eigenen Worten nach einen "Plan für Österreich" schmieden und bis 2025 verwirklichen, den er nicht mit der "Agenda 2010" des deutschen Ex-Kanzlers Gerhard Schröder, sondern mit Franklin Delano Roosevelts New Deal in den 1930er Jahren vergleicht. Konkret soll es dabei um die Standardthemen Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum gehen. Letzteres wird seiner Ansicht nach vor allem durch "schlechte Laune" gebremst. Außerdem versteht er seine Kanzlerschaft als "letzte Chance" für SPÖ und ÖVP, das "Schauspiel der Machtversessenheit und Zukunftsvergessenheit" zu beenden, da sie sonst "wahrscheinlich zu recht" untergehen.

Dass sich der neue Kanzler an den von seinem zurückgetretenen Vorgänger Faymann geschlossenen Koalitionskompromiss halten will, die Zahl der jährlich angenommenen Asylanträge durch eine Notverordnung auf 37.500 zu begrenzen, ist insofern wenig überraschend, als es andernfalls zu einem Bruch der Koalition und zu Neuwahlen gekommen wäre. Er möchte sich jetzt vor allem um die Integration der im letzten Jahr angekommenen Migranten kümmern und für Bildung, Wohnungen und Arbeit sorgen.

Zur derzeit in der SPÖ diskutierten Frage von Koalitionen mit der FPÖ antwortete Kern der ORF-Nachrichtensendung ZIB2, die SPÖ wolle einen Kriterienkatalog für die Auswahl von Koalitionspartnern zusammenstellen und werde "da oder dort" Kompromisse eingehen müssen, um regieren zu können. Allerdings seien "Grundsätze" wichtiger als der "nackte Machterhalt" und wegen der Rhetorik und der Einstellungen vieler Freiheitlicher sei es "ein langer Weg, bis wir uns denkmöglicherweise zusammenfinden können".

Drei neue Minister

Von den sechs SPÖ-Ministern im Kabinett hat Kern drei ausgewechselt: Unterrichtsministerin Gabriele Heinisch-Hosek, die 2014 den Negativpreis Big Brother Award verliehen bekam, wird durch die Universitätenkonferenzleiterin Sonja Hammerschmid ersetzt. Die 47-Jährige ist von ihrer Ausbildung her Biologin, verfasste aber in den letzten Jahren Aufsätze wie "Gender-Strategie - Inputs seitens einer Förderagentur"1 und "Kreative Kombination erzeugt Mehrwert".2

Kultur- und Kanzleramtsminister Josef Ostermayer, ein enger Faymann-Vertrauter, wird durch den ehemaligen Burgtheater-Geschäftsführer Thomas Drozda ersetzt. Der 50-jährige Generaldirektor der Vereinigten Bühnen Wien war im letzten Jahr in die Kritik geraten, weil unter seiner Aufsicht lukrative Aufträge für Bühnenbilder und Kostüme nicht öffentlich ausgeschrieben wurden. Stattdessen holte man Angebote von Firmen ein, mit denen man "gute Erfahrungen" gemacht hatte. Seine Berufung ist aber nicht nur deshalb eine Überraschung, sondern auch, weil er den Oberösterreichischen Nachrichten im letzten Sommer sagte, er wolle nicht in die Politik gehen: "Höchste Exponiertheit bei einem Sozialprestige gegen null", so Drozda damals, "das würde ich weder wollen noch aushalten."

Neuer Minister für Verkehr, Innovation und Technologie wird der 49-jährige Steirer Jörg Leichtfried, der von 2004 bis 2015 für die SPÖ im Europaparlament saß. Dort fungierte er unter anderem als Stellvertreter des deutschen Fraktionsvorsitzenden Martin Schulz, als Mitglied im Ausschuss für internationalen Handel und als Vizepräsident der "Animal-Welfare-Intergroup".

Arabischstämmige Staatssekretärin im Kanzleramt

Am meisten Aufmerksamkeit erregte Kerns Austausch der Kanzleramts-Staatssekretärin Sonja Steßl durch die Rechtsanwältin Muna Duzdar, die für die SPÖ im Wiener Gemeinderat sitzt. Sie gilt als Zugeständnis an den Wiener Parteiflügel und als Quasi-Ersatz für Wehsely, weil sie sich in der Vergangenheit als erbitterte Gegnerin Faymanns und des Asylkompromisses mit der ÖVP gab. Medienaufmerksamkeit bekommt die grünäugige 37-Jährige aber vor allem deshalb, weil sie arabischer Abstammung ist: Ihre Eltern waren moslemische Palästinenser, sie selbst ist nach Angaben der Presse nicht religiös.

Van der Bellen: Deutsche Presse "ein bissl humorlos"

Neben Faymann kritisierte Duzdar in den letzten Wochen auch, dass sich die SPÖ nicht geschlossen für den Grünen Alexander van der Bellen als Bundespräsident aussprach. Der neue Kanzler Kern gab jedoch eine persönliche Empfehlung für diesen Kandidaten ab. Auch aus der ÖVP gibt es mehrere Einzelstimmen für den niederländischstämmigen Nachkommen von Zuwanderern aus dem Zarenreich, aber keine offizielle Wahlempfehlung der Partei.

Dafür empören sich die meisten deutschen Medien über Hofer, was inzwischen auch van der Bellen zu viel wird, der nach der deutschen Berichterstattung über das unmoderierte TV-Duell auf dem österreichischen Privatsender ATV meinte: "Ein bissl humorlos ist das schon."

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