Österreichs Journalisten mobilisieren für Wahrung der Pressefreiheit

Weitere Turbulenzen in der Alpenrepublik, Medienschaffende, Richter und Opposition in Aufregung

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Österreich hat eine aufregende Woche hinter sich und der Ärger ist noch lange nicht vorbei. Justizminister Böhmdorfer von der FPÖ hält den "Aufdeckungsjournalismus" in Österreich für unnötig und bringt mit dieser Aussage einmal mehr die Presse in Rage. Renommierte Journalisten wollen kommenden Dienstag eine "Rede zur Lage der Pressefreiheit" halten, um gegen eine geplante Verknüpfung von Medien- und Strafrecht zu protestieren. Richter melden Bedenken gegenüber der geplanten Stärkung weisungsbefugter Staatsanwälte an. Nationalratspräsident Heinz Fischer schließlich möchte Ex-Haider-Anwalt Böhmdorfer die Kompetenz in Sachen Justiz-Weisungsrecht entziehen.

Österreich hat schon viele Skandale gesehen. Waffenaffären, illegale Preisabsprachen, Unregelmäßigkeiten bei der Vergabe von Milliardenaufträgen. Österreicher verbinden diese Affären mit Namen wie Lucona, Noricum, Spitzelaffäre, AKH- und Bauskandal. Kaum eines dieser dunklen Kapitel wäre öffentlich geworden, hätten sich nicht Journalisten und Oppositionsparteien dahintergeklemmt. Doch mit dem investigativen Journalismus könnte es bald vorbei sein in der Alpenrepublik. Denn welcher Medienschaffende will schon eine Geld- oder gar eine Freiheitsstrafe riskieren für allzuviel Engagement in Sachen Wahrheitsfindung? Bisher konnte legal aus geheimen Verfahrensakten im Einvernehmen mit Anwälten und Beschuldigten zitiert werden. Diese Möglichkeit wurde genutzt, auch um Missstände in der staatlichen Justiz aufzudecken. In der geplanten Einführung eines Gummiparagrafen (§ 56 Verbot der Veröffentlichung) in Verbindung mit einer Bestimmung des Strafgesetzbuches (§ 301), die sogar bis zu sechs Monate Haft vorsieht, sehen viele eine Gefährdung der Pressefreiheit (Maulkorberlass für österreichische Journalisten?).

Justizminister Dieter Böhmdorfer, Report 8.Mai 2001:

"Für mich sind die Journalisten ein Teil der österreichischen Gesellschaft. Sie sind genau so wie andere Staatsbürger den Gesetzen unterworfen und für mich sind die primären Ermittlungsbehörden vor allem die Staatsanwälte, die Richter und die Ermittlungsbehörden - die Kriminalbeamten. Und ich mache diese Welle nicht mit, dass man heute so tut, dass man einen Aufdeckungsjournalismus benötigt, dass in Österreich Skandale aufgedeckt werden. Das ist nicht mein Standpunkt".

Ex-Haider-Anwalt, Justizminister Dieter Böhmdorfer versteht es mit - freundlich ausgedrückt - ungeschickten Äußerungen, diesen Eindruck in der Öffentlichkeit zu verstärken. "Journalisten seien aber - wie andere Bürger auch - den Gesetzen unterworfen. 'Aufdeckungsjournalisten' würden in Österreich nicht benötigt, um Skandale aufzudecken, stellte Böhmdorfer dezidiert fest", berichtet die Austria Presse Agentur (APA) über einen Fernsehauftritt des umstrittenen Ministers.

Dem österreichischen Journalisten Florian Klenk vom Falter, der erst jüngst den Presseclub Concordia-Menschrechtspreis erhielt und bei der Aufdeckung der "Spitzelaffäre" die Nase vorn hatte, fällt zu diesem Böhmdorfer-Spruch nur mehr ein lapidarer Kommentar ein. "Gerade diese Aussage zeigt, wie wichtig Aufdeckungsjournalismus ist.", so Klenk gegenüber Telepolis. Zum umstrittenen StPO-Paragrafen erklärt er: "Ich glaube, dass die schutzwürdigen Interessen Dritter, die vor allem durch Boulevardmedien verletzt werden, tatsächlich geschützt werden müssen. Und zwar wenn das Opfer es will und dann auf zivilrechtlicher Ebene. Böhmdorfers Entwurf führt aber wieder das Strafrecht ein, dies halte ich für einen Rückschritt". Eine Position, die er mit vielen Kollegen der "Qualitätsmedien" teilt.

Einen Zusammenhang zwischen dem StPO-Änderungsvorschlag und der "Spitzelaffäre" (Maulkorberlass für österreichische Journalisten?), in der gegen hochrangige FPÖ-Funktionäre ermittelt wurde, sieht der Redakteur der Wochenzeitschrift "Falter" nicht, spricht aber von einer fatalen Optik. "Die politische Situation macht die Kritik am § 56 glaubwürdiger. Ein Ex-Anwalt Haiders und nunmehriger Leiter der Staatsanwaltschaft will Strafen für jene, die aus Prozessakten über seinen ehemaligen Mandanten, den er bereits am Beginn der Ermittlungen für 'über jeden Verdacht erhaben' auswies, zitieren. Diese Optik ist katastrophal. Politisch wird Böhmdorfer das Gesetz daher auch nicht durchbringen. Er hat selbst mit illegal erworbenen Akten Prozesse gegen 'unbeteiligte Dritte' geführt und jene verteidigt, die mit intimen Akten auf halbseidene Art politisches Kapital geschlagen haben", betont Klenk gegenüber Telepolis.

Das umstrittene Regierungsmitglied indes macht ein wenig zögerlich Rückzieher. Nicht mehr von Freiheitsstrafen ist die Rede, sondern von Geldstrafen. Ob die Kopplung an den § 301 StGB bleibt oder nicht, ist aber immer noch offen. Der Protest der Medienschaffenden scheint demnach mehr als gerechtfertigt. Immerhin stellt sich Böhmdorfer, gegen den inzwischen der siebte Misstrauensantrag niedergeschmettert wurde, einer Mediendebatte. Kommenden Sonntag nimmt er im ORF an einer Diskussion zum Thema "Pressefreiheit" teil.

Gerüchten zufolge, verwahrt er sich aber gegen eine Konfrontation mit seinem schärfsten politischen Widerpart in der "Spitzelaffäre", dem Aufdecker der Grünen Peter Pilz. "Auf Anfrage hat der ORF dem Abgeordneten der Grünen, Peter Pilz, mitgeteilt: Minister Böhmdorfer habe an seine Teilnahme an 'Betrifft' zur Einschränkung der Pressefreiheit die Bedingung geknüpft, Pilz dürfe nicht eingeladen werden. Der ORF habe das dem Minister zugesagt. Man habe daher eine 'Expertenrunde' ohne Opposition eingeladen, gegen die der Minister keine Einwände habe", vermerkte der Abgeordnete in einer Presseaussendung und setzte noch eins drauf mit der sarkastischen Anmerkung: "Interventionen hat es immer gegeben. Neu ist aber, dass jene, die Journalisten mit Gefängnisstrafen bedrohen, jetzt auch die Einladungslisten des ORF mitschreiben dürfen."

Gegen Peter Pilz war erst kürzlich der Paragraf 301 StGB (Verbotene Veröffentlichung) aktiviert worden, weil er in einer Pressekonferenz vergangenen Jahres Disziplinarerkenntnisse eines in die "Spitzelaffäre" verwickelten FPÖ-Funktionärs vorlegte (Maulkorberlass für österreichische Journalisten?). Die deshalb, allerdings erst Monate später, Ende April d.J. vom Staatsanwalt urgierte Aufhebung der Immunität des Abgeordneten, wurde nach längeren Debatten im Immunitätsausschuss abgelehnt. Peter Pilz selbst hatte zuvor die Aufhebung der Immunität forciert, zumal er auf der Anklagebank für die Medienfreiheit kämpfen wollte.

Auf die Solidarität der derzeitigen Oppositionsparteien SPÖ und Grüne können jene Journalisten, die kommenden Dienstag die "Rede zur Lage der Pressefreiheit" anstimmen, zählen. Antreten werden unter anderen der Herausgeber der alternativen Wochenzeitung "Falter", Armin Thurnher, Hans Rauscher (Format), Chefredakteur Christian Rainer (Profil), Andreas Koller (Salzburger Nachrichten) sowie Katharina Krawagna-Pfeiffer (Standard) und Franz C. Bauer.

Das Timing dieser Aktion ist geschickt gewählt. Angesetzt eine Stunde, bevor Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) in der Hofburg seine "Rede zur Lage der Nation" hält, verweist man auch auf den anderen Part in diesem fatalen Spiel. Der von der FPÖ installierte Justizminister Dieter Böhmdorfer gibt zwar permanent den "Buhmann" ab, ohne den Regierungspartner ÖVP wären aber die Gesetzesvorschläge nicht durchzubringen. Der Kanzler war bei der dringlichen Anfrage zur Pressefreiheit am vergangenen Donnerstag erst gar nicht erschienen und hatte den Kulturstaatsekretär als Vertretung geschickt. Erst später konnte er sich zu Statements aufraffen und versicherte, dass die Regierung die Pressefreiheit gewährleisten wird.

Deutliche Worte hingegen fand der österreichische Nationalratspräsident Heinz Fischer (SPÖ), der ob seiner Souveränität und Fairness in allen politischen Fraktionen hohes Ansehen genießt, zur Situation. "Ich halte es für absolut falsch und für ein Alarmsignal, einen Zusammenhang zwischen dem Medienrecht und einer Strafdrohung mit Freiheitsstrafen herzustellen. Das ist ein inakzeptables Gemisch. Wenn schutzwürdige Interessen Dritter gefährdet werden, dann muss man das über finanzielle Sanktionen im Medienrecht lösen", betonte er gegenüber der konservativen Tageszeitung Die Presse

Im Zentrum dieses Interviews stand allerdings ein anderer Problempunkt der umstrittenen Strafprozessordnung, nämlich die Stärkung der weisungsbefugten Staatsanwälte und die Schwächung der unabhängigen Richter. Heinz Fischer im Presse-Gespräch: "Die Justiz ist in letzter Zeit in eine turbulente Phase geraten. Ein parteipolitisch sehr gebundener Justizminister löst natürlich im Zusammenhang mit seinem Recht, Weisungen zu erteilen, besondere Besorgnisse aus. Was herausführen könnte aus dieser turbulenten Phase ist eine Neuregelung des Weisungsrechts." Böhmdorfer habe "die Justiz in eine schwierige Situation gebracht". Und Fischer führt weiter aus: "Ich kann mich nicht dazu entschließen, das alles schönzureden und zu verharmlosen." Die österreichische Richterschaft hat gegen die Böhmdorfer-Vorhaben schwere Bedenken angemeldet. Nationalratspräsident Fischer könnte sich vorstellen, dass es einen "Justizfunktionär gibt, der anstelle des Ministers das Weisungsrecht ausübt."

Die Beschleunigung der sich oftmals Jahre schleppenden Verfahren wird durch die Bank gewünscht. Die beabsichtigte Stärkung der weisungsabhängigen Staatsanwälten erzeugt in der derzeitigen politischen Konstellation einiges Misstrauen bei manchen Richtern, Oppositionsparteien und bei Journalisten. Gerade das Vorgehen in der Spitzelaffäre (das Dokument ist im Internet noch zugänglich) hat viele Fragen offengelassen. Gegen hochrangige FPÖ-Politiker, wie Jörg Haider, wurden die Ermittlungen eingestellt. Dem Journalisten Florian Klenk, der die Causa intensiv verfolgt, erscheint die Einstellung der Ermittlungen gegen einige FPÖ-Funktionäre nicht gerechtfertigt.

Gegenüber Telepolis meint Klenk: "In den Fällen Stadler, Haider, Schnell, Naderer kann ich nicht nachvollziehen, warum die Verfahren so schnell eingestellt werden. Stets werden Zeugen, die sich selbst belasten, als "unglaubwürdig" hingestellt. Die Staatsanwaltschaft geriert sich als Leibwächter der Politik und nicht als Hüter der Gesetze. Ich würde mir wünschen dass die Verfahren gegen die Politiker, die ja schwer belastet werden, in einer öffentlichen Verhandlung stattfinden. Ein gut begründeter Freispruch ist mir lieber, als eine im geheimen und nach Kabinettsjustiz riechende Einstellung ohne öffentliche Begründung."