Offshore zu teuer

Emissionen des Treibhausgases Kohlendioxid in den EU-Mitgliedsländern. Wie man sieht, ist der Rückgang bisher nur moderat und der Ausstoß bewegt sich noch immer auf ziemlich hohem Niveau. Pro EU-Einwohner sind es immer noch etwas mehr als neun Tonnen pro Jahr. Bild: Europäische Umweltagentur, EEA

Die Energie- und Klimawochenschau: Von Risikoabschätzungen, widersprüchlichen Briten, überflüssigen Leitungen und teuren Offshore-Plänen

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Wie wird der Klimawandel die Bedingungen für die Landwirtschaft verändern? Wie verschieben sich Vegetationszonen? Wie verändert sich die Verbreitung von gefährlichen Krankheitserregern?

Das sind nur einige der Fragen, denen ein relativ junger Wissenschaftszweig, der der Klimafolgenforschung, auf den Grund zu gehen versucht. Noch bis zum heutigen Mittwoch trifft sich in Potsdam die internationale Gemeinde der auf diesem Feld tätigen Modellierer, um sich über erste Ergebnisse, die Aussagekraft der Modelle und eine ganze Reihe technischer Details auszutauschen. Vom besonderen Interesse sind dabei einheitliche Szenarien, Zeiträume und ähnliches, um die Ergebnisse mit einander vergleichbar zu machen.

Ziel ist es, die Risiken besser abschätzen zu können, die mit den Klimaveränderungen einhergehen. Es geht sozusagen um Wenn-dann-Erkenntnisse und keinesfalls um Vorhersagen, wie die Potsdamer Biologin Veronika Huber im Gespräch mit Telepolis betont. Huber ist maßgeblich an dem Projekt ISI-MIP (Inter-sectoral Impact Model Intercomparison Project) beteiligt, in dem fachübergreifend Klima-, Vegetations-, Wirtschafts- und andere relevante Modelle miteinander verbunden werden sollen, um die Auswirkungen des Klimawandels möglichst genau abwägen zu können.

"Entscheidungsträger sind mit signifikanten Unsicherheiten konfrontiert, wenn es um die Abschätzung des Ausmaßes von Klimafolgen und ihrer genauen Verteilung in Raum und Zeit geht", meint Hans Joachim Schellnhuber, als Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung einer der Gastgeber der dreitägigen Konferenz.

Die Zukunft könne nicht vorhergesagt werden und die integrierten Modelle könnten entsprechend - wie auch die Klimamodelle - keine Vorhersagen treffen. Aber sie liefern Aussagen darüber, mit welchen Folgen bei bestimmten Veränderungen zu rechnen ist und wie hoch deren Eintrittswahrscheinlichkeiten sind. Die Wissenschaft könne den Politikern beim Risikomanagement helfen, so Schellnhuber. Und das heißt eben nicht nur, Erkenntnisse über das Ausmaß der Gefahren, sondern auch ihrer Wahrscheinlichkeiten zu liefern. Schellnhuber:

Einige Auswirkungen des Klimawandels werden vielleicht mit nur geringer Wahrscheinlichkeit eintreten, dafür aber inakzeptable Schäden verursachen, so dass sie vorsorglich besser vermieden werden sollten.

Hans Joachim Schellnhuber

Zur Eröffnung der Konferenz war auch die EU-Klimakommissarin Connie Hedegaard angereist, die sich für mehr Klimafolgenforschung aussprach: "Für faktenbasierte Strategien, und aus einer Perspektive des Risiko-Managements, brauchen Politiker wie wir solide Informationen über mögliche Folgen des Klimawandels, und niemand anderes als die Wissenschaft kann uns diese geben. Ich begrüße daher sehr, dass die Forschung mit dieser Konferenz eine große Anstrengung unternimmt, um uns zu unterstützen."

Als dänische Umweltministerin einer extrem neoliberalen, xenophoben und industriefreundlichen Regierung hatte sich Hedegaard allerdings nicht besonders um den Klimaschutz verdient gemacht. In ihre Amtszeit fiel 2009 der von massiver Polizeigewalt begleitete desaströse Kopenhagener UN-Klimagipfel, für dessen Scheitern sie als Gastgeberin mitverantwortlich war (siehe zum Beispiel: Nach dem Scheitern in Kopenhagen)-

Widersprüchliche Signale

In der EU wird übrigens derzeit über die künftige Energie- und Klimaschutzpolitik debattiert. Wie berichtet (Zurück zur Montanunion - Abschied von Effizienz und Modernisierung) könnte dabei eine Rolle rückwärts heraus kommen, denn Industrieverbände und Stromkonzerne machen mächtig Druck. Der Ausbau der erneuerbaren Energieträger geht ihnen zu schnell, außerdem wollen sie einen möglichst großen Teil ihrer Energiekosten auf die Schultern der Kleinverbraucher abwälzen. Alles im Namen der heiligen "Wettbewerbsfähigkeit", die in der EU durch die Lissaboner Verträge quasi Verfassungsrang hat.

Interessante, aber höchst widersprüchliche Forderungen bringt die britische Regierung in diese Debatte ein. Zum einen fordert sie eine deutliche Verschärfung des Klimaschutzziels der Gemeinschaft. Bisher hat sich die EU lediglich darauf einigen können, bis 2020 die Emissionen um 20 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 zu reduzieren. Damit würde der Treibhausgasausstoß pro EU-Bürger und Jahr aber immer noch bei rund neun Tonnen liegen. Verträglich für das globale Klima ist eher ein Wert zwischen einer und zwei Tonnen pro Kopf und Jahr.

Großbritannien schlägt nun vor, berichtet das Wall Street Journal, für 2030 eine Reduktion der Emissionen um 40 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 anzustreben. Darüber hinaus sollte die Gemeinschaft in den internationalen Klimaverhandlungen anbieten, dieses Ziel auf 50 Prozent zu erhöhen, falls es Zugeständnisse anderer großer Emittenten gibt. Ein solches Angebot der EU wäre ein starker Impuls für die Gespräche über einen neuen internationalen Klimaschutzvertrag.

Aus einem Beitrag im Independent lässt sich allerdings schließen, dass es in dieser Frage in der Londoner Regierung zwischen Liberalen und Konservativen Meinungsverschiedenheiten gibt. Die konservativen Minister plädieren vor allem für den Bau neuer Atom- und Gaskraftwerke.

Gegen Onshore-Windenergie

Insofern ist es dann auch nicht mehr ganz so überraschend, dass sich London andererseits gegen ein höheres Ausbauziel für die Erneuerbaren sperrt, wie der Guardian berichtet. Bisher gilt auch hier 20 Prozent bis 2020, das heißt, bis zu diesem Datum soll 20 Prozent des Primärenergieeinsatzes von erneuerbaren Energieträgern gestellt werden.

Viele britische Konservative sperren sich gegen ein höheres Ziel. Die Führung der Tories zieht stattdessen den Bau neuer Atom- und Gaskraftwerke vor. Viele Parlamentarier dieser Partei engagieren sich gegen den Bau von Windkraftanlagen an Land, gegen die es vielerorts massive Widerstände gibt. Auf See schreitet der Ausbau der Windenergie dagegen so gut wie nirgendwo sonst voran.

Aus der Windenergiebranche und von Umweltgruppen hagelt es entsprechend Kritik an der Position Londons. Industrievertreter verweisen darauf, dass ohne klares Ausbauziel über 2020 hinaus milliardenschwere Investitionen in der Luft hängen. Potenzielle Windparkbetreiber könnten keine Pläne machen, Hersteller wüssten nicht, mit welchem Absatz sie zu rechnen haben.

Netzausbau teils überflüssig

Derweil hat eine im Auftrag der Agora Energiewende erstellte Studie ergeben, dass es bei der Gestaltung des Ausbaus der erneuerbaren Energieträger in Deutschland noch sehr viel Gestaltungsspielraum gibt.

So sei es zum Beispiel nahezu egal, ob die Anlagen vornehmlich an den günstigsten Standorten (Solaranlagen in Süddeutschland, Windkraftanlagen an der Küste) oder hauptsächlich in der Nähe der Verbraucher errichtet würden. Im ersten Fall müsste mehr Aufwand für den Transport betrieben werden, außerdem entstünden Kosten, weil Anlagen bei optimalen Wetterbedingungen öfter abgeschaltet würden. Wird hingegen hauptsächlich in Verbrauchernähe an nicht ganz so ertragreichen Standorten gebaut, dann müssten mehr Anlagen errichtet, aber weniger für die Netze getan werden.

Was die Netze angeht, hatte Mitte des Monats eine kleine Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung festgestellt, dass der geplante Ausbau tendenziell übertrieben und nicht unbedingt mit dem Ausbau der Erneuerbaren zu rechtfertigen ist:

Im Netzentwicklungsplan werden die Netze so ausgelegt, dass traditionelle Kraftwerksstandorte uneingeschränkt Strom einspeisen können und auch neue fossil befeuerte Kohlekraftwerke mit hohen Netzkapazitäten versorgt werden. So wird insbesondere bei der Auslegung der ersten Höchstspannungsgleichstromübertragungsleitungen (HGÜ, sogenannte Strom-Autobahnen) davon ausgegangen, dass die Kohleverstromung zu keinem Zeitpunkt aufgrund von Netzengpässen eingeschränkt werden darf.

DIW

Die Autoren zählen eine ganze Reihe Kritikpunkte an den Netzausbauplänen auf, die sich allein an der optimalen Auslastung der Kraftwerke ausrichten würden. Die Kosten für den Netzausbau würden hingegen vernachlässigt und Neubauprojekte favorisiert, ohne Erneuerung bestehender Anlagen, zum Beispiel mit leistungsfähigeren Leiterseilen, eingehend zu prüfen. Statt den Bau von Gaskraftwerken nahe der Verbrauchszentren im Süden zu erwägen, würden einfach Höchstspannungsleitungen von den Kohlekraftwerken an der Nordsee geplant, deren Strom in der Region überhaupt nicht benötigt wird.

Es ginge auch billiger

Bezahlen wird das dann der Stromverbraucher. Schon jetzt haben ja die Netzgebühren, wie kürzlich berichtet (Ökostromausbau ist nicht die Ursache für steigende Netzkosten), nur in den seltensten Fällen etwas mit der Energiewende, sondern eher mit der ohnehin fälligen Modernisierung und mit den Gewinnerwartungen der Eigentümer zu tun. Die Modernisierung wurde übrigens durch die Voreigentümer, die großen Stromkonzerne, seit dem Beginn der Strommarktliberalisierung Ende der 1990er Jahre zu einem erheblichen Teil verschleppt. Daher werden die Kosten für den Erhalt der Netze in den nächsten Jahren auch ohne den Ausbau tendenziell steigen, und wir können wohl ziemlich sicher sein, dass auch das von interessierter Seite den Erneuerbaren angekreidet werden wird.

Ach ja, die Kosten. Die oben erwähnte Agora-Studie rechnet übrigens auch vor, dass der Ausbau der Windenergie auf See - bekanntlich der Bundesregierung liebstes Kind unter den Erneuerbaren - besonders teuer ist. Kein Wunder bei den gut 2000 Kilometern neuer Leitungen, die allein für den Netzanschluss der Anlagen veranschlagt werden. Rund 2,5 Milliarden Euro könnten jährlich gespart werden, heißt es in der erwähnten Studie, wenn der Ausbau auf See deutlich langsamer und maßvoller angegangen würde, ohne diesen technologischen Entwicklungsstrang ganz aufzugeben.

Aber kann man von Politikern Mäßigung erwarten, die des Sonntags von Klimaschutz reden um dann am Montag neue Kohlekraftwerke wie in Nordrhein-Westfalen feiern oder Braunkohletagebaue wie in Sachsen und Brandenburg zu erweitern?